»Das werden Sie nicht tun. Ihre hauptsächliche Aufgabe ist die Gewährleistung des Seldon-Planes. Terminus’ Bürgermeisterin zu eliminieren und damit einen Schlag gegen das Prestige der Ersten Foundation und das ihr entgegengebrachte Vertrauen zu führen, wäre für ihre Macht ein schwerer Rückschritt und müßte überall ihre Feinde ermutigen, und dadurch käme es zu einer Diskontinuität des Seldon-Planes, die für Sie fast so schlimm sein würde wie die Zerstörung Trantors. Es dürfte also wirklich besser sein, Sie geben auf.«
»Sie möchten also darauf setzen, daß ich davor zurückschrecke, Sie zu vernichten?«
Der Brustkorb der Branno wogte, als sie tief Atem holte und langsam ausatmete. »Ja«, bestätigte sie dann mit aller Entschiedenheit.
Kodell, der neben ihr saß, erbleichte.
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Gendibal betrachtete die dicht vor der Wand mitten in die Luft projizierte Gestalt der Branno. Aufgrund der Störungen, die von der Abschirmung ausgingen, war ihr Abbild ein wenig verwaschen und flimmerte leicht. Der Mann neben ihr war infolge starker Verschwommenheit fast unkenntlich, denn Gendibal hatte an ihn keine Energie zu verschwenden. Er mußte sich auf die Bürgermeisterin konzentrieren.
Sie erhielt andererseits keine Visualisierung seiner Person. Daher konnte sie nicht wissen, daß er — um ein Beispiel zu nennen — eine Begleiterin hatte. Sie konnte keinerlei Urteile aufgrund seines Mienenspiels, anhand seiner Körpersprache fällen. In dieser Beziehung befand sie sich im Nachteil.
Was er ihr gesagt hatte, entsprach vollständig der Wahrheit. Er konnte den Schild durchdringen, wenn auch nur unter Aufbietung gewaltiger mentaler Kräfte — und dabei würde es sich tatsächlich kaum vermeiden lassen, daß er ihren Geist unheilbar beeinträchtigte.
Auf der anderen Seite allerdings war alles, was sie geäußert hatte, ebenfalls wahr. Ihre Vernichtung müßte dem Seldon-Plan so erheblichen Schaden zufügen, wie es damals der Fuchs getan hatte. Der Schaden könnte womöglich sogar noch verheerender ausfallen, weil er zu einem späteren Zeitpunkt aufträte und daher eine kürzere Frist — gemessen am von Seldon vorgegebenen Zeitplan — zur Verfügung stünde, um das Entgleisen des Seldon-Planes wieder zu beheben.
Und um die Situation noch übler zu machen, war da Gaia, eine unbekannte Größe — ihr schwaches mentales Feld blieb stets wie zum Hohn am unmittelbaren Rande von Gendibals mentalistischer Wahrnehmung.
Flüchtig tastete er nach Sura Novis Bewußtsein, um sich davon zu überzeugen, daß das Mentalfeld noch vorhanden war; das war unverändert der Fall.
Sie konnte sein Tasten unmöglich gespürt haben, aber sie wandte sich ihm plötzlich zu. »Meister«, wisperte sie ehrfürchtig, »da ist so was wie ein schwaches Geflimmer da drüben. Ist es das, womit du redest?«
Sie mußte die Projektion über die behutsame Verbindung zwischen ihrem und seinem Bewußtsein spüren. Gendibal hob einen Finger an die Lippen. »Fürchte dich nicht, Novi. Mach die Augen zu und bleib ganz ruhig!«
Er hob die Stimme. »Bürgermeisterin Branno, ich muß zugeben, in dieser Hinsicht ist Ihr riskantes Spielchen nicht schlecht. Ich habe in der Tat nicht den Wunsch, Sie ohne weiteres zu vernichten, denn ich glaube, wenn ich Ihnen gewisse Dinge erkläre, werden Sie zur Vernunft kommen, und es dürfte sich als überflüssig erweisen, überhaupt irgend jemanden zu vernichten. Nehmen wir einmal an, Bürgermeisterin, Sie erlangen die Oberhand, und ich ergebe mich Ihnen. Was geschähe dann? Sie und Ihre Amtsnachfolger würden in einem irrsinnigen Wahn der Selbstüberschätzung und in unangebrachtem Vertrauen auf Ihren Mentalschirm versuchen, in verfehlter Hast Ihre Macht auf die gesamte Galaxis auszudehnen. Damit jedoch müßten sie in Wirklichkeit die Errichtung des Zweiten Imperiums hinauszögern, denn so ein Vorgehen liefe genauso auf die restlose Sabotage des Seldon-Planes hinaus.«
»Es überrascht mich nicht, von Ihnen zu hören, daß Sie mich nicht sofort zu vernichten wünschen«, sagte die Branno, »und ich bin sicher, daß Sie im Laufe des weiteren Abwartens zu der Auffassung gelangen werden, daß Sie’s überhaupt nicht wagen können, mich zu vernichten.«
»Betrügen Sie doch nicht sich selbst mit alberner Selbstgefälligkeit«, erwiderte Gendibal. »Hören Sie mir zu! Ein Großteil der Galaxis ist noch immer nichtfoundationistisch, ein beträchtlicher Teil sogar antifoundationistisch. Selbst innerhalb der Foundation-Föderation gibt es Mitglieder, die noch nicht ihren Unabhängigkeitstag vergessen haben.
