»Der Verwaltungsrat wird zur Besinnung kommen, und dann wird er protestieren. Vielleicht beschäftigt man sich schon damit. Und wegen der Repressalien, die Sie gegen mich verfügen, wird man mir um so aufmerksamer zuhören.«
»Niemand wird Ihnen zuhören, denn wäre ich der Auffassung, Sie würden das weiterhin treiben, was Sie bisher getan haben, ich würde Sie auch weiter als Verräter betrachten und mit allen Handhaben, die das Gesetz mir bietet, gegen Sie vorgehen.«
»In dem Fall müßte man eine Verhandlung durchführen. Ich bekäme meinen großen Tag vor Gericht.«
»Verlassen Sie sich nicht drauf! Im Notstandsfall ist die Macht eines Bürgermeisters gewaltig, wie selten sie auch in so einem Umfang genutzt wird.«
»Aus was für einem Grund wollten Sie den Notstand verkünden?«
»Mir fiele schon irgendein Grund ein. Soviel Einfallsreichtum habe ich, und ich hätte keine Bange vor dem politischen Risiko. Zwingen Sie mich zu nichts, junger Mann. Wir werden hier und jetzt zu einer Einigung gelangen, oder Sie dürfen nie wieder frei sein. Sie werden für den Rest Ihres Lebens eingesperrt, das garantiere ich Ihnen.«
Sie starrten einander an, die Branno in Grau, Trevize in vielfältig schattiertem Braun.
»Was für eine Art von Einigung schlagen Sie vor?« fragte Trevize nach.
»Aha. Sie sind neugierig geworden. Das ist schon besser. Dann können wir von der Konfrontation zur Verständigung übergehen. Wie lautet Ihr Standpunkt?«
»Das wissen Sie doch sehr gut. Sie haben sich doch von Ratsherr Compor alles haarklein petzen lassen, oder etwa nicht?«
»Ich möchte es aber von Ihnen hören — und zwar im Licht der gerade überwundenen Seldon-Krise.«
»Na schön, wenn’s das ist, was Sie wollen verehrte Bürgermeisterin.« Um ein Haar hätte er ›Alte‹ zu ihr gesagt. »Das Seldon-Imago lag viel zu richtig mit allem. Unglaubwürdig richtig nach fünfhundert Jahren. Ich glaube, das war das achte Mal, daß es erschienen ist. Einige Male war niemand da, um zu hören, was Seldon zu sagen hatte. Bei mindestens einer Gelegenheit, nämlich unter Indbur III. lag er mit dem, was er sagte, völlig neben der Realität — aber das war ja zur Zeit des Fuchses, nicht wahr? Doch bei welchem seiner bisherigen Auftritte war er dermaßen korrekt mit seinen Annahmen wie heute?«
Trevize gestattete sich ein knappes Lächeln. »Soweit unsere Aufzeichnungen aus der Vergangenheit das beweisen, hat Seldon die Situation so zutreffend beschrieben, bis hinein in nebensächlichste Details.«
»Sie unterstellen also«, sagte die Branno, »daß Seldons Auftreten, sein holographisches Abbild, ein Betrug ist, daß die Seldon-Analysen von einer zeitgenössischen Person fabriziert werden, vielleicht mir selbst, daß womöglich ein Schauspieler Seldons Rolle spielt.«
»Nicht undenkbar, Bürgermeisterin, aber das ist’s nicht, was ich meine. Die Wahrheit ist viel schlimmer. Ich glaube durchaus, daß es Seldon ist, den wir zu sehen bekommen, und daß seine Beschreibung des gegenwärtigen historischen Zeitpunkts sehr wohl die Beschreibung ist, die er vor fünfhundert Jahren vorbereitet hat. Das habe ich bereits Kodell erklärt, Ihrem Chef der Sicherheit, der mich sorgsam durch eine Scharade gelenkt hat, in der ich scheinbar die abergläubischen Auffassungen der gedankenlosen Foundationsbürger bestätige.«
»Ja, und falls notwendig, werden wir diese Aufnahme benutzen, um der ganzen Foundation zu zeigen, daß Sie niemals in wirklicher Opposition zu uns gestanden haben.«
Trevize breitete die Arme aus. »Aber ich stehe in Opposition. Es gibt keinen Seldon-Plan in dem Sinne, wie wir daran glauben, so einen hat’s vielleicht zwei Jahrhunderte lang nicht mehr gegeben. Ich vermute es schon seit Jahren, und was wir vor zwölf Stunden im Zeittresor erlebt haben, bestätigt meine Vermutung.«
»Weil Seldon zu genau gewesen sein soll?«
»Eben das. Lachen Sie nicht! Das ist der endgültige Beweis.«
»Wie Sie selbst sehen, lache ich gar nicht. Reden Sie weiter!«
»Wie hat er in jeder Hinsicht so akkurat sein können? Vor zwei Jahrhunderten war Seldons Analyse der damaligen Gegenwart völlig falsch. Seit der Gründung der Foundation waren dreihundert Jahre verstrichen, und er kam mit einem beträchtlichen Fehlschuß zum Vorschein. Er lag völlig daneben!«
