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Derartige Legenden waren es, die ihn seither ständig beschäftigten. Terminus’ Universitätsbibliothek hatte in dieser Hinsicht wenig vorzuweisen, aber im Laufe der Jahre entdeckte er die Vorzüge des interuniversitären Datenaustauschs. In seinem Besitz befanden sich Printouts, die von so weit entfernten Welten wie Ifnia stammten, übermittelt worden waren durch Hyperwellen-Transfer.

Er war Professor für Alte Geschichte geworden und hatte kürzlich — siebenunddreißig Jahre danach — seinen ersten Urlaub genommen, und dafür hatte er den besonderen Vorsatz gefaßt, ihn durch eine Reise in den Weltraum (seine erste) und nach Trantor zu nutzen. Pelorat war sich durchaus darüber im klaren, daß es für einen Bewohner Terminus’ ungewöhnlich war, noch nie im All gewesen zu sein. Allerdings war es nie seine Absicht gewesen, sich auf diese eigentümliche Art hervorzutun. Es lag nur daran, daß immer, wenn ihm ein Flug in den Weltraum möglich gewesen wäre, irgendein neues Buch, eine neue Studie oder eine neuartige Analyse ihm in die Quere kam. Dann schob er jedesmal den vorgesehenen Flug auf, bis er die neue Sache gründlich begutachtet und dem von ihm angesammelten Berg von Erkenntnissen, wenn möglich, eine weitere Tatsache, eine zusätzliche Spekulation oder auch bloß eine Vermutung hinzugefügt hatte. Zuletzt bedauerte er nur, nie eine Reise nach Trantor gemacht zu haben.

Trantor war die Hauptstadt des Ersten Galaktischen Imperiums gewesen. Zwölftausend Jahre lang war sie der Sitz des Kaisers, und davor war sie das Zentrum des bedeutendsten präimperialen Königreichs, das mit der Zeit, nach und nach, alle anderen Reiche erobert oder auf andere Weise sich angeschlossen hatte, und aus all diesen Königreichen war das Imperium entstanden.

Die Stadt Trantor hatte den gesamten Planeten bedeckt, war eine Stadt ganz aus Stahl gewesen. Pelorat hatte darüber in den Werken Gaal Dornicks gelesen, der Trantor noch zu Lebzeiten Hari Seldons selbst besucht hatte.

Dornicks Werk war nicht mehr erhältlich, und das Exemplar, das Pelorat besaß, hätte er für einen Betrag in der Höhe seines halben Jahresgehalts verkaufen können. Aber jeder Vorschlag, sich davon zu trennen, hätte dem Historiker lediglich Entsetzen eingejagt.

Natürlich galt Pelorats hauptsächliches Interesse, was Trantor betraf, der Galaktischen Bibliothek, damals die größte Bibliothek in der Galaxis. Trantor war damals Hauptstadt des größten und am höchsten bevölkerten Imperiums, das die Menschheit je gesehen hatte, eine einzige, lückenlose, planetenweite Stadt mit einer Einwohnerschaft von 40.000.000 000 Menschen, und die Bibliothek hatte alle Zeugnisse der schöpferischen (und auch weniger schöpferischen) menschlichen Tätigkeit gesammelt, die volle Summe des menschlichen Wissens. Und alles war auf so komplexe, komplizierte Weise in Computern gespeichert worden, daß es Experten brauchte, um die Computer zu handhaben.

Am wichtigsten war, die Bibliothek hatte überdauert. Das war für Pelorats Begriffe an ihr das Beachtlichste. Als vor zweieinhalb Jahrhunderten Trantor fiel und geplündert worden war, geschahen dort fürchterliche Verheerungen, und die aus jener Zeit überlieferten Geschichten von Tod und menschlichem Leid eigneten sich nachgerade nicht zur Wiederholung — doch die Bibliothek war erhalten geblieben, weil (wie es hieß) die Studenten der Universität sie unter Einsatz eigens einfallsreich ersonnener Waffen verteidigten und schützten — allerdings nahm man heute vielfach an, der Abwehrkampf der Studenten sei gehörig romantisch verklärt worden.

Auf jeden Fall überstand die Bibliothek die Periode der Verwüstung. Ebling Mis hatte sich mitten auf einer Ruinenwelt in einer intakten Bibliothek betätigen können, als er drauf und dran war, die Zweite Foundation zu entdecken (der Geschichte zufolge, an die Terminus’ Einwohner glaubten, der Historiker jedoch stets Vorbehalte entgegenzubringen pflegten). Die drei Generationen von Darells — Bayta, Toran und Arkady Darell — waren zur einen oder anderen Zeit alle auf Trantor gewesen. Arkady Darell hatte die Bibliothek aber nicht aufgesucht, und seit ihrer Zeit spielte die Bibliothek in der Geschichte der Galaxis keine Rolle mehr.

