»Er steht unter Beobachtung«, sagte Gendibal.
Die Delarmi spitzte die Lippen zu einem nachsichtigen Lächeln. »Durch wen? Einen unserer außerplanetaren Agenten? Darf man von solchen Agenten erwarten, daß sie es mit Leuten aufnehmen können, die diese Macht besitzen, deren Ergebnisse wir hier demonstriert erhalten haben? Bestimmt nicht. Zur Zeit des Fuchses und auch später hat die Zweite Foundation nicht gezögert, Freiwillige aus den Reihen ihrer besten Kräfte zur Bewältigung gewisser Aufgaben auszusenden — und sogar zu opfern —, weil minderrangige Maßnahmen nichts mehr genutzt hätten. Als die Notwendigkeit bestand, den Seldon-Plan zu restaurieren, ist Preem Palver persönlich als hamischer Farmer durch die Galaxis gereist, um Arkady Darell ausfindig zu machen, damals ein kleines Mädchen. Wir können nicht hier sitzen und warten, während wir einer Krise ausgesetzt sind, die vielleicht größer ist als in jedem bisherigen Fall. Wir können uns nicht auf kleine Funktionärchen stützen — Beobachter, Laufburschen…«
»Sie möchten doch sicher nicht vorschlagen«, fragte Gendibal nach, »daß der Erste Sprecher an so einem Zeitpunkt Trantor verlassen soll?«
»Sicherlich nicht«, antwortete die Delarmi. »Wir brauchen ihn unbedingt hier. Andererseits sind da Sie, Sprecher Gendibal. Sie sind es, der die Krise gespürt und richtig eingeschätzt hat. Sie sind’s, der die subtile äußere Beeinflussung hamischen Bewußtseins und den Eingriff in die Bibliothek entdeckt hat. Sie haben Ihre Meinung gegen die Opposition der gesamten restlichen Tafel behauptet — und durchgesetzt. Niemand hier hat so klar wie Sie gesehen, und von keinem Anwesenden kann man erwarten, daß er künftig so klar wie Sie sieht. Nach meiner Ansicht sind Sie es, der hingehen und den Gegner konfrontieren muß. Darf ich dazu die Meinung der Tafel erfahren?«
Es bedurfte keiner formellen Abstimmung, um über die allgemeine Haltung Klarheit zu erzielen, jeder Sprecher fühlte die Stimmungslage der anderen, und plötzlich erkannte Gendibal entsetzt, daß noch im Moment seines Sieges — gleichzeitig der Niederlage der Delarmi — diese furchterregende Frau es schaffte, ihn in eine unabwendbare Art von Exil zu schicken, an eine Aufgabe, die ihn für unabsehbare Zeit beschäftigen mochte, während sie mit ihrer Vorherrschaft an der Tafel der Sprecher zurückblieb und die Zweite Foundation, damit auch die Galaxis — alles zugleich — ihrem Verhängnis entgegenging.
Und falls es Gendibal in seiner Quasi-Verbannung gelang, die gewünschten Informationen zu beschaffen, die es der Zweiten Foundation ermöglichen konnten, die bedrohliche Krise abzuwenden, dann würde niemand anderes als die Delarmi es sein, die sich das als Verdienst anrechnen durfte, weil sie seine Beauftragung arrangiert hatte, und sein Erfolg wäre ein wesentlicher Baustein ihrer Macht. Je schneller Gendibal Erfolg hatte, je gründlicher sein Erfolg ausfiel, um so sicherer mußte er ihre Macht untermauern.
Sie hatte einen glanzvollen Schachzug getan, ihre Schlappe in ein bedeutendes Plus verwandelt.
Sie dominierte selbst in diesem Moment die Versammlung an der Tafel mit so krasser Deutlichkeit, daß sie die Funktion des Ersten Sprechers praktisch usurpierte. Der Zorn, den der Erste Sprecher darüber empfand, überlagerte Gendibals diesbezügliche Überlegungen, kaum daß er daran zu denken begann.
Gendibal wandte sich dem Ersten Sprecher zu. Shandess gab sich keine Mühe, seinen Zorn zu mäßigen, und es war klar, daß unmittelbar nach den überwundenen Schwierigkeiten eine neue innere Krisensituation bevorstand.