»Dafür haben Sie selbst, Ratsherr, doch erst vor wenigen Augenblicken die Erklärung genannt. Der Fuchs war die Ursache. Der Fuchs war ein Mutant mit machtvollen geistigen Kräften, und es war unmöglich, bei der Erarbeitung des Plans jemanden wie ihn vorauszusehen.«
»Aber er ist aufgekreuzt, ob geplant oder nicht. Damit war der Seldon-Plan praktisch entgleist. Die Herrschaft des Fuchses dauerte nicht lange, und er hatte keinen Nachfolger. Die Foundation gewann ihre Unabhängigkeit und ihre Vorherrschaft zurück, aber wie sollte denn wohl der Seldon-Plan nach einer so einschneidenden Störung seines Ablaufs wieder ganz genau in seine ursprünglichen Bahnen zurückgelangt sein?«
Die Branno schnitt ein düsteres Gesicht, verklammerte fest die gealterten Hände ineinander. »Sie kennen die Antwort. Wir sind eine von früher zwei Foundations. Sie haben gewiß die Geschichtsbücher gelesen.«
»Ich habe Arkady Darells Biographie ihrer Großmutter gelesen — immerhin ja Pflichtlektüre in der Schule —, und ebenso sind mir ihre Romane geläufig. Gleichfalls ist mir die offizielle Geschichtsschreibung über den Fuchs und die nachfolgende Ära bekannt. Ist es mir erlaubt, daran Zweifel anzumelden?«
»In welcher Beziehung?«
»Nach offizieller Darstellung sollten wir, die Erste Foundation, die naturwissenschaftlichen Kenntnisse retten und weiter ausbauen. Wir sollten ganz offen tätig sein, unserer historischen Entwicklung folgen, wie sie, ob das uns bewußt bleibt oder nicht, vom Seldon-Plan vorgegeben wird. Dazu gab es die Zweite Foundation, der die Aufgabe zufiel, die geisteswissenschaftlichen und psychologischen Kenntnisse, darunter auch die Psychohistorie, zu bewahren, und ihre Existenz hielt man sogar vor uns geheim. Die Zweite Foundation war der Feinkorrektor des Plans, ihr Handeln zielte darauf ab, gewisse Tendenzen der galaktischen Geschichte, die den vom Seldon-Plan umrissenen Verlauf gefährden mochten, rechtzeitig zu bereinigen.«
»Damit geben Sie sich ja selber die Antwort«, sagte die Bürgermeisterin. »Bayta Darell hat dem Fuchs die erste wesentliche Niederlage bereitet, vielleicht unter Anleitung der Zweiten Foundation, obwohl ihre Enkelin dabei geblieben ist, es sei nicht so gewesen. Ohne Zweifel jedoch war es die Zweite Foundation, die dahingehend gewirkt hat, daß nach dem Tod des Fuchses die galaktische Geschichte und der Seldon-Plan sich wieder einander näherten und anglichen, und ganz offensichtlich hatte sie mit ihren Anstrengungen Erfolg. Bei unserem geliebten Terminus, Ratsherr, wovon reden Sie eigentlich die ganze Zeit?«
»Verehrteste Bürgermeisterin, verfolgen wir Arkady Darells Darstellung ganz genau, ist völlig klar, daß die Zweite Foundation mit ihrem Versuch, die galaktische Geschichte zu korrigieren, Seldons gesamten Plan unterminiert hat, denn im Laufe ihrer diesbezüglichen Bemühungen hat sie die Geheimhaltung ihrer Existenz aufgeben müssen. Wir, die Foundation, erfuhren von unserem Spiegelbild, der Zweiten Foundation, und wir konnten mit dem Wissen, manipuliert zu werden, nicht leben. Deshalb haben wir alles daran gesetzt, die Zweite Foundation ausfindig zu machen und sie auszumerzen.«
Die Branno nickte. »Und nach Arkady Darells Ausführungen mit erfolgreichem Ergebnis, doch offenbar nicht, bevor die Geschichte der Galaxis wieder sicher ihren richtigen Lauf nahm, und heute verläuft sie noch immer wie vorausgesehen.«
»Können Sie das allen Ernstes glauben? Der Darstellung zufolge ist die Zweite Foundation aufgespürt worden, hat man ihre verschiedenen Mitglieder zu lebenslänglicher Gefangenschaft auf dem Asteroiden… — den Namen habe ich vergessen. Das war im Jahre dreihundertsechsundsiebzig F. Ä. vor einhundertzweiundzwanzig Jahren. Fünf Generationen lang sollen wir ganz ohne die Zweite Foundation tätig gewesen sein, gleichzeitig jedoch dem Seldon-Plan und seiner Zielsetzung so treu geblieben, daß Sie und das Seldon-Imago sich dazu in fast identischem Wortlaut geäußert haben?«