Eineinviertel Jahrhunderte lang war kein Angehöriger der Foundation auf Trantor gewesen, doch bestand kein Grund zu der Annahme, die Bibliothek sei nicht länger vorhanden. Daß sie keine Beachtung ausgelöst hatte, durfte als sicherster Beweis dafür gelten, daß es sie nach wie vor gab. Ihre Zerstörung hätte gewiß Aufsehen erregt.

Die Bibliothek war überholt und archaisch; sie war es schon zur Zeit Ebling Mis’ gewesen; aber das konnte nur gut sein. Pelorat rieb sich jedesmal, wenn er an eine alte, überholte Bibliothek dachte, angeregt die Hände. Je älter und überholter sie war, um so mehr kam sie dem nahe, was er brauchte. In seinen Träumen betrat er die Bibliothek und fragte in atemloser Beunruhigung: ›Ist die Bibliothek modernisiert worden? Haben Sie alte Spulen und Programme weggeworfen?‹ Und stets antworteten ihm im Traum steinalte, staubige Bibliothekare: ›Wie sie immer war, Professor, so ist sie noch.‹

Und nun sollte sein Traum wahr werden. Die Bürgermeisterin persönlich hatte es ihm zugesichert. Wieso sie überhaupt von seiner Arbeit wußte, war ihm nicht recht klar. Er hatte nur wenige Artikel veröffentlicht. Kaum etwas von seinen Forschungen hatte Hand und Fuß genug, um sich zur Veröffentlichung zu eignen, und was publiziert worden war, hatte anscheinend keinen Eindruck hinterlassen. Aber schließlich hieß es, Branno die Bronzefrau schaue auf Terminus jedem auf die Finger. Nun fühlte sich Pelorat fast dazu imstande, daran zu glauben, aber warum, beim Terminus, erkannte sie denn nicht, wenn sie schon darüber Bescheid wußte, die Wichtigkeit seiner Arbeit und gewährte ihm für diese Zwecke ein bißchen finanzielle Unterstützung?

Irgendwie, dachte er sich ab und zu mit soviel Bitterkeit, wie er zu empfinden vermochte, hatte die Foundation ihren Blick starr in die Zukunft gerichtet. Das künftige Zweite Imperium und ihre damit verknüpfte Bestimmung nahm sie voll in Anspruch. Sie hatte keine Zeit und keine Lust, um zurück in die Vergangenheit zu blicken; und alle, die so etwas taten, erzeugten nur Irritation.

Um so stupider waren sie, das verstand sich von selbst, aber er allein war nicht dazu in der Lage, die Beschränktheit zur Strecke zu bringen. Und vielleicht war es besser so. Auf diese Weise konnte er die große Aufgabe sich selbst allein vorbehalten, und es würde der Tag kommen, da er sich als der herausragende Pionier des Allerwichtigsten in allgemeiner Erinnerung befand.

Freilich bedeutete das (er war intellektuell zu aufrichtig, um sich dieser Einsicht zu verschließen), daß auch er sich von der Zukunft beanspruchen und einspannen ließ; einer Zukunft, in der man ihm die gebührende Anerkennung erwies, in der er als mit Hari Seldon vergleichbares Vorbild galt. Sicherlich würde er Seldon sogar überragen, denn wie sollte die klare Erarbeitung einer tausendjährigen Zukunft standhalten können mit der Erschließung einer verschollenen Vergangenheit von mindestens zwölf Jahrtausenden Dauer?

Und nun war sein großer Tag da; dies war sein großer Tag!

Die Bürgermeisterin hatte ihn auf den Tag nach dem Erscheinen des Seldon-Imagos verwiesen. Nur aus diesem Grund hatte sich Pelorat überhaupt für die Seldon-Krise interessiert, die monatelang jedermann auf Terminus beschäftigte, fast sogar jeden innerhalb der gesamten Föderation.

Für ihn hatte die Frage, ob die Hauptstadt der Föderation hier auf Terminus bleiben oder verlegt werden solle, so gut wie keinen Unterschied gemacht. Und nun, nachdem die Krise überstanden war, blieb er darin unsicher, für welche Seite der strittigen Sache sich Seldon ausgesprochen, ob er den Streitpunkt überhaupt angeschnitten hatte.