Vorsichtig zögerte Pelorat, anscheinend aufgrund der Auffassung, von ihm werde eine unerhört kluge Antwort erwartet. Doch schließlich gab er auf. »Ich glaube«, sagte er, »ich würde ganz einfach irgend jemand fragen.«
»Genau! Was denn sonst? Also, sind Sie bereit?«
»Sie meinen, jetzt?« Pelorat raffte sich hoch, seine gewöhnlich gelassen-ausdruckslosen Gesichtszüge nahmen einen Ausdruck von Besorgnis an, soweit sie es vermochten. »Was soll ich denn machen? Sitzen? Stehen? Oder was?«
»Raum und Zeit, Pelorat, Sie sollen überhaupt nichts tun. Kommen Sie mit in meine Kabine, damit ich mich an den Computer setzen kann, und Sie können sich hinsetzen, Sie dürfen auch stehen, von mir aus können Sie auch Rad schlagen — tun Sie, wobei Sie sich am wohlsten fühlen. Ich schlage vor, Sie nehmen vorm Bildschirm Platz und schauen zu. Es wird sicher interessant. Kommen Sie!«
Sie durchquerten den kurzen Korridor zu Trevizes Kabine, und er setzte sich an den Computer. »Möchten Sie’s lieber selbst machen, Janov?« fragte er unvermittelt. »Ich nenne Ihnen die erforderlichen Angaben, und Sie brauchen nur daran zu denken. Den Rest erledigt der Computer.«
»Nein, danke«, sagte Pelorat. »Irgendwie arbeitet der Computer mit mir weniger gut. Ich weiß, Sie meinen, ich bräuchte nur Übung, aber ich glaub’s nicht. An Ihrem Verstand ist irgendwas, Golan…«
»Seien Sie nicht albern!«
»Doch, doch. Dieser Computer kommt mir vor, als sei er genau für Sie bestimmt. Wenn Sie mit ihm in Kontakt stehen, scheinen Sie und er ein einziger Organismus zu sein. Wenn ich mit ihm Kontakt habe, sind wir zwei — Janov Pelorat und ein Computer. Mit uns ist’s ganz einfach nicht das gleiche.«
»Das ist doch lächerlich«, sagte Trevize, aber im geheimen bereitete ihm dieser Gedanke ein vages Vergnügen, und er streichelte die Handauflageflächen des Computers nahezu liebevoll mit den Fingerspitzen.
»Deshalb sehe ich jedenfalls lieber bloß zu«, sagte Pelorat. »Ich meine, am allerliebsten wär’s mir, ich müßte so was gar nicht auf mich nehmen, aber da’s nun mal sein muß, beschränke ich mich lieber aufs Zuschauen.« Er richtete seinen Blick beunruhigt auf den Bildschirm, das nebelhafte Bild der Galaxis und die dünngesäten, schwachen Sternchen im Vordergrund. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn’s unmittelbar bevorsteht.« Langsam wich er an die Wand zurück, als mache er sich auf das Schlimmste gefaßt.
Trevize lächelte. Er legte seine Hände auf die dafür bestimmten Flächen und fühlte augenblicklich das Zustandekommen der mentalen Vereinigung. Mit jedem Tag fiel es leichter, sie herzustellen, und ebenso geriet sie mit jedem Tag inniger, und wie er auch über Pelorats Äußerungen spotten mochte — er selbst spürte, daß es sich so verhielt. Allem Anschein nach brauchte er kaum wirklich bewußt an gewünschte Koordinaten zu denken. Der Computer wußte, wie es den Anschein hatte, auch ohne den bewußten Prozeß des ›Mitteilens‹ genau, was er wollte. Er entnahm Gendibals Gehirn automatisch die erforderlichen Informationen.
Trotzdem gab Gendibal ihm die entsprechenden ›Anweisungen‹, dann ersuchte er um einen Countdown von zwei Minuten bis zum tatsächlichen Hypersprung.
»Alles klar, Janov. In zwei Minuten. Sie können mitzählen. Hundertzwanzig… Hundertfünfzehn… Hundertzehn… Beobachten Sie nur den Bildschirm!«
Pelorat tat es, die Mundwinkel leicht verzerrt, den Atem nahezu angehalten.
»Fünfzehn«, sagte Trevize leise. »Zehn… Fünf… vier… drei… zwei… eins… null.«
Ohne wahrnehmbare Bewegung, ohne irgendein spürbares Gefühl, veränderte sich schlagartig der vom Bildschirm gebotene Anblick. Die Galaxis war verschwunden, aber im Weltraum ringsum ließen sich mehr Sterne erkennen.
Pelorat zuckte zusammen. »War’s das?« fragte er nach.
