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Aber man mußte immer mit einer Ausnahme rechnen…

»Gedankenkontrolle, Bürgermeisterin Branno?« fragte Golan Trevize, der durch den Mittelgang schlenderte und so laut sprach, als wolle er für das Schweigen der anderen einen Ausgleich schaffen. Er zog es vor, nicht an seinem Platz zu bleiben, der sich — weil er ein neues Mitglied war — in der letzten Reihe befand.

Nach wie vor blickte die Branno nicht auf. »Ratsherr Trevize«, erkundigte sie sich, »wie lauten Ihre Ansichten?«

»Daß die Regierung nicht das Recht der freien Meinungsäußerung antasten darf, daß alle Individuen — und zweifelsfrei auch die Ratsherren und Ratsdamen, die man zu eben diesem Zweck gewählt hat — das Recht besitzen, politische Tagesfragen zu diskutieren, und daß möglicherweise keine politische Angelegenheit mehr ohne Berücksichtigung des Seldon-Plans behandelt werden kann.«

Die Branno faltete die Hände und hob den Blick. Ihr Gesicht war ausdruckslos. »Ratsherr Trevize«, sagte sie, »Sie sind in diese Debatte ohne Beachtung der Form und außer der Ordnung eingetreten. Aber ich habe Sie gebeten, Ihre Ansichten zu äußern, und deshalb will ich Ihnen nun antworten. Im Kontext des Seldon-Plans ist eine Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nicht beabsichtigt. Nur der Plan selbst erlegt uns aufgrund seiner Natur gewisse Beschränkungen auf. Man kann Ereignisse auf mancherlei Weise interpretieren, ehe das Seldon-Imago schließlich eine Entscheidung herbeiführt, sobald sie jedoch feststeht, kann es darüber im Verwaltungsrat keine weiteren Diskussionen geben. Man kann die Entscheidung auch nicht vorher in Frage stellen, etwa indem man sagt: ›Falls Hari Seldon dies und jenes konstatiert, wird’s ein Irrtum sein.‹«

»Und wenn jemand aufrichtig so empfindet, verehrte Bürgermeisterin?«

»Dann darf er es als Privatperson und in privatem Rahmen sagen.«

»Sie meinen also, daß die Einschränkung der Meinungsäußerung, die Sie vorschlagen, mit ausdrücklicher Ausschließlichkeit für Vertreter der Regierung gelten soll?«

»Genau! Und dabei handelt es sich keineswegs um ein neuartiges Prinzip der Foundations-Gesetze. Es ist vielmehr bereits von Bürgermeistern aller Parteien angewendet worden. Eine Privatmeinung ist unwichtig. Eine offiziöse Meinungsäußerung dagegen hat Gewicht und kann gefährlich sein. Wir sind nicht so weit gekommen, um uns überflüssigen Gefahren auszusetzen.«

»Darf ich darauf hinweisen, Bürgermeisterin, daß das von Ihnen erwähnte Prinzip nur äußerst selten und bei besonderen Gelegenheiten zur Anwendung gelangt ist? Nie ist es auf etwas von solcher Tragweite und Undefinierbarkeit wie den Seldon-Plan angewendet worden.«

»Der Seldon-Plan muß am dringendsten gesichert werden, denn er ist genau der Punkt, wo Kleinmut sich am verhängnisvollsten auswirken kann.«

»Möchten Sie sich nicht wenigstens einmal mit dem Gedanken befassen, Bürgermeisterin…« Trevize drehte sich um und wandte sich nun an die übrigen Ratsmitglieder, die in den Sitzreihen auf ihren Plätzen saßen und die anscheinend alle den Atem anhielten, als warteten sie auf den Ausgang eines Duells. »Möchten Sie, werte Ratskollegen, sich nicht wenigstens einmal ernsthaft mit dem Gedanken befassen, daß aller Grund zu der Annahme besteht, es gibt gar keinen Seldon-Plan?«

»Wir alle haben heute mitansehen können, wie sehr er sich bewährt«, entgegnete Bürgermeisterin Branno, die im gleichen Maß immer klarere Ruhe ausstrahlte, wie sich Trevize erhitzte und seine Rednerkünste bemühte.

»Eben das, was wir heute erlebt haben, ehrenwerte Ratsherren und Ratsdamen, zeigte uns, daß der Seldon-Plan, so wie er uns eingetrichtert worden ist, nicht existieren kann!«

»Ratsherr Trevize, Sie reden hier außerhalb der Ordnung und dürfen Ihre Ausführungen daher jetzt nicht fortsetzen.«

»Ich kann mich auf die Befugnisse meines Amtes berufen, Bürgermeisterin.«

»Die Amtsbefugnisse sind Ihnen soeben entzogen worden, Ratsherr.«

»Die Befugnis zum Reden vor dem Rat können Sie mir nicht entziehen. Ihre Darlegungen bezüglich der Einschränkung der Redefreiheit besitzen als solche keinerlei Gesetzeskraft. Im Rat hat keine Abstimmung über diese Sache stattgefunden, Bürgermeisterin, und selbst wenn’s so wäre, hätte ich das Recht, ihre Rechtmäßigkeit anzuzweifeln!«

