- die Symptome waren eindeutig die von Furcht: ihre Handflächen wurden feucht, ihre Knie begannen ganz leicht zu zittern, und plötzlich hatte sie das Gefühl, von unsichtbaren Augen beobachtet und angestarrt zu werden, aus allen Richtungen zugleich.
Möglicherweise war es auch mehr als nur ein Gefühl, denn Hrhon blieb stehen, noch ehe er die Tür vollends durchschritten hatte, hob den linken Arm, zum Zeichen, daß sie und Essk zurückbleiben sollten, und drehte sich schwerfällig nach rechts und links. Tally konnte sehen, wie sich seine kurzsichtigen Augen zu schmalen Schlitzen zusammenzogen, als er versuchte, in der fast vollkommenen Dunkelheit jenseits der Tür etwas zu erkennen.
»Was ist?« fragte sie.
Hrhon versuchte ein Schulterzucken zu imitieren. »Ich weisss nicht«, sagte er. »Irgend etwass ssstimmt nicht...« Er schnüffelte hörbar. »Esss ssstinkt nach Hornköpfen.«
»Das ist kein Wunder«, antwortete Tally nervös.
»Schließlich waren sie hier, oder? Geh weiter.«
Hrhon gehorchte. Schwerfällig setzte er sich in Bewegung und machte einen Schritt in die Dunkelheit hinein.
Um ein Haar wäre es sein letzter gewesen.
Etwas Großes, Glitzerndes bewegte sich in der Schwärze vor ihm, ein heller, schleifender Laut war zu hören, und plötzlich schien die Dunkelheit selbst zu erwachen und sich mit fünfundzwanzig Armen und Beinen und der gleichen Anzahl mörderisch schnappender Mandibeln auf den Waga zu stürzen.
Der Anprall war so gewaltig, daß Hrhon zu Boden ging. Tally sprang mit einem erschrockenen Keuchen zur Seite, als der Waga fast genau dort niederkrachte, wo sie stand, ein halb erschrockenes, halb wütendes Zischeln ausstoßend und mit beiden Fäusten auf das schwarze Chitinbündel einschlagend, das ihn umklammert hatte.
Es war Tally unmöglich, zu sagen, was es war, das Hrhon angegriffen hatte - die Kreatur war ein gutes Stück größer als er, aber nicht einmal halb so massig, machte diesen Mangel jedoch mit einer Unzahl langer, stacheliger Gliedmaßen und einem Paar schon fast grotesk großer Beißzangen wett, mit denen es Hrhons Hals abzuknipsen versuchte.
Möglicherweise wäre es ihm sogar gelungen; groß genug dazu waren die Mandibeln jedenfalls. Aber Hrhon reagierte ganz instinktiv auf die gleiche Weise, auf die sich seine Vorfahren schon vor etlichen hundert Millionen Jahren ihrer Gegner erwehrt hatten - blitzartig zog er Kopf und Glieder in seinen Panzer zurück, so daß die schrecklichen Scheren des Insektes auf stahlhartes Horn krachten statt auf Fleisch. Ein Stück davon brach ab, und der Hornkopf fuhr mit einem wütenden Pfeifen zurück.
Eine Sekunde später war Essk über ihm, riß ihn mit einer fast spielerischen Bewegung von ihrem Gefährten herunter und warf ihn kurzerhand gegen die Wand. Der Laut, mit dem sein schwarzglänzender Chitinpanzer gegen den Stein prallte, ließ Tally innerlich erschauern.
Aber der Kampf war noch nicht vorüber. Der Hornkopf stürzte zwar, und er blieb auch einen Moment benommen liegen, aber nur, um sich dann jäh in ein wirbelndes Bündel aus Gliedmaßen und tödlichem Horn zu verwandeln, das mit schier unglaublicher Geschwindigkeit wieder auf den Beinen war und angriff.
Und diesmal galt sein Angriff nicht den beiden Wagas, sondern Tally, die er instinktiv als die wichtigste Gegne-rin erkannt haben mußte. Tally sprang zurück, beide Hände über den Kopf geschlagen und den Hals eingezogen, so gut sie konnte, denn sie wußte nur zu gut, auf welche Weise Hornköpfe normalerweise angriffen. Ihre Bewegung war sehr schnell; es war nicht das erste Mal, daß sie mit einem Hornkopf unterschiedlicher Meinung war, was ihre Lebenserwartung anging.
