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Sie konnte nicht genau erkennen, ob Hrhon ihre Worte überhaupt gehört hatte, aber einen Augenblick später hörte sie ein dumpfes, berstendes Geräusch, dem ein pfeifender Schmerzlaut folgte, und die Schatten des Waga und des Hornkopfes verschmolzen zu einem unentwirrbaren Bündel wirbelnder Glieder.

»Hrhon! Zurück!« schrie Tally. Sie sprang auf, stieß Weller, der sich gerade aufrappeln wollte, ein zweites Mal zu Boden, und versuchte Hrhon von seinem Opfer wegzu-reißen.

Natürlich reichte ihre Kraft nicht aus, den Waga auch nur aufzuhalten, aber ihr Eingreifen brachte ihn wenigstens so weit zur Vernunft, daß er aufhörte, seine geballte Faust immer wieder auf den hornigen Schädel der Termite herunterkrachen zu lassen. Allerdings ließ er den Hornkopf auch nicht los, sondern preßte ihn weiter zu Boden, wobei er ohne sichtliche Anstrengung seine gewaltigen Beißzangen auseinanderbog.

»Verdammt, ist das eure Art, Dankbarkeit zu zeigen?«

fragte Weller.

Tally ignorierte ihn. »Bitte, Hrhon, laß ihn los«, sagte sie. »Er gehört nicht zu ihnen.«

Hrhon zögerte. Seine geballte Faust schwebte noch immer über dem Schädel des Hornkopfes, und das trübe Glitzern seiner Augen hatte flammendem Haß Platz gemacht. Seine Lippen zitterten. Dann, ganz plötzlich, war es, als erwache er unversehens aus einem tiefen Schlaf. Verwirrt starrte er auf den Hornkopf herab, stand mit einem Ruck auf und wich zwei, drei Schritte zurück.

Auch der Hornkopf erhob sich taumelnd auf seine sechs Beine und kroch ein Stückweit davon.

»Was soll das?« beschwerte sich Weller. Wütend trat er neben Tally, riß sie am Arm herum und zog die Hand hastig wieder zurück, als Hrhon ein drohendes Zischen hören ließ.

»Verzeiht meinem Freund«, sagte Tally, betont ruhig.

»Er mag Hornköpfe nicht. Sie haben seine Frau getötet«, fügte sie hinzu. Sie war verwirrt. Sie verstand und teilte Hrhons Haß auf die insektioden Kreaturen, aber sie hatte ihn noch niemals so unbeherrscht wie jetzt erlebt. »Es tut mir leid.«

»Leid?« Weller spie aus. »Beim Schlund, wenn das deine Freunde sind, möchte ich nicht deine Feinde ken-nenlernen, Tally! Du wirst nicht weit kommen, wenn er auf jeden Hornkopf losgeht, den er sieht. Es wimmelt in Schelfheim nämlich von ihnen.«

»Ich sagte, es tut mir leid«, erwiderte Tally scharf.

»Hrhon hat die Beherrschung verloren. Der Winter macht ihm zu schaffen. Aber es wird nicht noch einmal geschehen. Und du hättest uns warnen können.«

»Warnen?« Weller schrie fast. »Wovor? Daß ich Arbeiter beschäftige? Du bist wirklich verrückt, Tally. Ich bin froh, wenn ich euch beide Irre los bin.« Wütend fuhr er herum und klatschte in die Hände. Ein zweiter, dritter und vierter Hornkopf krochen schwerfällig in die Höhle, jeder einzelne ein wahrer Gigant, dessen bloßer Anblick Tally schaudern ließ.

Sie sah zu Hrhon hinüber. Der Waga war ein Stück zurückgewichen und musterte die Hornköpfe voller schweigendem Haß. Er wirkte kein bißchen bedrückt oder schuldbewußt, dachte Tally besorgt. Ganz im Gegenteil - sie hatte das sichere Gefühl, daß er sich sehr beherrschte, um nicht ein zweites Mal auf die Hornköpfe loszugehen.

»Was ist in dich gefahren?« fragte sie, so leise, daß Weller die Worte nicht hören konnte. »Es sind ganz normale Hornköpfe! Bist du von Sinnen?«

»Etwasss ssstimmt nissst mhit ihnen«, behauptete Hrhon. »Sssie hasssen unsss.«

»Sie...?« Tally blickte verwirrt auf die vier gigantischen Termiten herab. Der Anblick der chitingepanzer-ten Ungeheuer bereitete ihr Unbehagen, aber das war normal. Trotzdem war sie für einen Moment nicht sehr sicher, daß Hrhons Behauptung nur seiner Müdigkeit zuzuschreiben war.

