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»Das war nicht besonders schwer zu erraten«, antwortete Weller. Er deutete auf Hrhon, der zusammengekauert vor dem Feuer hockte und stumpfsinnig in die Flammen blinzelte. »Eine rabiate Amazone, die mit einem Waga durch die Lande zieht und neugierige Fragen stellt...« Er zuckte die Achseln. »Die Beschreibung paßt, findest du nicht? Du bist eine berühmte Frau, Tally.«

»Und eine wertvolle«, fügte Tally hinzu. Ihre Hand glitt zum Schwert.

Aber Wellers Grinsen wurde nur noch breiter. »Du enttäuschst mich, Tally«, sagte er. »Ich hätte das zehnfache der Belohnung einstecken können, die auf deinen Kopf steht, hätte ich all die verraten, die zu mir gekommen sind.«

»Irgendwann ist immer das erste Mal«, erwiderte Tally.

Ihr Blick glitt aufmerksam über Wellers Gestalt. Auch seine Hand lag auf dem Schwert, aber nicht in drohender Weise.

Es war nur ein Reflex, als Antwort auf ihre Bewegung.

»Ich kann euch von Nutzen sein«, fuhr Weller fort. »Sagt mir, wen oder was ihr sucht, in Schelfheim, und ich bringe euch hin.«

Tally dachte einen Moment ernsthaft über seinen Vorschlag nach, schüttelte aber dann den Kopf. Die Verlok-kung, einen Führer zu haben, war groß. Aber sie waren bis jetzt allein gewesen, und ihre innere Stimme riet ihr, auch weiterhin nicht von dieser Taktik abzuweichen.

»Du bist mir zu teuer«, sagte sie. »Selbst, wenn ich dir vertrauen würde, könnte ich mir deine Dienste nicht leisten.«

»Womit wir beim Geld wären.« Weller stakste steifbeinig um das Feuer herum und streckte die linke Hand aus.

»Du schuldest mir zehn Goldstücke. «

Tally seufzte, griff aber unter ihren Mantel und zog die Geldbörse hervor. Sorgsam zählte sie zehn Goldheller ab, ließ sie in Wellers ausgestreckte Hand fallen und knotete die Börse wieder zu. Ihre Barschaft war jetzt auf vier Goldheller und ein paar kleinere Münzen zusammengeschmolzen; in einer Stadt wie Schelfheim gerade genug für eine Übernachtung und eine drittklassige Mahlzeit. Aber sie hatte auch nicht vor, lange in Schelfheim zu bleiben. Wenn sie Glück hatten und den Mann, den sie suchten schnell genug fanden - vorausgesetzt, es gab ihn überhaupt - vielleicht nicht einmal einen Tag.

Tally hatte Städte nie gemocht, und Schelfheim

- obwohl sie es bisher nur von weitem gesehen hatte

- würde sie garantiert noch weniger mögen. Allein der Gedanke, in diesen kochenden Pfuhl voller Menschen und Lärm und Gestank hineingehen zu sollen, bereitete ihr körperliches Unbehagen.

Wellers Blicke waren ihren Bewegungen aufmerksam gefolgt. Jetzt seufzte er, ließ seinen Lohn achtlos in der Kitteltasche verschwinden und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen nieder. »Du hast wirklich nicht viel Geld«, sagte er.

»Ich brauche keines«, erwiderte Tally ausweichend.

»Hier schon.« Weller machte eine bestimmende Handbewegung, als Tally widersprechen wollte. »Du kommst aus dem Süden, Kindchen«, fuhr er fort. »Dort mag das alles stimmen. Aber Schelfheim ist anders. Ohne genü-

gend Geld bist du hier verloren. Aber ich will nicht so sein - jemand, der von den Töchtern des Drachen gesucht wird, verdient es, ein wenig Hilfe geschenkt zu bekommen. Also: eine Frage hast du frei.«

»Die Töchter des Drachen?« Tally starrte Weller ungläubig an. »Woher hast du diesen Namen?«

»Ist das die Frage? « Weller grinste.