»Der Entzug Ihrer Amtsbefugnisse, Ratsherr, steht in keinem Zusammenhang mit meinen Anregungen zur Absicherung des Seldon-Plans.«

»Mit was haben sie denn zu tun?«

»Sie werden des Verrats beschuldigt, Ratsherr. Ich möchte dem Verwaltungsrat ungern die Unhöflichkeit zumuten, Sie hier im Beratungssaal festnehmen zu lassen, aber am Ausgang warten Angehörige der Sicherheit, um Sie in Gewahrsam zu nehmen, sobald Sie den Saal verlassen. Ich bitte Sie, nun ohne weiteres Aufsehen zu gehen. Sollten Sie sich jedoch unbedachte Handlungen erlauben, müssen sie als akute Bedrohung aufgefaßt werden, und die Leute der Sicherheit müssen den Saal betreten. Ich hoffe, Sie werden so etwas nicht erforderlich machen.«

Trevize stand wie versteinert da. Im Saal herrschte absolute Stille. (Hatten alle das erwartet — alle außer ihm selbst und Compor?) Er schaute hinüber zu den Türen. Im Moment war nichts zu sehen, aber er war sicher, daß Bürgermeisterin Branno keineswegs bluffte.

»Ich… ich bin Vertreter ei-eines bedeutenden Teils der Wählerschaft, Bürgermeisterin Branno…«, stammelte er voller Wut.

»Bestimmt werden Ihre Wähler von Ihnen enttäuscht sein.«

»Anhand welcher Beweise erheben Sie diese groteske Anschuldigung?«

»Die Beweise werden zu gegebener Zeit vorgelegt. Sie dürfen sicher sein, daß wir alles haben, was wir brauchen. Sie sind ein recht indiskreter junger Mann und sollten sich merken, daß jemand Ihr Freund sein kann und doch nicht dazu bereit, mit Ihnen zusammen Verrat zu begehen.«

Trevize fuhr herum und starrte in Compors blaue Augen. Sie hielten seinem Blick stand, als seien sie aus Stein.

»Ich rufe alle Anwesenden zu Zeugen dafür auf«, sagte Bürgermeisterin Branno ruhig, »daß sich nach meiner letzten Feststellung Ratsherr Trevize umgedreht und Ratsherr Compor angeschaut hat. Werden Sie nun gehen, Ratsherr, oder gedenken Sie uns zu der Würdelosigkeit einer Festnahme in diesem Beratungssaal zu zwingen?«

Golan Trevize wandte sich ab, stieg die Stufen hinauf, und als er den Ausgang erreichte, traten ihm zwei bewaffnete Männer in Uniform entgegen.

»Narr«, flüsterte Harla Branno durch kaum geöffnete Lippen, während sie ihm mit gleichgültiger Miene nachblickte.

3

Seit Bürgermeisterin Brannos Amtszeit begonnen hatte, war Liono Kodell Direktor des Sicherheitsbüros.

Seine Tätigkeit war nicht allzu aufreibend, wie er zu äußern pflegte, aber man konnte nicht sagen, ob er log oder die Wahrheit sprach. Er sah nicht wie ein Lügner aus, doch das mußte nicht unbedingt etwas bedeuten.

Er wirkte wie ein gemütlicher und freundlicher Mensch, und möglicherweise war ein solches Aussehen gerade für seinen Posten am angebrachtesten. Seine Körpergröße lag unter dem Durchschnitt, wogegen sein Körpergewicht überdurchschnittlich war; er hatte einen struppigen Schnurrbart (sehr ungewöhnlich für einen Bürger von Terminus), mehr weiß als grau, braune Augen, und er wies an der äußeren Brusttasche seines ansonsten einfarbigen Overalls eine Kennzeichnung in einer Grundfarbe auf.

»Nehmen Sie Platz, Trevize!« sagte er. »Wir wollen uns, wenn’s geht, auf freundschaftlicher Basis unterhalten.«

»Freundschaftlich? Mit einem Verräter?« Trevize hakte beide Daumen in seinen Gürtel und blieb stehen.

»Bis jetzt sind Sie nur des Verrats beschuldigt. Wir sind noch nicht dahin gekommen, daß eine Anschuldigung, auch wenn sie vom Bürgermeister selbst erhoben wird, bereits eine Verurteilung ist. Ich nehme an, dazu wird’s nie kommen. Meine Aufgabe ist’s, Sie von dieser Anschuldigung zu entlasten, wenn ich’s kann. Ich würde das gerne so schnell wie möglich erledigen, solange noch kein Schaden entstanden ist — außer vielleicht, was Ihren Stolz angeht —, statt es auf eine öffentliche Verhandlung dieser Angelegenheit ankommen zu lassen. Ich hoffe, wir sind uns diesbezüglich einig.«