»Ob’s das war? Ja! Sie haben einen Hypersprung vollzogen, und Sie sind selber schuld. Sie haben nichts gespürt. Geben Sie’s zu!«
»Ich geb’s zu.«
»Dann war’s das also. Ganz früher, als die Hyperraumfahrt noch relativ neu war, da sind — jedenfalls den Berichten zufolge — komische innere Empfindungen aufgetreten, manche Leute haben Übelkeit oder Benommenheit verspürt. Aber mit wachsenden Erfahrungen in der Hyperraumfahrt und besseren Instrumenten und Maschinen sind diese Erscheinungen im Laufe der Zeit ausgeblieben. Mit einem Computer wie unserem an Bord eines Raumers bleiben solche Effekte unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Ich jedenfalls find’s genauso und nicht anders.«
»Ich auch, Golan, ich geb’s zu. Wo sind wir jetzt?«
»Eine Etappe weiter. In der Kalgan-Region. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, und ehe wir ihn fortsetzen, müssen wir die Zielstimmigkeit unseres Sprungs nachprüfen.«
»Was mich beschäftigt, wo ist die Galaxis?«
»Rings um uns herum, Janov. Wir befinden uns ein schönes Stück weit in ihrem Innern. Wenn wir den Bildschirm entsprechend einstellen, können wir die entfernteren Bereiche als leuchtendes Band quer durch unser Sichtfeld sehen.«
»Die Milchstraße«, rief Pelorat freudig erregt. »Fast jede Welt beschreibt sie, wie sie am dortigen Himmel steht, aber von Terminus aus kann man sie nicht erkennen. Zeigen Sie sie mir, mein Bester!«
Das Schirmbild geriet in Bewegung, als verschwämmen die Sterne, dann sah man einen länglich-dicklichen, perlfarbenen Glanz, der die Bildfläche fast ganz ausfüllte. Die Außenübertragung folgte dem Verlauf des Leuchtstreifens, bis er sich verdünnte, dann wieder anschwoll.
»In der Richtung zum Zentrum der Galaxis ist die Milchstraße dicker«, sagte Trevize. »Nicht so dicht und dick und hell, wie man erwarten könnte, wegen der Dunkelwolken in den Spiralarmen. Ähnlich kann man sie von den meisten bewohnten Welten aus sehen.«
»Und auch von der Erde aus.«
»Das ist kein Unterscheidungsmerkmal. Das kann nicht als identifizierende Eigenschaft herhalten.«
»Natürlich nicht. Aber wissen Sie… Sie haben keine Wissenschaftsgeschichte studiert, oder?«
»An sich nicht, aber natürlich habe ich das eine oder andere mitbekommen. Sollten Sie mir allerdings Fragen stellen wollen, erwarten Sie nicht, in mir einen Experten zu finden.«
»Es geht nur darum, durch diesen Sprung ist mir wieder was eingefallen, was mir schon immer Rätsel aufgegeben hat. Man kann ein Modell des Universums erarbeiten, in dem die Hyperraumfahrt unmöglich ist, in dem die Geschwindigkeit, mit dem Licht sich durch ein Vakuum bewegt, das absolute Maximum ist, was Geschwindigkeit betrifft.«
»Sicherlich.«
»Unter den erwähnten Umständen ist die Geometrie des Universums so beschaffen, daß es unmöglich wäre, die Entfernung, die wir vorhin überwunden haben, in kürzerer Zeit zurückzulegen, als ein Lichtstrahl dafür braucht. Und falls wir uns mit Lichtgeschwindigkeit bewegt hätten, wäre unsere Zeiterfahrung vom allgemeinen Zeitverlauf im Universum abweichend. Sagen wir mal, diese Gegend hier ist von Terminus vierzig Parsek entfernt, und wir hätten die Strecke mit Lichtgeschwindigkeit zurückgelegt, dann wäre uns selbst kein Bruch im Zeitverlauf aufgefallen — auf Terminus und in der ganzen übrigen Galaxis wären dagegen ungefähr hundertdreißig Jahre verstrichen. Wir sind aber nicht mit Lichtgeschwindigkeit gereist, sondern tausendmal so schnell, und daher ist kein Zeitüberhang entstanden. Ich hoff’s jedenfalls.«
»Erwarten Sie bloß nicht von mir«, sagte Trevize, »daß ich Ihnen jetzt die gesamte Mathematik der Olanjen-Hyperraumtheorie erläutere. Ich kann dazu nur sagen, wären Sie mit Lichtgeschwindigkeit durch den Normalraum geflogen, hätte sich pro Parsek eine Zeitverschiebung von 3,26 Jahren ergeben, wie von Ihnen erwähnt. Das sogenannte relativistische Universum, das von der Menschheit erkannt worden war, so weit wir in der Geschichte zurückgehen — aber ich glaube, das ist eher Ihr Fachgebiet —, besitzt unverändert seine Gültigkeit, seine Gesetzmäßigkeiten gelten nach wie vor. Beim Hypersprung tun wir jedoch etwas, das außerhalb der Bedingungen steht, unter denen die Relativität zum Zuge kommt, und es sind andere Gesetzmäßigkeiten zu beachten. Hyperräumlich betrachtet, ist die Galaxis mir ein winziges Objekt — im Idealfall ein nulldimensionaler Fleck ohne alle relativistischen Effekte. In den mathematischen Formeln der Kosmologie gibt es tatsächlich zwei Symbole für die Galaxis: Gr für ›relativistische Galaxis‹, in der die Lichtgeschwindigkeit die Maximalgeschwindigkeit ist, und Gh für ›hyperräumliche Galaxis‹, in der Geschwindigkeit keine reale Bedeutung hat. Hyperräumlich gesehen ist der Wert jeder Geschwindigkeit gleich Null, und wir bewegen uns nicht. Nimmt man dagegen Bezug auf den Normalraum, ist die Geschwindigkeit unbegrenzt. Ich glaube, besser kann ich’s auch nicht erklären. Oh, aber ich könnte vielleicht erwähnen, daß eine der schönsten Fallen in der theoretischen Physik daraus besteht, ein Symbol oder einen Wert, der in Gr Bedeutung hat, in eine Gleichung mit Gh einzubauen, oder umgekehrt, und dann einen Studenten sehen zu lassen, wie er damit fertig wird. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, daß der Student in die Falle geht und im allgemeinen auch darin bleibt, schwitzt und stöhnt, während nichts klappt, bis irgendein mitleidiger Mensch, der sich besser auskennt, ihm hilft. Ich weiß noch, einmal wäre ich selber fast auf so was hereingefallen.«