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Selbst die beiden Wagas, die ihre Wutanfälle seit mehr als einem Jahrzehnt gewohnt waren, hatten viel von ihrer stoischen Ruhe verloren und wurden zusehends nervöser. Vor einer Weile hatte Hrhon den Raum verlassen, um - wie er gesagt hatte - oben auf dem Turm nach dem Rechten zu sehen. Tally wußte nicht, was es dort oben außer dem Nachthimmel zu sehen gab, aber sie wußte auch, daß es nur eine Ausflucht des Waga war - nein, in Wahrheit hatte sich Hrhon zurückgezogen, weil er sie noch niemals in einem Zustand wie jetzt erlebt hatte. Genau genommen hatte das niemand, nicht einmal Tally selbst, und hätte sie noch genug Selbstbe-herrschung besessen, es überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, wäre sie wahrscheinlich vor sich selbst erschrocken.

Aber sie konnte nicht anders als so reagieren, zum einen, weil sie nicht Tally gewesen wäre, hätte sie ihrem Zorn nicht Luft gemacht, und zum anderen, weil sie wahrscheinlich den Verstand verloren hätte, hätte sie sich ruhig hingesetzt und über die Konsequenzen ihres Fundes nachgedacht.

Eine Maschine! Die Götterschrift am Himmel war nichts als das Werk einer Maschine gewesen! Wieder spürte sie Wut, eine unbezwingbare, kochende Wut, zum vielleicht hundertsten Male, seit sie den Spiegel entdeckt hatten, aber so heiß wie beim allerersten Mal.

Diesmal war es der Tisch, den sie zerschlug.

»Wenn Ihr ssso wheithermacht«, sagte Essk, »wherdet Ihr auhf dem Bodhen ssslafen müssen.«

Tally fuhr herum, die Hand gehoben, um die Waga zu schlagen. Aber sie führte die Bewegung nicht zu Ende, als sie begriff, daß Essks Worte nicht spöttisch gemeint waren. Sie wußte nicht, ob ein Waga überhaupt wußte, was das Wort Humor oder gar Sarkasmus überhaupt bedeutete - Essk jedenfalls meinte genau das, was sie sagte, und sie hatte recht damit. Wütend ließ sie den Arm sinken, drehte sich herum und versetzte den Überresten des Tisches einen Tritt.

»Issst esss ssso ssslimm?« lispelte Essk.

»Schliaun?« Tally schnaubte. »Schlimm?« wiederholte sie. Essks Frage kam reichlich spät - nach Stunden, die sie nichts anderes getan hatte, als zu Toben und Schreien. Außerdem wußte sie keine wirkliche Antwort darauf. War es schlimm? Nein, schlimm nicht. Es war...

es war unvorstellbar. Es war grausam und höhnisch und zynischer als alles, was sie sich vorstellen konnte. Und wer immer dafür verantwortlich war, er würde dafür bezahlen.

»Es war eine Maschine, Essk«, sagte sie schließlich.

»Begreifst du nicht? Hrabans Götterschrift war nichts als das Werk eines albernen Spiegels!«

»Ich weisss«, lispelte die Waga. »Bössse Magie.«

»Nenn es, wie du willst, du Fischgesicht, aber es war eine Maschine«, fauchte Tally. »Begreifst du nicht, was das bedeutet? Dieses... dieses Ding. Dieser verdammte Turm hier. Diese Waffe!« Sie ließ die Hand auf die Waffe der Toten klatschen, die sie noch immer im Gürtel trug.

Welche Närrin war sie doch gewesen! dachte sie. Schon der Anblick dieses schrecklichen Dinges, das wie ein Kinderspielzeug aussah und kopfgroße Löcher in massiven Fels brannte, hätte ihr die Augen öffnen müssen.

»Wasss issst ssso ssslimm dharhan?« fragte Essk ruhig.

