»Gaia haben Jahrtausende zur Verfügung gestanden, um Fehler zu beseitigen.«
»Aber nicht in galaktischem Maßstab.«
Trevize kümmerte sich nicht um den kurzen Gedankenaustausch und kam zur Sache. »Und welche Rolle spiele ich bei alldem?«
»Wähle!« donnerte Gaias Stimme durch Sura Novis Bewußtsein. »Welche Alternative soll Wirklichkeit werden?«
Ausgedehntes Schweigen folgte, und als Trevize antwortete — diesmal mental, denn zum Sprechen war er zu stark erschüttert —, klang seine Stimme schwächlich, aber nichtsdestoweniger noch immer trotzig. »Warum ich?«
»Obschon wir bereits erkannt hatten, daß der Zeitpunkt da war«, entgegnete Sura Novi, »an dem entweder Terminus oder Trantor zu mächtig sein mußte, als daß man ihm noch Einhalt gebieten könnte — oder noch schlimmer, an dem beide möglicherweise gleichermaßen mächtig sein würden, so daß es zu einem unheilvollen Patt käme, das die ganze Galaxis zu verwüsten imstande wäre —, besaßen wir keine Möglichkeit zum Eingreifen. Wir benötigten für unsere Absichten jemanden — eine besondere Person — mit hohem, als Talent herausgebildetem Urteilsvermögen, einem sicheren Gespür für das Richtige. Schließlich haben wir Sie gefunden, Ratsherr Trevize. Nein, eigentlich können wir uns dies Verdienst nicht anrechnen. Die Bewohner Trantors haben Sie durch den Mann namens Compor ausfindig gemacht, wenngleich sie sich nicht darüber im klaren waren, mit wem sie es zu tun hatten. Der Vorgang des Ausfindigmachens Ihrer Person war es, der unsere Aufmerksamkeit erregt hat. Golan Trevize, Sie zeichnen sich durch die herausragende Begabung aus, mit Gewißheit feststellen zu können, welches Handeln das richtige ist.«
»Das streite ich rundweg ab«, sagte Trevize.
»Sie empfinden dann und wann in bestimmter Beziehung völlige Gewißheit. Und wir möchten, daß Sie das Kriterium Ihrer Gewißheit diesmal im Interesse der ganzen Galaxis anlegen. Vielleicht wünschen Sie eine derartige Verantwortung nicht. Es kann sein, daß Sie alles tun, um der Wahl aus dem Wege zu gehen. Trotzdem werden Sie einsehen müssen, daß es richtig und gut ist, eine Wahl zu treffen. Sie werden darüber Gewißheit haben. Und dann werden Sie die Entscheidung fällen. Sobald wir Sie gefunden hatten, waren wir uns sicher, daß unsere Suche vorüber war, und wir haben Jahre hindurch Maßnahmen durchgeführt, die es uns ermöglichten, ohne direkte mentalistische Beeinflussung darauf hinzuwirken, daß Sie drei — Bürgermeisterin Branno, Sprecher Gendibal und Ratsherr Trevize — sich im Umkreis Gaias zur gleichen Zeit treffen würden. Das ist uns nun gelungen.«
»Entspricht es etwa nicht den Tatsachen«, sagte Trevize, »daß du, Gaia — wenn ich dich so nennen soll —, unter den gegenwärtigen Umständen sowohl die Bürgermeisterin wie auch den Sprecher hier an Ort und Stelle überwältigen kannst? Ist es etwa nicht wahr, daß du diese lebende Galaxis, von der du sprichst, auch ohne meine Mitwirkung ins Leben rufen kannst? Und wenn es so ist — nun, warum machst du’s dann nicht einfach?«
»Ich weiß nicht, ob ich das zu Ihrer Zufriedenheit erklären kann«, erwiderte Sura Novi/Gaia. »Vor Tausenden von Jahren ist Gaia mit der Hilfe von Robotern, die der Menschheit für kurze Zeit einmal wirklich dienten, ihr heute jedoch nicht mehr zu Diensten stehen, gegründet worden. Die Roboter haben keinen Zweifel daran gelassen, daß wir ausschließlich durch die strikte Anwendung der drei Regeln der Robotik auf das Leben im allgemeinen zu überdauern imstande sind. In entsprechender Abwandlung lautet die Erste Regel also: ›Gaia darf kein Leben schädigen oder durch Untätigkeit zu Schaden kommen lassen.‹ Im Laufe unserer gesamten Geschichte haben wir uns an diese Regel gehalten, und wir können nicht anders handeln. Das Resultat ist, daß wir nun hilflos sind. Wir können unsere Vision der lebenden Galaxis den Quintillionen von Menschen und anderen Lebensformen nicht aufzwingen, weil wir dabei einer großen Anzahl Schaden zufügen müßten. Ebensowenig jedoch können wir untätig zusehen, wie die Galaxis sich selber halb zugrunde richtet, wenn es in unserer Macht gestanden hätte, solche Auseinandersetzungen zu verhindern. Wir wissen nicht, ob unser Handeln oder unser Nichthandeln der Galaxis mehr schaden wird. Und falls wir handeln, wissen wir nicht, ob unsere Unterstützung Terminus’ oder Trantors der Galaxis größeren Schaden bringt. Deshalb soll Ratsherr Trevize die Entscheidung treffen — und wie diese Entscheidung auch ausfallen mag, Gaia wird sich danach richten.«
»Wie soll nach Ihren Erwartungen eine solche Entscheidung von mir gefällt werden?« fragte Trevize nach. »Was habe ich zu tun?«
»Sie haben Ihren Computer«, antwortete Sura Novi. »Die Bewohner des Terminus’ haben, als sie ihn konstruierten, nicht geahnt, daß er viel besser sein würde, als sie dachten. Dem Computer an Bord Ihres Raumschiffs ist ein wenig von Gaia zu eigen. Legen Sie Ihre Hände aufs Terminal und denken Sie. Kraft Ihrer Gedanken können Sie beispielsweise Bürgermeisterin Brannos Mentalschild in einem Umfang verstärken, der ihn undurchdringlich macht. Falls Sie sich dafür entscheiden, wird sie möglicherweise sofort ihre Waffen anwenden, um die beiden anderen Raumschiffe außer Gefecht zu setzen oder zu vernichten, und dann ihre Herrschaft auf Gaia und später Trantor ausdehnen.«
»Und Sie würden nichts dagegen unternehmen?« meinte Trevize erstaunt.
