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»Ich weiß, Erster Sprecher.« Gendibal vermochte in seiner Antwort eine gewisse Gelangweiltheit nicht ganz zu unterdrücken.

Der Erste Sprecher achtete nicht darauf. »Sehen Sie sich diese rote, gewundene Linie von Symbolen an. Sie folgt bestimmten Regeln. Nach oberflächlicher Denkweise müßten die Symbole sich durch Willkürlichkeit und Zufälligkeit auszeichnen, so eben, wie jeder Sprecher sich seinen Rang verdient, indem er zu Seldons ursprünglichem Plan Verbesserungen und Konkretisierungen erarbeitet. Man könnte meinen, daß es keinen Weg gibt, um im voraus zu wissen, wo sich eine Verbesserung ohne Schwierigkeiten anbringen läßt, oder wohin die Interessen oder Fähigkeiten dieses oder jenes Sprechers gehen werden, und doch habe ich schon immer vermutet, daß das Zusammenspiel von Seldon-Schwarz und Sprecher-Rot einer strikten Gesetzmäßigkeit unterliegt, die in der Hauptsache von der Zeit und sehr wenig anderem abhängig ist.«

Gendibal sah die Jahre verstreichen, während die haarfeinen Linien in Rot und Schwarz ein ineinander verschlungenes Muster von nahezu hypnotischer Wirksamkeit bildeten. Das Muster als solches war natürlich ohne Bedeutung; was zählte, waren die Symbole, aus denen sich die Darstellung zusammensetzte.

Da und dort entstand bisweilen ein blauer Ausläufer, bauchte sich aus, verzweigte sich, machte sich überdeutlich bemerkbar, dann fiel er plötzlich wieder zusammen und verschwand im Rot oder Schwarz.

»Abweichungs-Blau«, konstatierte der Erste Sprecher, und die zwei Männer spürten zwischen sich das Gefühl des Unbehagens, das von ihnen beiden ausging. »Immer wieder haben wir’s eingedämmt, aber schließlich kommen wir doch ins Jahrhundert der Abweichung.«

Und es kam. Man konnte präzise ersehen, wann das Störphänomen, verbunden mit dem Auftreten des Fuchses, zeitweilig die ganze Galaxis beeinflußte, denn der Hauptradiant schien plötzlich in zahllose blaue Ausläufer zu zerfasern, weit mehr, als sich zur gleichen Zeit tilgen ließen, bis die ganze Räumlichkeit bläulich zu leuchten schien, während die blauen Linien sich verdickten und die Wand in immer grellerer, aufdringlicherer Verunreinigung (anders konnte man es nicht nennen) verfärbten.

Das Blau überschritt seine stärkste Ausdehnung, begann abzunehmen, sich zu verdünnen, floß für die Dauer eines langen Jahrhunderts zusammen, bis es am Ende versickerte. Als es fort war und der Seldon-Plan wieder überwiegend aus Rot und Schwarz bestand, erkannte man unmißverständlich, daß Preem Palver seine Hand im Spiel gehabt hatte.

Und weiter, weiter…

»Jetzt sind wir in der Gegenwart«, bemerkte der Erste Sprecher wie zum Trost.

Weiter, weiter…

Dann mündeten die Linien in einen wahren Knoten von dicht verflochtenem Schwarz und Rot, von dem das Rot allerdings den kleinsten Teil ausmachte. »Das ist die Errichtung des Zweiten Imperiums«, sagte der Erste Sprecher.

Er schaltete die Darstellung des Hauptradianten ab, und im Raum flammte wieder die normale Beleuchtung auf.

»Das war ein wirklich emotionales Erlebnis«, sagte Gendibal.

