Brennende Trümmerstücke und glühender Stein bildeten ein bizarres Muster auf dem schlammigen Boden.
Tally drehte sich herum, als sie ein Geräusch hörte, das nicht in das Prasseln der Flammen gehörte. Sie sah das Glitzern von Horn, hob ihre Waffe und erkannte im allerletzten Moment Hrhon, der ungeschickt durch die Bresche im Mauerwerk hereinkroch. In der rechten Hand hielt er den abgerissenen Arm einer Beterin, seine andere Pranke zerrte ein zappelndes Etwas hinter sich her, das Tally erst nach Augenblicken als einen arg ramponierten Weller erkannte.
Flammen und brennendes Holz regneten auf die beiden herab. Hrhon spürte es wahrscheinlich nicht einmal, aber Weller schrie vor Schmerz, als ein weißglühender Span sein Gesicht traf. Winzige, rote Flämmchen begannen aus seinem Bart zu züngeln. Mit einem Satz war Tally bei ihm, schlug die Flammen mit den Händen aus und half ihm auf die Füße.
»Schaff ihn raus!« schrie sie. »Schnell!«
Gleichzeitig versetzte sie Weller einen Stoß, der ihn meterweit durch den brennenden Raum taumeln ließ, sprang zur Seite, um einem Hagel brennender Balken und sprühender Funken auszuweichen, und sah einen gigantischen hornköpfigen Umriß in der Mauerbresche auftauchen. Instinktiv riß sie ihre Waffe hoch und schoß.
Der unsichtbare Blitz traf die Beterin, zerfetzte zwei ihrer Beine und zermalmte ein Drittel ihres Hinterleibes, aber das Insekt rast weiter auf sie zu, wie ein lebendes Geschoß vom Schwung seiner eigenen Bewegung vorwärts gerissen. Seine gewaltige Klaue zuckte im Todes-kampf, traf Tallys Arm und schmetterte ihr die Waffe aus der Hand.
Sie fiel, spürte eine Woge entsetzlicher Hitze durch ihren linken Arm rasen und sprang verzweifelt wieder auf die Füße. Ihr Mantel brannte. Sie riß ihn herunter, schlug mit der bloßen Hand die Flammen aus, die an ihrem Wams leckten, und taumelte in die Richtung, in der Hrhons Schatten wie ein flacher Scherenschnitt hinter den Flammen tanzte.
Schmerz und Hitze trieben ihr die Tränen in die Augen. Halb blind hetzte sie durch das brennende Zimmer, prallte unsanft gegen den Türrahmen und fühlte sich plötzlich von einer unmenschlich starken Hand gepackt und vorwärts gerissen.
Auch der Korridor stand in hellen Flammen. Das Feuer hatte die Decke erreicht und das Gemisch aus Lehm und Stroh in Brand gesetzt, aus dem sie gemacht war. Der Boden schwelte, und die Luft war so heiß, daß Tally vor Schmerz aufschrie, als sie zu atmen versuchte.
Hrhon warf sie sich kurzerhand über die Schulter, versuchte mit der Hand ihr Gesicht vor den Flammen zu schützen und rannte auf seinen kurzen Beinen los, so schnell er nur konnte.
Es war nicht sehr schnell.
Er brauchte zehn Sekunden, um den nur wenige Schritte messenden Gang zu durchqueren, und hätte er weitere zehn Sekunden gebraucht, hätte er nur noch eine Leiche ins Freie geschafft. Tally konnte nicht mehr atmen. Die Hitze hatte ihre Kehle verbrannt, und der erstickende Rauch fraß in ihren Lungen wie Säure. Ihr Gesicht und ihre Hände fühlten sich an wie eine einzige, schmerzende Wunde. Als Hrhon sie behutsam von der Schulter lud und auf die Füße stellte, wankte sie vor Schwäche und wäre gestürzt, wenn der Waga nicht rasch zugegriffen und sie gestützt hätte.
