»Welche Grundlage hat dies Gefühl?« erkundigte sich die Delarmi schockiert.
Erster Sprecher Shandess blickte betrübt in die Runde.
»Leider kann ich auf keinerlei konkrete Grundlagen verweisen. Die psychohistorische Mathematik hat keine Ergebnisse erbracht, aber während ich das Ineinandergreifen der verschiedenen Bezüge beobachtet habe, hatte ich irgendwie den Eindruck, daß Trevize zu allem der Schlüssel ist. Wir müssen diesem jungen Mann unsere Aufmerksamkeit schenken.«
25
Gendibal sah ein, er würde nicht rechtzeitig zurückkehren, um an der Sitzung der Tafel der Sprecher teilnehmen zu können. Möglicherweise würde er niemals zurückkehren.
Man hielt ihn roh fest, und er tastete auf mentaler Ebene verzweifelt nach einer Möglichkeit rundum, wie er die Männer am günstigsten zwingen könne, ihn freizugeben.
Rufirant hatte sich inzwischen großkotzig vor ihm aufgebaut. »Bist nu fertig, Forscher? Hieb fier Hieb, Schlag fier Schlag, wie bei anständigen Hamer ieblich. Nu kumm, du bist kleener, du darfst als erster zuhauen!«
»Wird jemand Sie auch festhalten«, meinte Gendibal, »so wie mich?«
»Laßt ihm los!« sagte Rufirant. »Nee, nee, nur sein Arme. Laßt sein Arme los, aber haltet sein Beine fest! Wir wollen hier kein Tanzerei.«
Gendibal spürte, wie man seine Beine am Boden festhielt. Seine Arme gab man frei.
»Hau zu, Forscher!« sagte Rufirant. »Gibt mir ersten Schlag!«
Da fand Gendibals mentales Tasten etwas, das einen Ausweg bot — Empörung, die Empfindungen von Unrechtsbewußtsein und Mitgefühl. Ihm blieb keine Wahl, er mußte das Risiko eingehen und diese Gemütslage regelrecht verstärken, dann etwas improvisieren, das auf der Grundlage…
Doch das war gar nicht nötig! Er hatte das entsprechende Bewußtsein nicht im mindesten beeinflußt, da erfolgte bereits eine Reaktion, wie er sie sich wünschte. Genau so.
Zuerst bemerkte er eine kleine Gestalt, die sich mit wüstem Nachdruck in sein Blickfeld drängte, untersetzt, langes schwarzes Haar, die Arme ausgestreckt, die nun wie irrsinnig an dem hünenhaften Farmer zerrten.
Die Gestalt gehörte einer Frau. Grimmig erkannte Gendibal einen Beweis seiner inneren Anspannung und Belastung, daß er diese Tatsache nicht bemerkt hatte, bis seine Augen sie ihm unübersehbar mitteilten.
»Karoll Rufirant«, schrie die Frau den Farmer an, »Klotz und Feigling! Hieb um Hieb, nach Hamer-Art?! Du bist zweimal so groß wie das Foscher hier. War gefährlicher, mich anzugreifen. Willst ’n Ruf kriegen, ein arm Knilch zerhauen zu haben? War ’ne Schande, glaub ich. Mit Fingern werden’s auf dich zeigen, und reden wird man: ›Das is der Rufirant, ein bekannter Kinderfresser‹. Ieber dich lachen werden’s, glaub ich, kein anständig Hamer wird kienftig mit dir saufen, kein anständig Hamer-Frau wird dich anschauen.«
Rufirant versuchte, den Redeschwall einzudämmen und gleichzeitig die Schläge abzuwehren, die ihm die Frau versetzte. »Aber, Sura«, stammelte er in schwächlicher Bemühung, sie zu besänftigen, »aber, aber, Sura.«
Gendibal bemerkte, daß ihn nicht länger Hände umklammerten, daß Rufirant ihn nicht mehr anstierte, sich keiner der Umstehenden noch mit ihm befaßte.
Auch Sura beschäftigte sich nicht mit ihm; in ihrem Zorn widmete sie sich ausschließlich Rufirant. Gendibal, der rasch seine Fassung wiedergewann, dachte nun daran, Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Zorn wachzuhalten und die mißbehagliche Scham, die jetzt Rufirants Bewußtsein überschwemmte, zu verstärken, beides so behutsam und geschickt zu tun, daß keine Spuren zurückblieben. Doch auch diesmal erwies seine Absicht sich als überflüssig.