»Unsinn«, sagte sie. »Du wirst dich beherrschen, verstanden?«

»Whie ihr bhefhelt, Herrin«, sagte Hrhon - allerdings in einem Ton, der seine Worte Lügen strafte. Seine gewaltigen Pranken bewegten sich, ohne daß er es auch nur merkte. Tally warf ihm einen letzten, mahnenden Blick zu, wandte sich wieder an Weller und deutete auf die Hornköpfe herab. »Wozu brauchst du diese Kreaturen?«

»Um Verrückte wie euch nach unten zu bringen«, antwortete Weller mit einem bösen Blick auf Hrhon. Er schnippte mit den Fingern, woraufhin sich einer der Hornköpfe in Bewegung setzte und schwerfällig auf ein vielleicht drei Meter messendes, kreisrundes Loch zukroch, das im Boden gähnte.

Tally sah erst jetzt, daß sich darüber eine komplizierte, aus zahlreichen Stangen und Zahnrädern und Rollen bestehende Konstruktion erhob, von der eine armdicke Kette in die Tiefe führte. Der Hornkopf griff geschickt mit seinen gewaltigen Zangen nach einem Hebel und begann ihn wie einen Pumpenschwengel auf und ab zu bewegen. Ein Teil des verwirrenden Räderwerkes setzte sich in Bewegung. Die Kette spannte sich. Ein ächzendes Klirren drang aus der Tiefe des Schachtes.

»Das ist also dein kleines Geheimnis«, sagte sie spöttisch. »Ein Aufzug. Vermutlich übriggeblieben, als man diese Mine aufgab.«

»Vermutlich«, knurrte Weller. »Aber er funktioniert nur, wenn jemand da ist, der den Hebel bedient, weißt du?«

Tally tat so, als hätte sie die Spitze überhört, trat an den Rand des Schachtes und beugte sich vor, um in die Tiefe zu sehen. Unter ihr, sehr tief unter ihr, bewegte sich ein glitzerndes Etwas durch den Schacht. Der Anblick ließ sie schwindeln. Sie mußten sich in die Höhe bewegt haben, statt nach unten, wie sie bisher angenommen hatte. Der Schacht war mindestens eine Meile tief.

Hastig trat sie ein Stück zurück.

»Ist es stabil genug, Hrhon und die Pferde und mich zu tragen?« fragte sie.

»Keine Ahnung«, sagte Weller ärgerlich. »Der Waga wird allein fahren. Zuerst sind die Pferde dran, dann du.« Er spie zornig aus. »Bei diesem Handel zahle ich drauf!«

Oh ja, dachte Tally spöttisch. Und du weißt noch gar nicht, wie sehr, mein Lieber. Aber sie sagte vorsichtshalber nichts mehr, sondern wartete geduldig, bis der Hornkopf den Aufzug zu ihnen heraufgebracht hatte, was eine gute Viertelstunde in Anspruch nahm. Sie nutzte die Zeit, sich Wellers Maschine in aller Ruhe anzusehen.

Tally hatte zwar nicht das mindeste technische Verständnis, aber sie erkannte doch, daß es sich um eine echt komplizierte Konstruktion handelte; etwas, das weit über Rad und Hebel hinausging, die einzigen technischen Hilfmittel, die die Götter erlaubten. Die Kabine des Aufzuges selbst, die nach einer Weile schaukelnd und ächzend aus dem Schacht auftauchte, bestand zur Gänze aus Metall, das uralt sein mußte, aber nicht die geringste Spur von Rost zeigte.

»Das da kann dir den Hals kosten, weißt du das?«

fragte sie.

»So?« Weller blickte provozierend an ihr vorbei.

»Du verstößt gegen die Gesetze der Götter«, sagte Tally. »Wenn sie herausfinden, was du hier tust, dann töten sie dich.«

»Da wo du herkommst, vielleicht. Hier nicht. Unsere Götter sind weniger schlimm. Aber wozu brauche ich Götter, wenn ich Kunden wie euch habe?« murrte Weller. Mit einer herrischen Bewegung scheuchte er den Hornkopf vom Rand des Schachtes weg, trat an den eisernen Käfig und stieß die Tür auf. »Mach schnell«, sagte er. »Ich bin froh, wenn ich euch los bin.«