Mit fünfzehn Jahren war er an Trantors Galaktischer Universität (wie sie offiziell noch immer hieß) zugelassen worden, nach einer Unterredung, in deren Verlauf er auf die Frage, was seine Ambitionen seien, kaltschnäuzig geantwortet hatte: »Erster Sprecher zu sein, ehe ich vierzig bin.«
Man konnte ihm nicht nachsagen, daß er den Platz des Ersten Sprechers anpeilte, ohne sich zu qualifizieren. Aber ihn einmal, so oder so, einnehmen zu können, das hatte für ihn immer außer Zweifel gestanden. Das wesentliche Ziel war für ihn, es schon in jungen Jahren zu schaffen. Sogar Preem Palver war zweiundvierzig gewesen, als er zum Ersten Sprecher aufstieg.
In der Miene seines Gesprächspartners hatte es bloß gezuckt, als Gendibal ihm diese Auskunft gab, aber der Junge kannte sich mit der Psychosprache schon einfühlsam genug aus, um dies Zucken interpretieren zu können. Er wußte so genau, als habe sein Gegenüber es laut ausgesprochen, daß man seinen Personaldaten nun einen dahingehenden Vermerk hinzufügen würde, daß er ein schwieriger Fall sei.
Nun — natürlich!
Gendibal wollte nichts anderes sein als ein schwieriger Fall.
Jetzt war er dreißig. In den nächsten zwei Monaten würde er einunddreißig werden, und er war bereits Mitglied im Rat der Sprecher. Neun Jahre blieben ihm noch, um Erster Sprecher zu werden, und er wußte, es würde ihm gelingen. Diese Aussprache mit dem Ersten Sprecher war für seine Pläne von entscheidender Bedeutung, und im Bestreben, genau den richtigen Eindruck zu erwecken, hatte er sich alle Mühe gegeben, seine Beherrschung der Psychosprache gründlich aufzufrischen.
Wenn zwei Sprecher der Zweiten Foundation sich verständigen, ähnelt ihre Sprache keiner anderen in der Galaxis. Sie besteht in gleichem Maß aus knappen Gesten wie aus Wörtern; die gegenseitige Wahrnehmung von Veränderungen in den Hirnwellenströmen spielte dabei eine so große Rolle wie alles andere.
Ein Außenstehender hörte wenig oder gar nichts, und doch konnte binnen kürzester Zeit ein ausgiebiger Meinungsaustausch stattfinden. Diese Art und Weise der Verständigung kann man niemandem außer einem weiteren Sprecher wirklich verdeutlichen und begreiflich machen.
Die Vorteile dieser Sprache, deren sich die Sprecher untereinander bedienen, bestehen aus Zeitersparnis und außerordentlicher Differenziertheit des Ausdrucks, doch hat sie den Nachteil, daß es nahezu unmöglich ist, seine wahren Ansichten zu verheimlichen.
Gendibal kannte seine eigene Meinung vom Ersten Sprecher sehr gut. Er sah in dem Ersten Sprecher einen Mann, der den Gipfel seiner geistigen Leistungsfähigkeit überschritten hatte.
Nach Gendibals Einschätzung rechnete der Erste Sprecher mit keiner Krise, war nicht darauf eingestellt, einer zu begegnen, und ermangelte der Entschiedenheit, um sie zu bewältigen, falls eine auftrat. Mit all seiner Gutmütigkeit und Umgänglichkeit war Shandess für Gendibals Begriffe genau der Mann, der beim erstbesten Desaster hilflos dastand.
All das mußte Gendibal nicht nur aus seinen Worten, Gesten und seinem Mienenspiel fernhalten, sondern auch aus seinen Gedanken. Er wußte genau, daß es kein Mittel gab, das so wirksam zu tun, daß der Erste Sprecher nicht wenigstens gewisse Eindrücke davon mitbekam.
Andererseits bemerkte Gendibal zwangsläufig auch ein wenig von den Gefühlen, die der Erste Sprecher ihm entgegenbrachte. Außer Gutmütigkeit und Gutwilligkeit — völlig offenkundig und im großen und ganzen von aufrichtiger Natur — erkannte Gendibal das hintergründige Profil von Leutseligkeit und Belustigung, und er nahm sich noch stärker zusammen, um seinerseits keine Abneigung zu zeigen — oder jedenfalls so wenig wie möglich.
Der Erste Sprecher lächelte und lehnte sich in seinen Sessel. Er legte nicht gerade die Füße auf den Tisch, aber es gelang ihm, haargenau die für so ein Gespräch geeignete Mischung selbstsicherer Unbefangenheit und zwanglosen Wohlwollens auszustrahlen; von jedem eben genug, um Gendibal in Unsicherheit über den Effekt seines Statements zu lassen.
