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Als Rand seine Straßenseite beobachtete, wuchs in ihm das Gefühl, beobachtet zu werden. Für eine Weile bemühte er sich, das Gefühl beiseite zu schieben. Zwischen den Bäumen bewegte sich nichts, und kein Laut war zu hören, außer dem Aufheulen des Winds. Aber das Gefühl blieb nicht nur, es verstärkte sich. Die Haare auf seinen Armen stellten sich auf; seine Haut prickelte, als jucke ihre Innenseite.

Verwirrt nahm er den Bogen in die andere Hand, rieb sich die Arme und sagte sich, er müsse aufhören, sich Dinge einzubilden. Gar nichts befand sich im Wald auf dieser Straßenseite, und gäbe es auf der anderen Seite etwas, dann hätte Tam ihm das gesagt. Er blickte über die Schulter zurück — und zwinkerte. Nicht weiter als zwanzig Spannen entfernt die Straße hinunter folgte ihnen eine verhüllte Figur auf einem Pferd. Pferd und Reiter wirkten gleich: schwarz, matt, unauffällig.

Mehr oder weniger aus Gewohnheit ging er neben dem Karren rückwärts weiter, während er beobachtete. Der Mantel bedeckte den Reiter bis hinunter zu den Stiefelschäften, und die Kapuze war über das Gesicht gezogen, so daß kein Teil seines Körpers sichtbar war. Ganz nebenher fiel Rand auf, daß mit diesem Reiter etwas nicht stimmte, doch es war vor allem die dunkle Öffnung der Kapuze, die ihn fesselte. Er konnte nur vage Umrisse eines Gesichts erkennen, aber er fühlte, daß er dem Reiter geradewegs in die Augen sah. Und er konnte den Blick nicht abwenden. Übelkeit stieg ihm vom Magen auf. Er sah nur den Schatten in der Kapuze, doch er fühlte den Haß genauso beißend, als ob er in ein verzerrtes Gesicht blickte, Haß auf alles, was lebte. Und ihm vor allem galt dieser Haß, ihm mehr als allem anderen auf der Welt.

Plötzlich blieb er mit der Ferse an einem Stein hängen und stolperte. Naturgemäß verlor er den dunklen Reiter aus dem Blickfeld. Sein Bogen fiel auf die Straße, und nur eine schnell ausgestreckte Hand, die Belas Geschirr packte, bewahrte ihn davor, platt auf den Rücken zu plumpsen. Mit überraschtem Schnauben blieb die Stute stehen und drehte den Kopf, um zu sehen, wer sie gefangen hatte. Tam zog die Augenbrauen hoch und sah über Belas Rücken zu ihm herüber. »Bist du in Ordnung, Junge?«

»Ein Reiter«, sagte Rand atemlos, während er sich aufrichtete. »Ein Fremder folgt uns.«

»Wo?« Der ältere Mann hob seinen Speer mit der breiten Blattspitze und spähte aufmerksam zurück. »Dort, die Straße hin... « Rands Worte verloren sich, als er sich umdrehte, um auf den Verfolger zu deuten. Die Straße hinter ihnen war leer. Ungläubig schweifte sein Blick über den Wald zu beiden Seiten der Straße. Die Bäume mit ihren kahlen Ästen boten kein Versteck, und doch konnte er keine Spur von Pferd oder Reiter erkennen. Er bemerkte den fragenden Blick seines Vaters. »Er war dort. Ein Mann mit einem schwarzen Mantel auf einem schwarzen Pferd.«

»Ich zweifle ja nicht an deinen Worten, Junge, aber wo ist er jetzt?«

»Ich weiß nicht. Aber er war da.« Er hob schnell Bogen und Pfeil auf und überprüfte hastig die Bespannung, bevor er den Pfeil wieder einlegte und den Bogen zur Probe halb spannte. Dann ließ er die Sehne zurückschnellen. Es gab kein Ziel, worauf er hätte anlegen können. »Wirklich.«

Tam schüttelte den ergrauten Kopf. »Wenn du es sagst, Junge... Dann komm mit. Ein Pferd hinterläßt sogar auf diesem Boden Hufspuren.« Er bewegte sich auf das hintere Ende des Karrens zu. Sein Umhang flatterte im Wind. »Wenn wir die finden, dann wissen wir genau, daß er hier war. Wenn nicht... Na ja, es gibt schon Tage, an denen ein Mann seine Einbildungen hat.«

Plötzlich fiel Rand ein, was an dem Reiter nicht gestimmt hatte, abgesehen von der Tatsache, daß er sich überhaupt hier befunden hatte. Der Wind, der Tam und ihn beutelte, hatte nicht einmal eine Falte des schwarzen Mantels bewegt. Rands Mund war plötzlich wie ausgetrocknet. Er mußte sich das eingebildet haben. Sein Vater hatte recht; dieser Morgen war dazu angetan, die Phantasie eines Mannes zu kitzeln. Und dennoch glaubte er das nicht. Nur, wie sollte er seinem Vater beibringen, daß der Mann, der sich offensichtlich in Luft aufgelöst hatte, einen Mantel trug, den der Wind nicht berührte?