36
Quindor Shandess, fünfundzwanzigster Erster Sprecher, gab sich in bezug auf seine Person keinen übertriebenen Illusionen hin.
Er wußte, daß er nicht zu den wenigen dynamischen Ersten Sprechern zählte, die mit dem Licht ihrer Außergewöhnlichkeit die fünfhundertjährige Geschichte der Ersten Foundation erleuchteten — aber andererseits mußte das auch nicht sein. Er war in einer Periode bemerkenswerter galaktischer Prosperität Vorsitzender an der Tafel der Sprecher, und die Zeit eignete sich nicht für dynamisches Tun. Allem Anschein nach war dies eine Zeitspanne bloßen Beharrens, in der er den richtigen Mann für den Posten abgab. Aufgrund solcher Erwägungen hatte sein Vorgänger ihn zum Nachfolger bestimmt.
»Sie sind kein Abenteurer, sondern ein wahrer Gelehrter«, hatte der vierundzwanzigste Erste Sprecher zu ihm gesagt. »Sie werden für die Bewahrung des Seldon-Plans sorgen, während ein Abenteurer alles verderben könnte. Bewahrung! Lassen Sie das ein entscheidendes Wort an Ihrer Tafel sein.«
Er hatte es versucht, aber in mancher Beziehung hatte das eine passive Amtsausübung bedeutet, die man gelegentlich als Schwäche auslegte. Vor einiger Zeit waren Gerüchte umgelaufen, die besagten, er wolle zurücktreten, und man hatte offen intrigiert, um die Nachfolge zur einen oder anderen Seite hin festzulegen.
Shandess besaß keinen Zweifel daran, daß die Delarmi in diesem Gerangel eine führende Stellung einnahm. Sie war an der Tafel die stärkste Persönlichkeit, und selbst der junge Gendibal — trotz aller jugendlichen Heftigkeit und Torheit — schrak vor ihr zurück, auch in diesem Moment wieder.
Doch wenn er auch passiv war, vielleicht sogar schwach, es gab, bei Seldon, ein Privileg, auf das noch kein Erster Sprecher nur im geringsten verzichtet hatte, und auch er hatte nicht die Absicht.
Er stand auf, um zu sprechen, und sofort entstand rings um die Tafel Ruhe. Wenn der Erste Sprecher aufstand, um zu reden, gab es keine Unterbrechungen. Nicht einmal die Delarmi oder Gendibal würden sich so etwas herausnehmen.
»Sprecher und Sprecherinnen!« begann er. »Ich bin mit allen hier der Meinung, daß wir uns einer ernsten Krise gegenübersehen und nachdrückliche Maßnahmen ergreifen müssen. Ich bin’s, der gehen und sich dem Feind stellen müßte. Sprecherin Delarmi hat mich jedoch — mit allem Feingefühl, durch das ihr Charakter sich auszeichnet — durch die Feststellung, ich werde hier benötigt, von dieser Aufgabe entbunden. Die Wahrheit aber lautet, daß ich weder hier noch sonst irgendwo gebraucht werde. Ich werde alt und immer müder. Seit langem wird erwartet, daß ich meine Position abgebe, und vielleicht ist es nun endlich höchste Zeit. Sobald diese Krise erfolgreich gemeistert worden ist, werde ich tatsächlich zurücktreten. Aber natürlich ist es, wie bekannt, das Vorrecht des Ersten Sprechers, seinen Nachfolger zu bestimmen. Genau das möchte ich jetzt tun. Unter uns ist jemand, der seit längerem die Sitzungen der Tafel beherrscht, der durch die Kraft der Persönlichkeit häufig die Führung gegeben hat, zu der ich außerstande war. Sie alle wissen, daß ich von Sprecherin Delarmi rede.«
Er schwieg einen Augenblick lang. »Nur Ihnen, Sprecher Gendibal, ist Ablehnung anzumerken«, sagte er dann. »Darf ich fragen, warum?« Er nahm wieder Platz und gab Gendibal dadurch die Gelegenheit zum Antworten.
»Ich lehne Ihre Entscheidung nicht ab, Erster Sprecher«, sagte Gendibal leise. »Es ist und bleibt Ihr Recht, Ihren Nachfolger festzusetzen.«