Es schien Rand schon Jahre zurückzuliegen, daß er einmal kein Brennholz spalten mußte. Aber Selbstmitleid würde das Haus nicht wärmen, also holte er die Axt, stellte Bogen und Köcher neben den Hackklotz und machte sich an die Arbeit. Kiefer ergab eine flinke, heiße Flamme, und Eiche brannte dafür länger. Er fühlte sich bald so warm, daß er den Mantel auszog. Als der Haufen Holzscheite groß genug war, stapelte er ihn an der Seitenwand des Hauses neben anderen Stapeln von früher auf. Die meisten reichten hinauf bis zur Traufe. Normalerweise waren zu dieser Jahreszeit die Brennholzstapel klein, und man sah nur wenige; anders in diesem Jahr. Hack und staple, hack und staple, so verlor er sich im Rhythmus der Axthiebe und der Bewegungen beim Aufeinanderlegen der Scheite. Tams Hand auf der Schulter rief ihn in die Wirklichkeit zurück, und einen Augenblick lang blinzelte er überrascht.
Graues Zwielicht hatte sich während seiner Arbeit ausgebreitet, und auch das dämmerte schon der Nacht entgegen. Der Vollmond stand bereits hoch über den Baumwipfeln und schimmerte blaß und aufgedunsen, als wolle er gleich auf ihre Köpfe herunterfallen. Ohne daß er es bemerkt hatte, war der Wind kälter geworden, und Wolkenfetzen trieben über den dunklen Himmel.
»Machen wir den Abwasch, Junge, und dann essen wir zu Abend. Ich habe auch schon Badewasser zum Heißmachen hineingetragen. Dann können wir vor dem Schlafen noch ein Bad nehmen.«
»Alles Heiße hört sich für mich gut an«, sagte Rand. Er hob seinen Umhang auf und warf ihn sich über die Schultern. Sein Hemd war schweißgetränkt, und der Wind, den er in der Hitze des Axtschwingens vergessen hatte, schien sich zu bemühen, das Hemd jetzt, da er mit Arbeiten aufgehört hatte, zu einem steifen Brett zu gefrieren. Er unterdrückte ein Gähnen und las unter Kälteschauern seine übrigen Sachen auf. »Schlaf wäre auch, davon abgesehen, eine feine Sache. Ich könnte das ganze Fest über schlafen.«
»Würdest du darauf wetten?« Tam lächelte, und Rand mußte unwillkürlich zurückgrinsen. Er würde Bel Tine nicht versäumen, und wenn er eine ganze Woche lang nicht mehr geschlafen hätte. Das würde allen so gehen.
Tam hatte besonders viele Kerzen aufgestellt, und in dem großen gemauerten Kamin prasselte ein Feuer, so daß die Wohnstube Wärme und Gemütlichkeit ausstrahlte. Außer dem Kamin fiel in dem Raum vor allem ein breiter Eichenholztisch auf. Der Tisch war lang genug für ein Dutzend Leute oder mehr, obwohl kaum jemals so viele dort gesessen hatten, nachdem Rands Mutter gestorben war. An den Wänden standen ein paar Kommoden und Truhen, die von Tam kunstvoll angefertigt worden waren. Um den Tisch standen Stühle mit hohen Lehnen. Der Polsterstuhl, den Tam seinen ›Lesestuhl‹ nannte, stand seitlich versetzt vor dem Kamin. Rand zog es vor, ausgestreckt auf dem Läufer vor dem Feuer liegend zu lesen. Das Bücherregal neben der Tür war bei weitem nicht so lang wie das in der Weinquellenschenke, aber Bücher waren schwer zu bekommen. Wenige Händler führten mehr als eine Handvoll mit sich, und die mußten für alle reichen, denen es nach Lektüre verlangte.
Wenn der Raum auch nicht ganz so frisch gescheuert aussah, wie es bei den meisten Bauersfrauen üblich war (Tams Pfeifenständer und Die Reisen von Jain Fernstreicher lagen auf dem Tisch, während ein weiteres in Holz gebundenes Buch auf dem Polster des Lesestuhls lag, ein Stück reparaturbedürftiges Pferdegeschirr lag auf der Bank beim Kamin, und ein paar Hemden, die gestopft werden mußten, häuften sich auf einem Stuhl), wenn der Raum also nicht ganz so fleckenlos rein war, wirkte er doch sehr sauber und ordentlich und so wohnlich, daß es jedem Besucher das Herz wärmte. Hier war es möglich, die beißende Kälte jenseits der Wände zu vergessen. Hier gab es keinen falschen Drachen, keinen Krieg und keine Aes Sedai. Auch keine Männer in schwarzen Mänteln. Der Duft des Eintopfs über dem Feuer erfüllte den Raum, und Rand bekam plötzlich schrecklichen Hunger.
