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ßen. im Gang liegt die Beterin - oder das, was noch von ihr übrig ist. Und die anderen Zimmer sehen kaum anders aus als dieses hier. Jemand hat hier sehr gründliche Arbeit geleistet, und es war nicht dieses Mädchen.

Glaubst du wirklich, dieses Kind hätte die Kraft, unsere Schwestern zu töten - und die Kampfinsekten dazu?

Nein.« Sie lachte, schüttelte heftig den Kopf und sah Tally kalt an. »Aber eine Lügnerin ist sie trotzdem«, fuhr sie in unverändertem Ton fort. »Sie spielt uns die Unschuld vor, die vor Angst zittert, aber das ist sie nicht.

Nicht wahr, Kindchen?«

Tally schwieg.

»Wie ist dein Name, Kindchen?« fragte Lyss.

»Tally«, sagte Tally.

»Tally...« Lyss wiederholte den Namen, als versuche sie ihm einen vertrauten Klang abzugewinnen, schüttelte den Kopf und starrte einen Moment lang an Tally vorbei ins Leere. »Und wer bist du?« fragte sie schließlich.

Tally atmete innerlich auf. Der gefährliche Moment war vorbei - sie wußte, daß Lyss sie jetzt nicht mehr töten würde; jedenfalls nicht, bevor sie nicht alles von ihr erfahren hatte, was sie wissen wollte.

»Ich bin Hrabans Frau«, antwortete sie. »Hraban, von der Conden-Sippe. Ich bin hier, um die Befehle der Götter zu holen.«

Auf Lyss' Gesicht war keinerlei Reaktion zu erkennen, aber in Mayas Augen blitzte es abermals wütend auf.

»Hrabans Frau!« wiederholte sie. »Seit wann schickt der Kriegsherr von Conden sein Weib, um seine Arbeit zu tun?«

Die Art, auf die sie das Wort Weib aussprach, mißfiel Tally - vor allem angesichts des Umstandes, daß sie selbst eine Frau war. Aus Mayas Mund hörte es sich an wie eine Beschimpfung. Trotzdem blieb sie äußerlich ruhig, als sie antwortete:

»Seit er tot ist, Herrin.«

»Tot?« Lyss verbarg ihre Überraschung nicht. »Hraban ist tot? Seit wann? Was ist ihm zugestoßen?«

»Er starb vor fünf Jahren«, antwortete Tally. »Er stürzte vom Pferd und brach sich das Bein. Es... es war auf dem Rückweg zur Sippe, noch halb in der Wüste, und ehe wir das Lager erreichten, bekam er Wundbrand und starb nach wenigen Tagen.« Das war nicht ganz die Wahrheit - Hraban war weder vom Pferd gefallen, noch an Wundbrand gestorben, und was ihm zugestoßen war, war Tallys Schwertspitze, aber die Geschichte klang überzeugend genug, Lyss' Mißtrauen wenigstens für den Moment zu dämpfen, denn sie machte eine ungeduldige Handbewegung und sagte: »Weiter.«

»Ich war die einzige, die mit dem Blutstein reden konnte«, fuhr Tally fort. Ihre Hand suchte den tropfen-förmigen Rubin an ihrem Hals und schmiegte sich darum. Lyss' Blicke folgten der Bewegung, ehe sie sich wieder auf ihr Gesicht hefteten. »Hraban hatte nie nach einem Nachfolger gesucht. Er war noch jung, und...

und es gab wohl nicht viele, die das Talent hatten. Er sagte immer, es wäre schwer, jemanden zu finden, der sein Vertrauen verdiente und gleichzeitig die Magie der Steine beherrschte. Nur ich verstand ein wenig davon.«

Auch das war nicht unbedingt die Wahrheit - tatsächlich hatte es im Laufe der Jahre ein gutes halbes Dutzend Männer und Frauen im Lager gegeben, die das Pech hatten, die Kräfte des Blutrubins lenken zu können. Und tatsächlich schien diese Erklärung Lyss nicht vollends zu überzeugen, denn ihr Stirnrunzeln wurde etwas tiefer, so daß Tally hastig hinzusetzte: »Und ich war die einzige, die den Weg kannte. Hraban hat mich immer mitgenommen, wenn er in die Wüste ging.«