»Ja.« Der Erste Sprecher lächelte. »Und Sie hüten sich, Ihre Emotion beim Namen zu nennen, soweit es überhaupt möglich ist, über sie im unklaren zu bleiben. Doch egal. Lassen Sie mich zusammenfassen, was ich zu verdeutlichen wünsche. Zunächst einmal dürfte Ihnen sicherlich das nahezu völlige Ausbleiben von Abweichungs-Blau nach der Zeit Preem Palvers aufgefallen sein — mit anderen Worten, während der vergangenen zwölf Jahrzehnte. Sie werden auch bemerkt haben, daß für die kommenden fünf Jahrhunderte keine nennenswerte Wahrscheinlichkeit zu Gunsten einer Abweichung oberhalb der Klasse Fünf besteht. Bestimmt wissen Sie auch, daß wir damit begonnen haben, mit unseren verfeinerten Methoden der Psychohistorie über die Errichtung des Zweiten Imperiums hinaus unsere Pläne zu schmieden. Wie Ihnen zweifellos ebenso bekannt ist, war Hari Seldon zwar ein überragendes Genie, aber nicht allwissend, konnte es nicht sein. Wir sind über ihn hinausgewachsen. Wir verstehen mehr von der Psychohistorie, als er jemals wissen konnte. Seldon beendete seine Berechnungen mit dem Zweiten Imperium, aber wir blicken weiter voraus. In der Tat, wenn ich es einmal so offenherzig ausdrücken darf, ohne daß Sie daran Anstoß nehmen, ist der neue Hyperplan, der über den Aufbau des Zweiten Imperiums hinaus Gültigkeit haben soll, größtenteils mein Werk, und ihm verdanke ich meine gegenwärtige Position. Das alles sage ich Ihnen, damit wir uns überflüssiges Gerede sparen können. Wie gelangen Sie angesichts all dessen zu der Schlußfolgerung, der Seldon-Plan könne bedeutungslos sein? Er ist ohne jeden Makel. Bei allem angebrachten Respekt vor Preem Palvers Leistungen, die bloße Tatsache, daß der Plan als solcher das Jahrhundert der Abweichung überstanden hat, ist der beste Beweis für seine Fehlerlosigkeit. Wo soll denn seine Schwäche liegen, junger Mann, aufgrund der Sie den Plan als bedeutungslos anprangern?«

Gendibal straffte sich, stand in steifer Haltung da. »Sie haben recht, Erster Sprecher. Der Seldon-Plan ist makellos.«

»Sie ziehen Ihre Behauptung also zurück?«

»Nein, Erster Sprecher. Sein Fehler besteht in seiner Makellosigkeit. Seine Makellosigkeit ist fatal.«

19

Der Erste Sprecher musterte Gendibal mit Gleichmut. Er hatte alle Arten seiner Ausdrucksformen zu kontrollieren gelernt, und es amüsierte ihn insgeheim, zu sehen, wieviel Gendibal in dieser Beziehung noch zu lernen hatte. Bei jedem Wortwechsel gab der junge Mann sich alle Mühe, seine Empfindungen zu verbergen, und jedesmal völlig ohne Erfolg.

Leidenschaftslos betrachtete Shandess ihn. Er war ein hagerer junger Mann von kaum mehr als mittlerer Körpergröße, mit schmalen Lippen und knochigen, unruhigen Händen. Er besaß dunkle, humorlose Augen, die sich durch eine Neigung zu gelegentlichem Aufglühen auszeichneten.

Der Erste Sprecher wußte, Gendibal würde sich seine Überzeugungen nicht leicht ausreden lassen.

»Sie äußern sich in Paradoxa, Sprecher«, sagte er.

»Es klingt wie ein Paradoxon, Erster Sprecher, weil wir am Seldon-Plan so vieles als selbstverständlich nehmen, uns mit so vielem daran abfinden, ohne es zu hinterfragen.«

»Und was ist es, das Sie in Frage stellen?«

»Die ganze Grundlage des Plans. Wir alle wissen, daß der Plan nicht funktionieren kann, wenn seine Natur — oder nur seine bloße Existenz — zu vielen von jenen bekannt wird, deren Verhalten er voraussehbar machen soll.«

»Ich glaube, davon hatte Hari Seldon durchaus eine Ahnung. Ich glaube, diese Einsicht hat er sogar zu einem seiner beiden grundlegenden Axiome der Psychohistorie gemacht.«

»Er hat den Fuchs nicht vorausgesehen, Erster Sprecher, und daher nicht das Ausmaß erwartet, in dem die Zweite Foundation bei den Leuten der Ersten Foundation zur fixen Idee geworden ist, sobald ihnen der Fuchs die Wichtigkeit der Zweiten Foundation offenbart hatte.«

»Hari Seldon…« In diesem Moment schauderte der Erste Sprecher zusammen und verstummte.

Hari Seldons Aussehen war allen Mitgliedern der Zweiten Foundation wohlbekannt. Bildnisse seiner Person, in zwei und drei Dimensionen — photographisch und holographisch —, als Basrelief und allseitig lebensechte Statuetten, im Sitzen und im Stehen, waren überall verbreitet. Sie alle zeigten ihn in seinen letzten Lebensjahren. Alle zeigten einen alten, würdevollen Mann, das Gesicht von der Weisheit des Alters runzlig, Verkörperung einer Quintessenz des ausgereiften Genies.

Doch in diesem Augenblick erinnerte sich der Erste Sprecher daran, einmal ein Foto gesehen zu haben, das Seldon angeblich als jungen Mann zeigte. Das Foto genoß keine offizielle Anerkennung, zumal man die Vorstellung eines jungen Seldon nahezu als buchstäblichen Widerspruch empfand. Aber Shandess hatte es gesehen, und jetzt hatte er plötzlich den Eindruck gehabt, daß Stor Gendibal dem jungen Seldon bemerkenswert ähnlich sehe.