Falls die Foundation nach meiner etwaigen Niederlage zu voreilig handelt, wird sie dem Rest der Galaxis seine größte Schwäche nehmen — die Uneinigkeit und Unentschlossenheit. Die Furcht vor der Foundation wird die ganze übrige Galaxis zur Einheit zwingen, und innerhalb der Foundation werden Sie die Tendenz zur Rebellion nähren.«
»Sie drohen uns mit Armeen von Vogelscheuchen, sonst nichts«, entgegnete die Branno. »Wir haben genug Macht, um uns gegen alle und jede Gegner zu behaupten, und wenn sämtliche Welten der nichtfoundationistischen Galaxis sich gegen uns verbünden würden, und sogar, falls ihnen eine Rebellion der Hälfte aller Welten der Foundation zu Hilfe käme. Wir hätten damit keine Probleme.«
»Keine unmittelbaren Probleme, Bürgermeisterin. Begehen Sie nicht den Fehler, sich nur für solche Konsequenzen Ihres Handelns zu interessieren, die ihm sofort nachfolgen. Sie können ein Zweites Imperium schaffen, indem Sie’s bloß proklamieren, gewiß, aber Sie wären nicht dazu imstande, es zu halten. Sie müßten es alle zehn Jahre von neuem erobern.«
»Dann würden wir so verfahren, bis die Welten des Unfugs müde wären, so wie Sie ermüden müssen.«
»Sie würden nicht ermüden, sich aufzulehnen, so wenig wie ich ermüden werde. Und diese Periode könnte nicht einmal allzu lange dauern, denn dem Pseudo-Imperium, das zu proklamieren Sie fähig wären, würde eine zweite, größere Gefahr drohen. Weil es — für einige Zeit — ausschließlich durch immer stärkere militärische Kräfte erhalten werden kann, die ständig zum Einsatz kommen müßten, dürften erstmals in der Geschichte der Foundation die Generale wichtiger und einflußreicher sein als die zivilen Autoritäten. Das Pseudo-Imperium würde in Militärregionen aufgespalten, in denen die individuellen militärischen Befehlshaber die Vorherrschaft ausüben. Das wäre gleichbedeutend mit Anarchie — einem Rückfall in eine Barbarei, die vielleicht länger dauern würde als die dreißigtausend Jahre des Chaos, die Seldon vor der Ausarbeitung des Seldon-Planes vorausgesagt hat.«
»Kindische Drohungen. Selbst wenn die Mathematik des Seldon-Planes das alles voraussieht, sagt sie nur Wahrscheinlichkeiten voraus — keine Unabwendbarkeiten.«
»Bürgermeisterin Branno«, sagte Gendibal ernst, »vergessen Sie den Seldon-Plan. Sie verstehen seine Mathematik nicht, und Sie können sich seinen Ablauf überhaupt nicht vorstellen. Aber vielleicht ist das auch gar nicht nötig. Sie sind eine bewährte Politikerin, und obendrein erfolgreich, nach der Position beurteilt, die Sie einnehmen, und gehe ich nach dem waghalsigen Spiel, auf das Sie sich hier eingelassen haben, dann sind Sie auch sehr mutig. Also, bedienen Sie sich Ihres politischen Scharfsinns. Betrachten Sie die Geschichte der Menschheit unter politischen und militärischen Gesichtspunkten, betrachten Sie sie zudem unter dem Aspekt, was man allgemein über die menschliche Natur weiß — von der Art und Weise, wie Menschen, wie Politiker und Militärs reagieren, wie sie in Interaktion treten —, und überlegen Sie sich, ob ich nicht recht habe.«
»Selbst wenn Sie recht behalten sollten, Zweitfoundationist«, sagte die Branno, »ist das ein Risiko, das wir eingehen müssen. Mit der richtigen Führung und weiteren technischen Fortschritten — Fortschritten nicht nur materieller, sondern auch mentalistischer Art — können wir alle Hindernisse aus dem Weg räumen. Hari Seldon hat solche Fortschritte niemals in angemessenem Umfang einkalkulieren können. Das war damals für ihn einfach unmöglich. Wo im Plan hat er je die Entwicklung eines Mentalschilds durch die Erste Foundation in Betracht gezogen? Warum sollen wir den Plan eigentlich überhaupt noch beachten? Wir werden’s riskieren, ohne ihn ein neues Imperium zu gründen. Ein Scheitern ohne den Plan wäre vielleicht besser als ein Erfolg durch den Plan. Wir wollen kein Imperium, in dem wir nur die Marionetten verborgener Manipulatoren der Zweiten Foundation abgeben dürfen.«