»Nichts. Wenn Sie die Gewißheit hegen, daß Terminus Vorherrschaft der Galaxis geringeren Schaden als jede andere Alternative zufügen wird, werden wir dieser Vorherrschaft gern unsere Unterstützung zukommen lassen — selbst um den Preis unseres eigenen Untergangs. Andererseits können Sie mittels Ihres Computers Sprecher Gendibals Mentalfeld orten und ähnlich verstärken, und in dem Fall dürfte er sich aus der Pattsituation befreien und meinen mentalistischen Halt abschütteln. Er könnte dann das Bewußtsein der Bürgermeisterin beeinflussen, unter Einsatz ihrer Raumschiffe Gaia physisch unterwerfen und die kontinuierliche Weiterführung des Seldon-Planes sicherstellen. Auch dagegen würde Gaia nichts unternehmen. Oder Sie können mein mentales Feld orten und sich damit vereinigen — dann wird die Entwicklung zu einer lebenden Galaxis eingeleitet und unsere Vision zur Erfüllung gelangen, nicht in dieser oder der nächsten Generation, sondern nach Jahrhunderten entsprechender Arbeit, während der der Seldon-Plan seine Gültigkeit behalten soll. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.«
»Warten Sie«, meldete sich Bürgermeisterin Branno zu Wort. »Entscheiden Sie sich noch nicht. Darf ich sprechen?«
»Sie können freimütig reden«, gab Sura Novi zur Antwort. »Das gleiche gilt für Sprecher Gendibal.«
»Ratsherr Trevize«, sagte die Branno, »als wir uns das letzte Mal auf Terminus gesehen haben, meinten Sie zu mir: ›Es könnte der Tag kommen, an dem Sie mich um etwas bitten, und dann werde ich mich an diese beiden Tage erinnern und so entscheiden, wie ich’s für angebracht halte.‹ Ich weiß nicht, ob Sie die nunmehr eingetretene Situation vorausgesehen oder sie intuitiv erahnt haben, oder ob Ihre Äußerung ganz einfach auf das zurückzuführen ist, was diese Frau, die uns hier etwas von einer lebenden Galaxis erzählt, Ihr Talent zum Erkennen des Richtigen nennt. Auf jeden Fall, Sie behalten jetzt recht. Ich bitte Sie um etwas, und zwar im Namen der Föderation. Ich vermute, Ihr Gefühl gibt Ihnen den Wunsch ein, es mir heimzuzahlen, daß ich Sie habe arrestieren und praktisch fortjagen lassen. Ich ersuche Sie jedoch, zu bedenken, daß ich im Sinne des Wohles der gesamten Foundation-Föderation gehandelt habe. Selbst wenn ich falsch vorgegangen sein oder aus hartherzigem Eigeninteresse gehandelt haben sollte, berücksichtigen Sie bitte, daß ich es war, der sich so verhalten hat — nicht die Föderation. Zerstören Sie nun nicht die ganze Föderation, nur um mich für das büßen zu lassen, was ich allein Ihnen angetan habe. Denken Sie daran, daß Sie ein Foundationist und ein Mensch sind, daß Sie niemals eine Nummer in den Plänen der seelenlosen Mathematiker Trantors oder weniger als eine Nummer in einem galaktischen Mischmasch aus Leben und Nichtleben sein möchten. Sie legen Wert darauf, daß Sie, Ihre Nachkommen und Mitmenschen selbständige Organismen im Besitz eines freien Willens bleiben. Alles andere zählt nicht. Andere mögen Ihnen einreden wollen, unser Imperium müsse zu Blutvergießen und Elend führen — aber so muß es keineswegs zwangsläufig kommen. Es liegt innerhalb unserer freien Willensentscheidung, ob es so kommt oder nicht. Wir können uns für eine andere Politik entscheiden. Und in jedem Fall ist es besser, aufgrund einer freien Willensentscheidung einer Niederlage entgegenzugehen, als wie ein Schräubchen in einer Maschine in bedeutungsloser Sicherheit zu existieren. Beachten Sie, daß nun von Ihnen verlangt wird, als Mensch mit freiem Willen eine Entscheidung zu treffen. Diese Wesen auf Gaia sind zu einer Entscheidung unfähig, weil ihr Apparat ihnen keine Entscheidung erlaubt, deshalb sind sie von Ihnen abhängig.