»Weg mit euch alle!« sagte die Frau. »Das seh’ sich mal einer an! Nich genug, daß der Klotz Karoll wie ein Riese is neben dem Knilchlein da, nee, fienf oder sechs oder mehr von sein Kumpels-Freunde machen mit in diese Schande von ein ruhmreich Geschicht in Kinderfresserei. Ich hab dem Knilch sein Arm gehalten, könnt ihr sagen, und der riesig Klotz Rufirant hat ihm in die Gosch gehauen, wo er nicht wiederhauen konnt. Und ich hab sein Fuß gehalten, werdet ihr sagen, mich müßt ihr auch zujubeln. Und der Klotz Rufirant wird sagen, ich konnt ihm nicht packen, aber mein Kumpels-Freunde haben ihm festgehalten, und mit Hilf von alle sechs hab ich ihm eine gesemmelt.«
»Aber, Sura«, sagte Rufirant fast weinerlich, »ich hab dem Forscher gesagt, er kann ersten Schlag fiehren.«
»Und wie du dich gefierchtet hast vor den mächtig Schläg von sein dienne Arm, was, Grobklotz Rufirant? Nu kommt! Laßt ihm gehen, wohin er gehen will, und der Rest von euch kriecht nu heimwärts, wenn ihr was drum gebt, daß sie daheim noch ein Willkomm fier euch haben. Ihr tätet gut dran, zu hoffen, daß die groß Taten von dem heutig Tag vergessen werden. Aber wenn ihr mir noch mehr in Wut bringt, als ich nämlich schon bin, werden sie bestimmt nich vergessen, denn ich werd sie überall weitererzählen!«
Mit gesenkten Köpfen zogen die Männer schweigend ab, ohne sich umzuschauen.
Gendibal blickte ihnen nach, dann sah er die Frau an. Sie trug Bluse und Hose sowie an den Füßen ein paar grobgefertigte Schuhe. Ihr Gesicht war schweißig, und sie atmete schwer. Ihre Nase war ziemlich groß, das gleiche galt für ihre Brüste (soweit Gendibal das unter der weiten Bluse erkennen konnte), und ihre Arme wiesen merkliche Muskulatur auf. Nicht verwunderlich, denn die Hamer-Frauen arbeiteten Seite an Seite mit den Männern auf den Feldern.
Sie musterte ihn streng, die Arme in die Hüften gestemmt. »Nu, Forscher, was fackelst? Geh heim in dein Forscherstadt! Fierchtest dich? Soll ich mitkommen?«
Gendibal roch den Schweiß, der in ihrer Kleidung saß, die eindeutig nicht gerade frisch aus der Wäsche kam, aber unter den gegebenen Umständen wäre es äußerst unhöflich gewesen, Widerwillen zu zeigen.
»Vielen herzlichen Dank, Miss Sura…«
»Mein Nam is Novi«, sagte sie barsch. »Sura Novi. Kannst mich Novi rufen. Mehr is unnötig.«
»Vielen Dank, Novi. Sie haben mir sehr geholfen. Es ist mir recht, wenn Sie mich begleiten möchten, nicht weil ich mich fürchten würde, sondern weil mir Ihre Begleitung ein Vergnügen wäre.« Und er verbeugte sich anmutig, wie er es vor einer der jungen Frauen an der Universität getan hätte.
Sura errötete, wirkte zuerst unsicher, dann versuchte sie, seine Geste nachzuahmen. »Vergniegen is… auf mein Seite«, sagte sie, als ob sie um Worte verlegen sei, die das Ausmaß ihres Vergnügens genügend zum Ausdruck brachten und zugleich kultiviert klangen.
Sie machten sich zusammen auf den Weg. Gendibal war sich sehr wohl dessen bewußt, daß jeder gemächliche Schritt, den er tat, sein verspätetes Eintreffen an der Tafel der Sprecher um so unverzeihlicher machte, aber der langsame Rückweg war eine Gelegenheit, um über die Bedeutung des Zwischenfalls nachzudenken, und es bereitete ihm eiskalte Zufriedenheit, seine Verspätung wachsen zu lassen.
Die Gebäude der Universität ragten bereits vor ihnen empor, als Sura Novi stehenblieb. »Meister Forscher…?« meinte sie gedehnt.
Je näher sie der ›Forscherstadt‹ kam, befand Gendibal, um so höflicher benahm sie sich, und er verspürte eine flüchtige Anwandlung, ihr zu entgegnen: Meinen Sie Ihren kleenen Knilch? Aber er hätte sie ohne vernünftigen Grund in Verlegenheit gebracht.
»Ja, Novi?«
»Is es sehr fein und nobel in der Forscherstadt?«
»Es ist ganz nett«, sagte Gendibal.
»Ich hab mal davon geträumt, in der Forscherstadt zu sein. Und… und ein Forscherin zu sein.«
»Irgendwann zeige ich’s Ihnen mal«, erwiderte Gendibal höflichkeitshalber.
Der Blick, den sie ihm zuwarf, verriet deutlich, daß sie seine Antwort keineswegs als bloße Höflichkeitsfloskel auffaßte. »Ich kann schreiben«, sagte sie. »Hatt Unterricht bei Schulmeister. Wenn ich dich ’n Brief schreibe…« — sie versuchte, ihren Worten einen gleichgültigen Klang zu verleihen — »was muß ich draufschreiben, damit er ankommt?«