»Was daran schlimm ist?« Tally unterdrückte im letzten Moment einen Schrei. »Begreifst du das wirklich nicht, Essk?« fragte sie. Erregt trat sie auf Essk zu, packte sie bei den Schultern und versuchte vergeblich, ihre vierhundert Pfund zu schütteln. »Sie... sie haben meine Stadt niedergebrannt, weil wir Stahl geschmolzen haben! Wir haben Städte vernichtet, weil ihre Menschen eine harmlose Wassermühle bauten, nur um etwas weniger Arbeit zu haben! Wir haben ganze Völker ausgelöscht, weil sie Maschinen gebaut haben! Seit... seit zehn Jahren bin ich eure Führerin, und seit zehn Jahren sorge ich dafür, daß auf dieser Welt niemals Maschinen erfunden werden! Und die, für die ich es tue, benutzen sie selbst!«

Bei den letzten Worten hatte sie wieder geschrien, aber die Waga schien ihren Zorn gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Zumindest verstand sie ihn nicht. »Dasss issst logisch«, antwortete sie ruhig. »Sssie thun esss, weil sssie sssie fürchten. Und man fürchtet nichtsss, dasss man nicht khennt.«

»Natürlich!« fauchte Tally. »Aber ich...« Sie brach mitten im Wort ab, starrte die Waga mit großen Augen an und trat einen halben Schritt zurück. »Was... was hast du gesagt?« murmelte sie.

»Dasss sssie sssie fürchten«, wiederholte Essk.

»Und man fürchtet nichts, was man nicht kennt«, fügte Tally leise hinzu. Für einen Moment wich ihr Zorn einer tiefen, mit Entsetzen gepaarten Verwirrung.

»Du... du hast es gewußt«, murmelte sie.

»Nicht gewussst«, antwortete Essk. »Aber gheahnt.

Esss issst logisch.«

»Aber... aber warum hast du niemals... niemals etwas gesagt?« stammelte Tally. »Oder Hrhon?«

»Ihr habt nicht ghefragt«, antwortete Essk ruhig.

Tally starrte sie an. Sie wollte irgend etwas sagen, etwas tun - aber sie konnte es nicht. Seit fünfzehn Jahren kannte sie die beiden Wagas, aber sie hatte tatsächlich niemals auch nur ein persönliches Wort mit ihnen gewechselt, zumindest nicht mehr seit der Zeit, seit sie Hrabans Frau und wenig später seine Witwe und Nachfolgerin geworden war. Für sie - wie für übrigens alle anderen Mitglieder der Sippe auch - waren die beiden Wagas nur große, sehr zuverlässige und sehr starke Diener gewesen, im Grunde selbst nicht viel mehr als Maschinen, auf die man sich verließ, denen man aber keine eigene Persönlichkeit zubilligte.

Tally hatte plötzlich ein starkes Gefühl von Scham.

Wäre der Sandsturm nicht gewesen, dann würde sie Essk und Hrhon noch jetzt als nichts anderes als Sklaven behandeln. Sie fragte sich, wie viel Dinge noch so offensichtlich vor ihrer Nase herumliegen mochten, ohne daß sie sie bisher auch nur bemerkt hatte.

»Und es war euch... egal?« fragte sie stockend. »All die Toten, all die verwüsteten Städte und Länder... das alles war euch gleich? «

»Esss isst Euer Krieg«, antwortete Essk gleichmütig.

»Nhur Mensssen bauen Masssinen. Und nhur Mensssen thöten Mensssen ohne Grund.«

Tally starrte sie betroffen an. Und plötzlich war sie es, die sich als die Unterlegene vorkam. Aus den Worten der Waga sprach eine solche Weisheit, daß sie sich für einen Moment allen Ernstes fragte, wer von ihnen nun das Tier und wer die überlegene Rasse der Schöpfung war.

Aber dann meldete sich in ihr wieder die alte Tally und machte ihr klar, daß sie mit einer fischgesichtigen Waga sprach, die vor ein paar hundert Jahren aus einem Bau gekrochen und im Schlamm aufgewachsen war, bis sie auf Menschen traf, die ihr Sprechen und Denken beige-bracht hatten. Essk war uralt und hatte vor Tally Hraban und vor Hraban schon einem Dutzend anderen gedient, und wahrscheinlich hatte sie diesen Unsinn irgendwann einmal aufgeschnappt und sich gemerkt, um ihn im richtigen Moment anzubringen.

Hrhons Rückkehr bewahrte Essk vor der verletzenden Antwort, die Tally auf der Zunge lag. Der Waga polterte lautstark die Treppe herunter, und obwohl sein Gesicht weiterhin ausdruckslos wie ein alter Schuh blieb, spürte Tally sofort die Erregung, die von ihm Besitz ergriffen hatte. »Jhemand khommt!« keuchte er.