Lächerlich! Das war die Art von abergläubischer Anwandlung, wie sie jeden einmal befiel, wie vernünftig er auch sein mochte. Eine entfernte Ähnlichkeit mußte ihn getäuscht haben. Läge die Photographie hier vor ihm, er hätte sich sofort dessen vergewissern können, daß die scheinbare Ähnlichkeit nur auf einem Irrtum beruhte. Doch warum sollte diese alberne Idee ihm ausgerechnet jetzt in den Sinn gekommen sein?
Er gewann seine Gefaßtheit zurück. Er hatte nur einen Moment lang gestutzt, als seien seine Gedanken abgeirrt, zu flüchtig, als daß irgend jemand außer einem anderen Sprecher es überhaupt gemerkt hätte, und Gendibal mochte sein Stocken ruhig interpretieren, wie es ihm paßte.
»Hari Seldon«, begann er erneut, diesmal mit ganz fester Stimme, »wußte sehr gut, daß er eine unendliche Zahl von Möglichkeiten nicht voraussehen konnte, und aus eben diesem Grund hat er die Zweite Foundation gegründet. Auch wir haben den Fuchs nicht vorausgesehen, aber wir sahen ihn, als er auftrat, und wir haben seine Absichten vereitelt. Wir haben die nachfolgende Besessenheit der Ersten Foundation, was uns angeht, nicht absehen können, aber als sie sich bemerkbar machte, haben wir sie bemerkt und darunter einen Schlußstrich gezogen. Was an all dem können Sie denn nur fehlerhaft finden?«
»Jedenfalls den Umstand«, erwiderte Gendibal, »daß die Erste Foundation sich noch längst nicht das letzte Mal mit uns beschäftigt hat.«
In der Art und Weise, wie Gendibal redete, ließ sich ein unverkennbares Nachlassen des Respekts spüren. Er hatte (schlußfolgerte Shandess) das kurze Beben in der Stimme des Ersten Sprechers bemerkt und als Verunsicherung ausgelegt. Dem mußte entgegengewirkt werden.
»Lassen Sie mich ein wenig vorgreifen«, sagte der Erste Sprecher lebhaft. »Es kann ohne weiteres in den Reihen der Ersten Foundation Personen geben, die die hektischen Probleme der ersten nahezu vier Jahrhunderte ihres Bestehens mit der Geruhsamkeit des letzten eineinviertel Jahrhunderts vergleichen und aufgrund dessen zu der Auffassung gelangen, so etwas könne gar nicht sein, kümmere sich nicht nach wie vor die Zweite Foundation um die Einhaltung des Seldon-Plans — und natürlich hätten sie mit dieser Ansicht vollkommen recht. Ihre Schlußfolgerung wird gewiß sein, daß es also doch nicht gelungen ist, die Zweite Foundation aus der Welt zu schaffen — und natürlich lägen sie damit völlig richtig. Tatsächlich gibt’s auf Terminus, der Hauptwelt der Ersten Foundation, einen jungen Mann, einen ihrer Regierungsvertreter, der von dem, was ich gerade dargestellt habe, restlos überzeugt ist. Das ist uns berichtet worden. Ich habe seinen Namen vergessen…«
»Golan Trevize«, half Gendibal gedämpft nach. »Ich selbst war’s, der diese Sache erstmals berichtsweise erwähnt hat, und ich habe persönlich veranlaßt, daß der Fall an Ihr Büro weitergeleitet wird.«
»Ach?« meinte der Erste Sprecher mit übertriebener Höflichkeit. »Und wodurch hat er Ihre Aufmerksamkeit erregt?«
»Einer unserer Agenten hat einen sehr detaillierten Bericht über die neu in den Verwaltungsrat gewählten Ratsmitglieder geliefert — absoluter Routinekram, wie er allen Sprechern zugeht und normalerweise von allen nicht sonderlich beachtet wird, mich keineswegs ausgenommen. Hier jedoch bin ich durch die Beschreibung des Naturells dieses Golan Trevize aufmerksam geworden. Er kam mir ungewöhnlich selbstbewußt und streitlustig vor. Anhand dieser Schilderung…«
»Sie haben einen verwandten Geist erkannt, nicht wahr?«
»Durchaus nicht«, entgegnete Gendibal harsch. »Anscheinend handelt es sich um eine unbesonnene Person, der es Freude macht, Unfug zu treiben, eine Beschreibung, die nicht unbedingt, wie ich zu behaupten wage, auf mich zutrifft. Wie auch immer, ich habe eine gründlichere Personenstudie angefordert. Ich habe nicht lange gebraucht, um festzustellen, daß er bei uns ein tüchtiger Foundationist geworden wäre, hätten wir ihn in jüngeren Jahren rekrutieren können.«
»Vielleicht«, sagte der Erste Sprecher. »Aber Sie wissen, wir rekrutieren auf Terminus nicht.«
»Das weiß ich sehr genau. Doch ganz gleich, selbst ohne unsere Art von Ausbildung und Schulung besitzt er eine außergewöhnliche Intuition. Natürlich ist sein Denken durch und durch disziplinlos. Es hat mich daher nicht besonders überrascht zu erfahren, er ist auf die Tatsache gestoßen, daß die Zweite Foundation noch existiert.«