Da Gendibal nicht zum Platznehmen aufgefordert worden war, blieb das Repertoire an Handlungen und Verhaltensweisen, die ihm bei der Minimierung seiner Unsicherheit geholfen hätten, sehr beschränkt. Darüber besaß der Erste Sprecher zweifellos volle Klarheit.
»Der Seldon-Plan bedeutungslos?« meinte Shandess. »Was für eine bemerkenswerte Feststellung! Haben Sie in letzter Zeit einen Blick auf den Hauptradianten geworfen, Sprecher Gendibal?«
»Ich begutachte ihn regelmäßig, Erster Sprecher. Das ist nicht nur meine Pflicht, sondern es bereitet mir auch Vergnügen.«
»Sollte es so sein, daß Sie dann und wann lediglich die Teile betrachten, die in Ihren Zuständigkeitsbereich fallen? Sehen Sie ihn in Mikrobetrachtung — hier ein System von Gleichungen, da eine Korrekturtendenz? Sehr wichtig, das versteht sich von selbst, aber ich habe es immer für eine ausgezeichnete Übung gehalten, ihn ab und zu in seinem gesamtheitlichen Kurs zu beobachten. Es ist nützlich, den Hauptradianten Stück um Stück anzuschauen, aber ihn als Ganzes anzusehen, das ist wahrhaft aufschlußreich. Um die Wahrheit zu sagen, Sprecher, ich habe es selbst lange nicht gemacht. Möchten Sie’s mit mir gemeinsam tun?«
Gendibal wagte nicht allzu lange zu zögern. Es mußte sein, und es mußte ohne Spannungen geschehen, unter angenehmen Umständen, oder es war besser, es zu unterlassen. »Es wird mir eine Ehre und eine Freude sein, Erster Sprecher.«
Der Erste Sprecher betätigte einen Schalter an der Seite seines Tisches. Ein derartiges Pult stand im Büro jedes Sprechers, und das in Gendibals Büro war dem des Ersten Sprechers in keiner Beziehung unterlegen. In all ihren oberflächlichen Manifestationen war die Zweite Foundation eine Gesellschaft Gleichgestellter — also in allen unwichtigen Angelegenheiten. Tatsächlich bestand das einzige offizielle Vorrecht des Ersten Sprechers darin, was bereits sein Titel zum Ausdruck brachte — er sprach immer zuerst. Das erschwerte es, nicht seiner Meinung zu sein.
Der Raum verdunkelte sich, sobald er die Schaltung vornahm, aber fast sofort wich die Dunkelheit einem perlfarbenen Dämmerlicht. Die beiden Wände nahmen eine leicht cremige Färbung an, glommen dann immer weißer und heller, bis man schließlich auf ihnen in sauberen Umrissen Gleichungen erkennen konnte — so klein jedoch, daß sie sich nicht ohne weiteres lesen ließen.
»Wenn Sie keine Einwände haben«, sagte der Erste Sprecher, der keinen Zweifel daran erlaubte, daß er keine Einwände erwartete, »werden wir die Vergrößerung etwas reduzieren, damit wir soviel auf einmal sehen können, wie’s geht.«
Die fein säuberlichen Gleichungen schrumpften zu haarfein dünnen Linien zusammen, einer zierlichen schwarzen Maserung auf dem perlweißen Hintergrund.
Der Erste Sprecher berührte die Tasten eines kleinen, in die Armlehne seines Sessels eingebauten Steuergeräts. »Wir werden zum Anfang zurückkehren, in die Zeit Hari Seldons, und dann eine geringfügige Vorwärtsbewegung vornehmen. Den Rest blenden wir ab, so daß wir jeweils nur ein Jahrzehnt des Zeitstroms sehen. Das vermittelt einem ein wunderbares Gefühl für den Ablauf der Geschichte, ohne daß man durch Details abgelenkt wird. Sind Sie schon einmal so verfahren?«
»Nicht auf exakt diese Weise, Erster Sprecher.«
»Ich kann’s Ihnen nur empfehlen. Es ist ein wundervolles Gefühl. Beachten Sie am Anfang die Spärlichkeit der schwarzen Adern. In den ersten Dekaden war die Wahrscheinlichkeit von Alternativen gering. Mit der Zeit jedoch häufen sich die Abzweigpunkte erheblich. Wäre nicht die Tatsache, daß mit jeder Verzweigung eine bedeutende Anzahl anderer Alternativen in der Zukunft getilgt wird, das alles wäre bald unüberschaubar. Natürlich müssen wir im Umgang mit der Zukunft größte Umsicht in der Beziehung walten lassen, auf welche Tilgungen wir die Entwicklung stützen.«