Mit sorgenvoller Miene spähte er in den Wald, der sie umgab. Er wirkte auf ihn anders als je zuvor. Seit er laufen konnte, hatte er im Wald gespielt. Da waren die Teiche und Bäche im Flußwald, jenseits der letzten Bauernhöfe von Emondsfeld, in denen er schwimmen gelernt hatte. Er hatte die Sandhügel erforscht — manche im Gebiet der Zwei Flüsse meinten, das bringe nur Unglück -, und einmal war er sogar bis zum Fuß der Verschleierten Berge marschiert, zusammen mit seinen besten Freunden, Mat Cauthon und Perrin Aybara. Das war viel weiter, als die meisten Leute aus Emondsfeld jemals kamen. Für die war eine Reise ins nächste Dorf, nach Wachhügel hinauf oder hinunter nach Devenritt, schon ein großes Ereignis. Nirgendwo war er auf einen Ort gestoßen, der ihm Angst einjagte. Heute jedoch war der Westwald nicht der gleiche Ort wie jener, an den er sich erinnerte. Ein Mann, der so plötzlich verschwinden konnte, mochte ebenso plötzlich wieder auftauchen, vielleicht sogar direkt neben ihm.

»Nein, Vater, es ist nicht nötig.« Als Tam überrascht stehenblieb, verbarg Rand sein Erröten, indem er sich die Kapuze tiefer ins Gesicht zog. »Du hast wahrscheinlich recht. Es hat keinen Zweck, nach etwas zu suchen, das gar nicht da ist, erst recht nicht, wenn wir die Zeit nutzen, um weiter zum Dorf zu gehen und weg von diesem Wind.«

»Ich hätte schon gern eine Pfeife geraucht«, sagte Tam langsam, »und irgendwo, wo es warm ist, einen Krug Bier geleert.« Übergangslos grinste er breit. »Und ich schätze, du willst Egwene gern wiedersehen.«

Rand brachte nur ein schwaches Lächeln zustande. Im Augenblick stand die Tochter des Bürgermeisters so ziemlich am Ende seiner Dringlichkeitsliste. Er konnte nicht noch mehr Verwirrung gebrauchen. Das letzte Jahr über hatte sie ihn in steigendem Maße nervös gemacht, immer wenn sie zusammen waren. Was noch schlimmer war: Sie schien es nicht einmal zu bemerken. Nein, er wollte ganz bestimmt nicht auch noch an Egwene denken müssen.

Er hoffte, sein Vater hätte nicht bemerkt, daß er Angst hatte, als Tam sagte: »Denk an die Flamme, Junge, und an das Nichts.«

Es war eine eigenartige Übung, die Tam ihn gelehrt hatte. Konzentriere dich auf eine einzelne Flamme und leere all deine Leidenschaften dort hinein — Angst, Haß, Wut -, bis dein Verstand leer ist. Werde eins mit dem Nichts, riet Tam, und du kannst alles erreichen. Niemand sonst in Emondsfeld sagte so etwas. Aber Tam gewann jedes Jahr den Bogenschützenwettbewerb zum Bel Tine mit seiner Flamme und seinem Nichts. Rand glaubte, dieses Jahr habe auch er Aussicht auf eine gute Plazierung, wenn er es fertigbrachte, sich auf das Nichts zu konzentrieren. Daß Tam das Gespräch ausgerechnet jetzt darauf brachte, bedeutete, daß er es bemerkt hatte, doch er sagte nicht mehr dazu.

Tam schnalzte Bela zu, und sie setzte sich wieder in Bewegung. Sie nahmen ihre Reise wieder auf; der ältere Mann schritt einher, als sei nichts Ungewöhnliches geschehen und als drohe ihnen nichts Schlimmes. Rand hätte es ihm gern gleichgetan. Er bemühte sich, seinen Verstand zu leeren, aber das Nichts entschlüpfte ihm immer wieder, und statt dessen erschien ihm das Bild des schwarzgekleideten Reiters.

Er wollte so gern glauben, Tam habe recht, er habe sich den Reiter nur eingebildet, doch er erinnerte sich gerade an das Gefühl des Hasses besonders klar. Da war jemand gewesen. Und dieser Jemand war ihm böse gesinnt. Er blieb nicht stehen, um sich umzusehen, bis die strohgedeckten Häuser von Emondsfeld mit ihren spitzen Giebeln sie umgaben.