ßer Luft, und doch nichts von alledem. Aber niemand, der ihn einmal wahrgenommen hatte, vergaß ihn wieder.
Es würde einen Sandsturm geben. Sehr bald sogar.
Tally blinzelte einen Moment zum Himmel und rannte dann auf den Dünenkamm hinauf, den sie schon am vergangenen Abend als Aussichtsposten benutzt hatte.
Der Turm war jetzt, im klaren hellen Licht des Morgens, sehr deutlich zu erkennen - ein schwarzer, ausgezackter Riesenfinger, der wie der Zeiger einer zernagten Sonne-nuhr weit in den Himmel ragte, keine drei Meilen mehr entfernt. An seinem Fuß schien die Luft zu kochen, so daß sein unteres Drittel auch jetzt nicht klar zu erkennen war und sich ständig zu bewegen schien, als wäre er hinter einem unsichtbaren Wasserfall verborgen. Aber es war kein Wasser. Und es war auch nicht die Hitze, die die Luft dort flimmern ließ.
Tally drängte den Gedanken mit Macht beiseite und sah wieder nach Westen. Sie war sich nicht sicher, aber es kam ihr vor, als wäre die gelbliche Färbung des Himmels bereits stärker geworden. Der Sandsturm kam rascher heran, als sie gedacht hatte.
Sie fuhr herum, rannte mit weit ausholenden Schritten den Hügel hinab und winkte die beiden Wagas zu sich heran.
»Ein Sandsturm zieht auf«, sagte sie mit einer erklärenden Geste zum Himmel. »Wir lassen alles stehen und liegen und reiten sofort weiter.«
Hrhon und Essk nickten wortlos und eilten zu ihren Reittieren, so rasch es ihre kurzen Beine zuließen. Die Hornbestien waren unruhig. Ihre mächtigen Schwänze peitschten nervös durch den Sand, die riesigen stachelbewehrten Schädel waren witternd erhoben. Die beiden Ungeheuer spürten das Nahen des Sandsturms. Und sie schienen zu spüren, daß dieser Sturm etwas war, das selbst für sie gefährlich werden konnte.
Tally hatte noch keinen Sandsturm in der Gehran direkt erlebt. Niemand hatte das, jedenfalls niemand, der hinterher noch in der Lage gewesen wäre, darüber zu berichten. Aber sie hatte von den Gewalten dieser Stürme gehört, und sie hatte - auf einer Reise, die vier oder fünf Jahre zurücklag, die Reste eines Tieres gefunden, das sie nicht kannte - und auf das kennenzulernen sie auch keinen besonderen Wert legte, denn das Skelett war ungefähr doppelt so groß gewesen wie das einer Hornbestie - eines Tieres jedenfalls, das offensichtlich von einem solchen Sturm überrascht worden war.
Selbst jetzt spürte sie noch etwas von dem damaligen Schrecken, wenn sie an den Anblick zurückdachte. Das Tier mußte versucht haben, sich einzugraben, aber es hatte es nicht mehr ganz geschafft: die Teile seines Körpers, die dem Sturm preisgegeben gewesen waren, waren sauber bis auf die Knochen abgeschliffen worden; Fleisch, Muskeln und Panzerplatten so sauber wegge-schmirgelt und poliert wie die Knochen einer Eidechse, die einer halbverhungerten Ameisenarmee über den Weg gelaufen war.
Sie lief zu ihrem Pferd, sprang in den Sattel und blickte wieder nach Westen. Diesmal war sie sicher, daß sich die ungesunde gelbliche Färbung des Himmels vertieft hatte.
Und die Luft roch jetzt eindeutig brandig.
»Beeilt euch!« rief sie ungeduldig. Sie zwang ihr Pferd herum, ritt die wenigen Schritte zu den beiden Hornbestien hinüber und sah nervös zu, wie Essk und Hrhon ungeschickt in die Sättel kletterten und sich festzuschnal-len begannen.
Tally wartete nicht, bis die beiden Wagas mit ihren Vorbereitungen zu Ende waren. Sie sah noch einmal nach Westen, beugte sich tief über den Hals ihres Pferdes und gab ihm die Sporen.
Das Tier schrie erschrocken auf und sprengte los, als die gezahnten Bronzeräder in seine Flanken bissen. Hinter ihr stieß Hrhons Hornbestie einen schrillen, trompe-tenden Angstschrei aus, der die Wüste zum Erzittern zu bringen schien. Tally sah nicht einmal zurück. Die beiden Wagas wußten, wo ihr Ziel lag, und sie kannten den Weg beinahe ebensogut wie Tally. Und die Hornbestien vermochten, wenn sie sich nur einmal in Bewegung gesetzt hatten, weitaus schneller zu laufen als ein Pferd.