Allerdings nicht sehr lange, denn Tally beugte sich blitzschnell vor, ergriff ihn am Kragen und zerrte ihn mit solcher Kraft zu sich herab, daß er fast das Gleichgewicht verlor. »Woher du diesen Namen hast, will ich wissen!«

»Beim Schlund, laß mich los!« keuschte Weller. Vergeblich versuchte er, Tallys Griff zu sprengen, erreichte damit aber nur, daß sie nun auch noch die andere Hand in sein Wams krallte und ihm fast vollends den Atem abschnürte. »Ich antworte ja, aber wie kann ich das, wenn du mich erwürgst?«

Tally ließ widerstrebend sein Wams los, starrte ihn aber weiter drohend an. Weller richtete sich keuchend wieder auf, fuhr sich mit der Linken über die Kehle und senkte die andere Hand auf das Schwert.

Tally schüttelte ganz sacht den Kopf. »Versuch es nicht«, sagte sie.

»Die Beschreibung, die man mir gegeben hat, stimmt wirklich«, murrte Weller. »Du bist rabiat.«

»Ich glaube, ich habe dir eine Frage gestellt«, erinnerte Tally. Weller starrte sie finster an, kroch ein kleines Stück von ihr zurück und strich abermals mit den Fingern über seine mißhandelte Kehle.

»Sie sind die wahren Herren von Schelfheim«, antwortete er unwillig. »Der Stadthalter und seine Soldaten gehorchen ihnen, auch wenn sie es nicht zugeben wollen.«

»Wieso Töchter des Drachen?« fragte Tally.

»Wieso Tally?« erwiderte Weller böse. »Sie nennen sich eben so. Und sie haben ganz entschieden etwas gegen dich und deinen Freund da. Was glaubst du, woher die Belohnung stammt, die auf deinen Kopf ausgesetzt ist?« Er fluchte. »Ich weiß gar nicht, warum ich mich mit dir abgebe. Ich hätte dich gleich zum Teufel jagen sollen.« Er stand auf und stieß wütend mit dem Fuß ins Feuer, daß die Funken flogen. »Kommt jetzt. Es ist Zeit.«

Die Stunde, von der er zuvor gesprochen hatte, war noch lange nicht verstrichen, aber Tally gehorchte trotzdem. Ihre Gedanken kreisten wie wild um den Namen, den Weller genannt hatte.

Die Töchter des Drachen...

Es konnte Zufall sein, aber wenn, dann war es ein so großer Zufall, daß es ihr schwer fiel, ihn zu akzeptieren.

Auf der anderen Seite erschien es ihr unglaublich, daß sie in solcher Offenheit auftreten sollten. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Plötzlich konnte sie es kaum mehr erwarten, nach Schelfheim zu kommen. Vielleicht war sie ihrem Ziel näher, als sie geahnt hatte.

~ 2 ~

Aber bevor es so weit war, wartete noch ein gehöriger Fußmarsch auf sie. Weller verließ die Höhle durch einen der Stollen, die in ihre Wände mündeten, und für eine gute halbe Stunde führte er sie durch ein wahres Labyrinth finsterer, sich kreuzender Gänge und schräger Rampen, die mal nach oben, mal abwärts führten. Sie kam nicht dazu, Weller eine weitere Frage zu stellen, denn er ging so weit und so rasch vor ihnen, daß Tally und Hrhon Mühe hatten, überhaupt mit ihm Schritt zu halten, zumal sie noch die Pferde mit sich führen muß-

ten, denen es gar nicht gefiel, durch pechschwarze Tunnel gezwungen zu werden. Schließlich endete der Marsch in einer zweiten, allerdings sehr viel kleineren Kuppelhöhle.

Der Geruch warnte sie, Augenblicke, bevor sie hinter Weller aus dem Gang trat. Und trotzdem wäre es um ein Haar zur Katastrophe gekommen. Sie spürte die Bewegung, eine halbe Sekunde, bevor Hrhon ein wütendes Zischen ausstieß und sie kurzerhand zur Seite schob; so wuchtig, daß sie gegen die Wand prallte und auf die Knie herabfiel. Weller ließ ein überraschtes Keuchen hören, aber der Waga rannte ihn einfach nieder und stürzte sich mit drohend erhobenen Fäusten auf das schwarzglänzende Chitinbündel, das ihm aus seinen starren Facettenaugen entgegenblickte und gar nicht begriff, wie ihm geschah.

»Hrhon - nicht!« rief Tally verzweifelt. »Hör auf!«