Sein Vater rührte das Essen mit einem langen hölzernen Kochlöffel um und probierte ein wenig. »Noch ein bißchen.«
Rand wusch sich schnell Gesicht und Hände. In der Nähe der Tür standen auf einem Waschgestell ein Krug und eine Schüssel. Was er brauchte, war ein heißes Bad, um den Schweiß abzuwaschen und die Kälte zu vertreiben, aber das mußte warten, bis sie Zeit hatten, den großen Kessel im Hinterzimmer zu erhitzen.
Tam kramte in einer Kommode herum und fand schließlich einen Schlüssel, der so lang war wie seine Hand. Er drehte ihn in dem großen Eisenschloß an der Tür um. Als Rand ihn fragend anblickte, sagte er: »Besser ist besser. Vielleicht spinne ich ein wenig, oder das Wetter drückt meine Stimmung, aber...« Er seufzte und warf den Schlüssel mit der flachen Hand ein Stückchen hoch. »Ich sehe mal nach der Hintertür«, sagte er und verschwand im rückwärtigen Teil des Hauses.
Rand konnte sich nicht daran erinnern, daß eine der beiden Türen jemals abgeschlossen worden war. Keiner im Gebiet der Zwei Flüsse verschloß die Türen. Es war niemals nötig gewesen. Zumindest bisher.
Von oben aus Tams Schlafzimmer erklang ein schleifendes Geräusch, als werde etwas am Boden entlanggezerrt. Rand zog die Augenbrauen hoch. Falls sich Tam nicht soeben entschlossen hatte, die Möbel umzustellen, konnte er nur die alte Truhe hervorgezogen haben, die er unter dem Bett aufbewahrte. Wieder etwas, das noch nie geschehen war, solange sich Rand erinnern konnte.
Er füllte einen kleinen Kessel mit Teewasser, hängte ihn an einen Haken über dem Feuer und deckte den Tisch. Er hatte die Teller und Löffel selbst geschnitzt. Die vorderen Fensterläden waren noch nicht geschlossen, und von Zeit zu Zeit spähte er hinaus. Doch die Nacht war gekommen, und alles, was er sehen konnte, waren Mondschatten. Der dunkle Reiter konnte sehr wohl dort draußen sein, aber er versuchte, nicht daran zu denken.
Als Tam zurückkam, machte Rand vor Überraschung große Augen. Ein breiter Gürtel hing an Tams Hüften, und am Gürtel hing ein Schwert. Ein bronzener Reiher war auf der schwarzen Scheide zu sehen und ein weiterer auf dem langen Knauf. Die einzigen Männer, die Rand jemals ein Schwert hatte tragen gesehen, waren die Leibwächter der Kaufleute. Und natürlich Lan. Er wäre nie darauf gekommen, daß sein Vater überhaupt eines besaß. Abgesehen von den Reihern sah das Schwert dem Schwert Lans ziemlich ähnlich.
»Woher hast du das?« fragte er. »Hast du es von einem Händler gekauft? Was hat es gekostet?«
Langsam zog Tam die Waffe; Feuerschein spiegelte sich auf der schimmernden Schneide. Das war ganz anders als bei den einfachen rohen Klingen, die Rand in den Händen der Leibwächter gesehen hatte. Es war nicht mit Gold oder Edelsteinen verziert, und doch schien es Rand irgendwie groß, bedeutend. Die ganz leicht gekrümmte und nur auf einer Seite geschliffene Schneide trug ebenfalls den Reiher in den Stahl eingeätzt. Die kurzen Querstreben am Knauf waren wie Zöpfe gearbeitet. Verglichen mit den Schwertern der Leibwächter, schien es fast zerbrechlich. Die meisten dieser plumpen Schwerter waren auf beiden Seiten geschärft und dick genug, um einen Baum zu fällen.
»Ich habe es vor langer Zeit erworben«, sagte Tam, »sehr weit entfernt von hier. Und ich habe viel zuviel dafür bezahlt; zwei Kupferpfennige sind zuviel für eine Waffe wie diese. Deine Mutter wollte es nicht, aber sie war immer schon klüger als ich. Ich war jung damals, und es schien den Preis wert zu sein. Sie wollte immer, daß ich es los werden sollte, und mehr als einmal kam mir der Gedanke, daß sie recht hatte und ich es einfach weggeben sollte.«