Der Wind nahm zu, und der Sand schlug jetzt mit schmerzhafter Wucht auf ihren Körper ein; ein Bombar-dement von Tausenden und Abertausenden winziger heißer Nadeln. Von weit her - aber näher kommend - war ein dumpfes, vibrierendes Grollen zu hören, und der Himmel begann sich jetzt auch direkt über ihr mit erstem fahlem Gelb zu überziehen. Das Pferd griff plötzlich von selbst schneller aus, und die braunen Sanddü-
nen der Wüste flogen nur so an ihnen vorüber.
Es war ein Wettlauf mit dem Tod. Es wurde heiß, unerträglich heiß. Der Boden, über den das Pferd jagte, schien zu brennen. Der Sturm hämmerte mit unsichtbaren Fäusten auf sie ein. Ihre Haut war längst wundge-scheuert und blutig, wo sie nicht von Kleidern oder der Sandmaske geschützt war, und ohne die Maske wäre sie längst blind gewesen. Ihr Pferd schrie vor Schmerz und Angst und versuchte noch schneller zu laufen. Tally duckte sich noch tiefer über seinen Hals und blickte sich um. Der Himmel loderte in grellem Schwefelgelb, und irgendwo hinter ihnen, entsetzlich wenig weit entfernt, erhob sich eine schwarze Mauer, in der es immer wieder wetterleuchtete und blitzte. Die beiden Horntiere zeichneten sich nur noch als finstere Schatten davor ab; gigantische Monster, die um ihr Leben liefen und dabei vor Angst schrien.
Tally sah das Unglück kommen, aber sie war unfähig, etwas zu tun.
Eines der Tiere warf in panischer Angst den Kopf zurück und schrie. Sein Brüllen war selbst unter dem Toben des Sturmes noch deutlich zu vernehmen. Seine drei Beinpaare gerieten aus dem Takt, und der ungeheure Schwung, mit dem der zehn Tonnen schwere Koloß vorwärtspreschte, tat ein übriges. Das Tier verlor das Gleichgewicht, knickte mit den vorderen Beinpaaren ein und grub den gewaltigen Schädel in den Sand.
Hrhon wurde durch die ungeheure Wucht des Aufpralles nach vorne geschleudert; seine Leibriemen rissen.
Er brüllte vor Angst, flog in hohem Bogen über den Schädel der Hornbestie hinweg und landete fast zehn Meter weiter im Sand. Das Horntier stieß einen hohen, gequälten Schrei aus, als sein Genick unter dem Gewicht des nachschiebenden Körpers brach. Es überschlug sich, bäumte sich - längst tot und nur noch ein Bündel aus Muskeln und Nerven, das sinnlos gewordenen Reflexen gehorchte - noch einmal auf und sank dann zu Boden.
Und in diesem Moment tat Tally etwas, was sie wohl selbst am meisten überraschte: sie riß ihr Pferd herum, drängte das Tier gegen das Kreischen und Toben des Sturmes zurück und jagte auf Hrhon zu.
Der Waga stemmte sich schwerfällig hoch, als sie neben ihm anlangte. Der Sturz konnte ihn kaum ernsthaft verletzt haben, aber er wirkte benommen. Trotz seiner gewaltigen Körperkraft konnte er sich kaum gegen den Sturm halten. Er wankte und griff blind mit den Händen ins Leere, um irgendwo Halt zu finden.
Tally sah sich gehetzt um. Die zweite Hornbestie stürmte keine dreißig Meter hinter ihr heran, eine lebende Lawine, wahnsinnig vor Angst, die alles nieder-walzen würde, was sich ihr in den Weg stellte. Essk schlug verzweifelt mit den Fäusten auf die empfindliche Stelle zwischen den Hörnern ein und brüllte aus Leibe-skräften. Genausogut hätte sie versuchen können, den Sturm mit bloßen Händen aufzuhalten.
Aber Tally hatte keine Wahl, und sie dachte auch jetzt nicht bewußt, sondern gehorchte blindlings den Reflexen, die an die Stelle ihres so gewohnten logischen Denkens getreten waren. Sie sprang aus dem Sattel, gab Hrhon einen Stoß, der ihn zur Seite und gegen das Pferd taumeln ließ, und drückte ihm die Zügel in die Hand.