»Sie lügt!« sagte Maya zornig. »Ein Kind als Anführer der Conden-Sippe. Sie kann damals noch nicht zwanzig gewesen sein!«

»Warum nicht?« sagte Lyss nachdenklich. »Immerhin war sie seine Frau. Wem soll er vertrauen, wenn nicht seinem eigenen Weib? Aber erzähle weiter, Tally - du hast also seine Stelle eingenommen und bist hierher gekommen, um der Sippe unsere Befehle zu überbringen. Aber wie kommst du hierher? Hat dir Hraban niemals gesagt, daß es verboten ist, sich dem Turm zu nähern?«

»Doch«, antwortete Tally hastig. »Er hat mir alles gezeigt. Die Fallen und die Gedankensperren und...

und er hat von Wesen gesprochen, die den Turm bewachen, schrecklichen Werwesen, die alles töten, was sich bewegt.

»Nun, alles offensichtlich nicht«, sagte Lyss amüsiert.

»Du bist hier, oder?«

»Es... war der Sturm, Herrin«, antwortete Tally nervös.

»Ach - und der hat dich hergeweht, wie?« fragte Lyss spöttisch.

»Ja«, antwortete Tally. Lyss runzelte verärgert die Stirn, sagte aber nichts, und Tally fuhr fort: »Ich geriet in einen Sandsturm - den schlimmsten, den ich jemals erlebt habe. Ich bin einfach geflohen, Herrin. Mein Pferd stürzte, und ich rannte zu Fuß weiter und kam hierher.

Das ist die Wahrheit, Herrin!«

»Unmöglich!« behauptete Maya. »Die Gedankensperren...«

»Es könnte sein«, unterbrach sie Lyss, ohne den Blick von Tally zu nehmen. »Wenn sie vor Angst halb wahnsinnig war, könnte es sein. Es ist unwahrscheinlich, aber möglich. «

»Und die Werwesen?« fragte Maya zornig.

»Ich habe keine gesehen«, antwortete Tally. »Der Sturm war entsetzlich. Ich... ich bin einfach blindlings losgestolpert, und plötzlich war ich in einem Gebäude, das halb vom Sand zugeweht war. Ich habe mich darin verkrochen, bis der Sturm nachließ.«

Lyss blickte sie sehr lange und sehr nachdenklich an.

Tally hätte in diesem Moment ihre rechte Hand dafür gegeben, ihre Gedanken lesen zu können - obwohl es auf der anderen Seite nicht einmal so schwer war, sie zu erraten. Lyss traute ihr nicht, aber sie konnte ihre Geschichte auch nicht direkt widerlegen. Und vor allem wollte sie wissen, was wirklich geschehen war.

»Es könnte so gewesen sein«, sagte die Drachenreiterin nach einer Weile. »Es ist unwahrscheinlich, aber es könnte sein. Es war der schlimmste Sturm seit Jahrzehnten, Maya. Der Verteidigungsgürtel ist schon einmal zusammengebrochen, während eines Sturmes. Trotzdem glaube ich ihr nicht.«

»Aber ich sage die Wahrheit! « sagte Tally verzweifelt.

Sie mußte ihre Angst jetzt nicht einmal mehr spielen. »Es war so. Als... als der Sturm nachließ, kam ich heraus und fand die erschlagenen Hornköpfe und die beiden toten Frauen, und...«

»Die beiden Toten?« fiel ihr Maya ins Wort. »Willst du damit sagen, Tionn wäre ebenfalls tot?«

»Was hast du erwartet?« sagte Lyss leise. »Sie wäre hier, wenn sie noch am Leben wäre.« Sie lachte ganz leise. »Jemand hat den Sturm ausgenutzt, die Sperren zu durchbrechen und hier alles kurz und klein zu schlagen.

Und ich werde herausfinden, wer es ist.«

»Vielleicht eine der anderen Sippen?« sagte Maya.

»Die Ancen-Leute sind in den letzten Jahren aufsässig geworden. Möglicherweise...«

»Möglicherweise«, unterbrach sie Lyss, »vertun wir unsere Zeit mit nutzlosen Vermutungen und Spekulatio-nen, während Tionns und Farins Mörder noch ganz in der Nähe sind. Der Sturm war vor fünf Tagen. Sie können die Wüste noch nicht wieder verlassen haben.«