Trotzdem hätte sie keine Chance gehabt, währe Hrhon nicht gewesen. Aber der Waga bewegte sich plötzlich mit einer Behendigkeit, die wohl auch der Hornkopf ihm nicht zugetraut hätte - und Tally schon gar nicht. Als das Rieseninsekt an ihm vorbeiraste, fuhr er hoch und herum und ließ seine Faust auf seinen Panzer herunterkrachen. Der Schlag war auf den häßlichen Schädel gezielt, traf aber statt dessen seinen Hinterleib.
Diesmal zerbrach der Chitinpanzer des Ungeheuers mit einem hörbaren Knirschen.
Das Ungeheuer stieß einen kläglichen Laut aus, tor-kelte einen halben Schritt an Tally vorbei und fiel wimmernd zu Boden. Seine gewaltigen Scheren schnappten in hifloser Wut.
Essk packte den Hornkopf und öffnete seinen Panzer an einer Stelle, die nicht dafür vorgesehen war. Aus den schrillen Schreien des Rieseninsektes wurde ein gurgelnder Laut. Eine zähe, gelbe Flüssigkeit quoll aus seinem Maul. Seine Glieder zuckten noch einmal, dann erschlaffte es in den gewaltigen Pranken der Waga.
Trotzdem schmetterte Essk ihm die Faust noch zweimal mit aller Kraft zwischen die Augen, ehe sie ihn fallen ließ und mit einem zufriedenen Zischeln zurücktrat und sich umwandte. »Allesss in Ohrdnhung?« fragte sie.
Tally begriff im ersten Moment nicht einmal, daß die Worte ihr galten. Erst, als Essk sie fast schüchtern an der Schulter berührte und ihre Frage wiederholte, riß sie ihren Blick von dem verstümmelten Insekt los und nickte. »Mir ist nichts passiert«, sagte sie. Sie wandte sich an Hrhon. »Aber was ist mit dir?«
»Nichtsss«, erwiderte Hrhon. »Esss war nhurrr die Überasssung.«
Tally blickte auf den zermalmten Hornkopf herunter und glaubte ihm. Das Ungeheuer mußte selbst sie um einen guten Meter überragen, wenn es aufrecht stand, und sie wußte, wie stark Insekten waren. Trotzdem konnte man seinen Angriff auf den Waga nur als glatten Selbstmord bezeichnen.
Mit aller Macht drängte sie ihren Widerwillen zurück, näherte sich dem toten Ungeheuer und ging dicht vor ihm in die Hocke. Ein eisiger Schauer lief über ihren Rücken, als sie die entsetzlichen Beißzangen sah, die dicht unter dem dreieckigen Insektenmaul aus seinem Schädel wuchsen. Sie waren kräftig genug, einem erwachsenen Mann den Oberschenkel durchzubeißen.
Und als wäre dies allein noch nicht genug, verfügte das Ungeheuer über ein ganzes Arsenal weiterer natürlicher Waffen - angefangen von seinen gewaltigen, dornenbe-wehrten Sprungbeinen über ein paar Dutzend dolchspitzer Stacheln auf seinem Rücken bis hin zu seinem vorderen Beinpaar, mehrfach untergliedert und mit einem Chitinpanzer versehen, der zu einer Art natürlicher Axt zusammengewachsen war.
»Was, beim Schlund ist das?« murmelte sie.
Sie hatte nicht damit gerechnet, aber sie bekam eine Antwort.
»Eine Beterin«, sagte Essk. »Sssehr ghefährlich. Iss dachte, sssie whären ausssgessstorben.«
»Eine... Beterin?« wiederholte Tally verwirrt. Sie hatte von diesen Tieren (Tieren? Etwas in ihr sträubte sich dagegen, dieses Ding wirklich mit dem Wort Tier zu bezeichnen.) gehört, aber auch sie hatte nicht gewußt, daß es sie wirklich noch gab. Beterinnen, das waren irgendwelche Ungeheuer, die in irgendeinem Teil der Welt irgendwann einmal gelebt hatten. Sie vor sich zu sehen, erfüllte sie mit Entsetzen, ganz egal, ob sie nun tot war oder nicht. Und trotzdem wußte sie, daß Essk recht hatte - bei genauem Hinsehen war sogar noch eine Ähnlichkeit zwischen diesem horngepanzerten Ungeheuer und einer Gottesan-beterin zu erkennen, wie Tally sie kannte - wenn auch einer, die etliche zehn Arme zuviel hatte und ganz eindeutig an Größenwahn litt. Aber es war eine Beterin