»Und aus Ihrem Verhalten glaube ich zu ersehen, daß sich eine neue Entwicklung ergeben hat.«
»Nachdem er dank seiner ausgeprägten intuitiven Begabung die Tatsache erkannt hatte, daß wir noch existieren, hat er von dieser Erkenntnis auf eine geradezu charakteristisch undisziplinierte Weise Gebrauch gemacht und ist infolgedessen von Terminus verbannt worden.«
Der Erste Sprecher hob die Brauen. »Sie schweigen unvermittelt. Das heißt, Sie möchten, daß ich die Bedeutung dieses Vorgangs interpretiere. Wenn ich ohne Hinzuziehung meines Computers, nur im Kopf, eine annäherungsweise Anwendung von Seldons Gleichungen vornehme, gelange ich zu dem Ergebnis, daß da eine raffinierte Bürgermeisterin, durchaus des Verdachts fähig, die Zweite Foundation könne unverändert existieren, es lieber sieht, daß ein disziplinloses Individuum diesen Sachverhalt nicht öffentlich herumposaunt, denn dadurch könnte die Zweite Foundation auf eine Gefahr aufmerksam werden. Ich gehe also davon aus, daß Branno die Bronzefrau entschieden hat, Terminus ist ohne Trevize besser dran und sicherer, als wenn er dort seinen Unsinn treibt.«
»Sie hätte Trevize einsperren oder sang- und klanglos liquidieren lassen können.«
»Die Gleichungen sind unverläßlich, wenn man sie auf Einzelpersonen anwendet, das wissen Sie ja selber. Sie gelten nur für Menschenmassen. Individuelles Verhalten ist unberechenbar, so daß man unterstellen darf, daß die Bürgermeisterin, die ja ein menschliches Individuum ist, es als unangebrachte Grausamkeit empfindet, jemanden einfach einzusperren, gar nicht davon zu reden, ihn zu ermorden.«
Für eine Weile bewahrte Gendibal Schweigen. Die Stille, die unterdessen zwischen den beiden Männern herrschte, glich einem vielsagenden Nichts, und er ließ sie gerade lange genug dauern, um dem Ersten Sprecher Mißbehagen und Unsicherheit einzuflößen, aber wiederum nicht so lange, daß daraus Verärgerung und eine Abwehrhaltung entstanden wäre. Vielmehr bemaß er sein Timing auf die Sekunde genau.
»Meine Interpretation lautet anders«, sagte er dann. »Ich glaube, daß Trevize gegenwärtig als Stoßkeil der größten Bedrohung herhält, der die Zweite Foundation in ihrer Geschichte je ausgesetzt war. Einer größeren Gefahr als der Fuchs!«
20
Gendibal war zufrieden. Die Wucht seiner Feststellung wirkte gut. Mit dergleichen hatte der Erste Sprecher nicht gerechnet, und daher war er aus dem Gleichgewicht gebracht worden. Von diesem Moment an beherrschte Gendibal das Gespräch. Falls er daran noch irgendwelche Zweifel hegte, so verschwanden sie mit Shandess’ nächster Äußerung.
»Hat das irgend etwas mit Ihrer Behauptung zu tun, der Seldon-Plan sei bedeutungslos?«
Gendibal setzte auf komplette Sicherheit, antwortete in diktatorischem Stil, so daß der Erste Sprecher keine Chance erhielt, die Fassung zurückzugewinnen. »Erster Sprecher«, sagte er, »es ist nachgerade ein Glaubensartikel, daß es Preem Palver war, der nach den wirren Abirrungen des Jahrhunderts der Abweichung den Seldon-Plan restauriert hat. Unterziehen Sie den Hauptradianten einer genauen Analyse, und Sie werden sehen, daß die Abweichungen erst zwei Jahrzehnte nach Palvers Tod verschwinden und daß seither so gut wie keine Abweichungen mehr aufgetreten sind. Das könnte ein Verdienst der Ersten Sprecher nach Palver sein, ist jedoch unwahrscheinlich.«
»Unwahrscheinlich? Zugegeben, keiner von uns ist ein Palver gewesen, aber… — unwahrscheinlich?«
»Erlauben Sie mir, zu demonstrieren, was ich meine, Erster Sprecher? Anhand der Mathematik der Psychohistorie kann ich eindeutig nachweisen, daß die Wahrscheinlichkeit eines totalen Ausbleibens von Abweichungen zu mikroskopisch klein ist, als daß sie sich infolge von irgend etwas, wozu die Zweite Foundation imstande ist, erklären läßt. Sie brauchen Ihre Einwilligung nicht zu geben, falls Sie gegenwärtig keine Zeit haben oder Ihnen an der Demonstration, die bei konzentriertem Vorgehen etwa eine halbe Stunde beanspruchen wird, nicht gelegen ist. Alternativ wäre es möglich, eine Sitzung der Sprecher einzuberufen und die Demonstration dort vorzunehmen. Aber das würde für mich einen Zeitverlust und für uns alle möglicherweise eine unnötige Kontroverse bedeuten.«