»Sssoll isss disss thraghen?« fragte Hrhon.
Tally schüttelte mühsam den Kopf. Allein die Vorstellung, ihre schmerzenden Muskeln auch nur noch zu einem einzigen Schritt zu zwingen, bereitete ihr Übelkeit. Aber Hrhon war einfach zu langsam. »Wo... wo ist Weller?« keuchte sie.
»Hier, verdammt noch mal. Oder das, was ihr von mir übrig gelassen habt!«
Tally ließ Hrhons Schulter los und drehte sich um.
Weller hockte wenige Schritte hinter ihr auf den Knien, die linke Hand gegen sein verbranntes Gesicht gepreßt.
Sein Wams wies zahllose Brandflecken auf, an einer Stelle schwelte es sogar noch. Aber der Ausdruck in seinen Augen war eindeutig Wut.
Stöhnend stemmte er sich in die Höhe, taumelte auf Tally und den Waga zu und deutete die Straße hinab, ohne die Hand vom Gesicht zu nehmen. »Weg hier!«
keuchte er. »Bevor der ganze Misthaufen in Flammen aufgeht. Das Feuer greift um sich.«
»Ich weiß«, sagte Tally. »Das war der Sinn der Sache.
Ich denke, die haben jetzt anderes zu tun, als uns zu jagen.«
Wellers Augen flammten vor Zorn. »Ja!« brüllte er.
»Nämlich dasselbe wie wir, du dumme Kuh - am Leben zu bleiben! Weißt du überhaupt, was ein Feuer hier bedeutet?« Er ballte zornig die Faust und beantwortete seine Frage gleich selbst. »Natürlich nicht. Aber du wirst es gleich merken.«
Er sollte recht behalten.
Das Feuer folgte ihnen. Die Flammen mußten in den aus Holz und Abfällen errichteten Häusern überreichlich Nahrung finden; denn schon nach Minuten hatte nicht nur das Haus in Flammen gestanden, durch das sie geflohen waren, sondern die gesamte Gasse brannte so lichterloh, daß Tally bezweifelte, ob es einem der Hornköpfe - oder gar einem von Brakus Männern - gelang, aus der flammenden Hölle zu entkommen, in die sich die schmale Gasse verwandelt haben mußte. Und das Feuer hatte nicht am Ende der Straße Halt gemacht, sondern griff weiter um sich. Rasend schnell.
Schon nach Minuten lohte der Himmel über der Slamstadt in düsterem, drohendem Rot, und als Tally über die Schulter zurücksah, glaubte sie einen flammenspeienden Vulkan zu erblicken, dort wo das Haus gestanden hatte.
Das Feuer schoß dreißig, vierzig Meter weit brüllend in die Höhe, fächerte zu einem wabernden Pilz auseinander und fiel wieder zur Erde, um weitere Dächer in Brand zu setzen. Hier und da schossen fauchende blaue Gasfak-keln aus dem Boden.
»Bei allen Göttern, was geschieht hier?« schrie Tally über das Brüllen der Flammen hinweg.
»Was denkst du, was das hier ist?« schrie Weller zurück. »Der ganze Slam ist auf einem einzigen großen Müllhaufen errichtet worden. Das Zeug brennt wie Zun-der.« Er gestikulierte heftig mit der freien Hand. »Lauft schneller. Es ist nicht mehr weit! Noch eine halbe Meile!«
Tally fragte ihn nicht, bis wohin es noch eine halbe Meile war, sondern sparte sich ihren Atem auf, um schneller zu laufen. Sie fühlte sich erschöpft und ausge-laugt wie selten zuvor in ihrem Leben, aber die Angst gab ihr zusätzliche Kräfte. Und selbst Hrhon, der normalerweise Mühe hatte, mit einem Spaziergänger mitzuhal-ten, entwickelte ein erstaunliches Tempo.
Trotzdem schmolz ihr Vorsprung ganz allmählich zusammen. Hitze und Lärm und beißender Qualm folgten ihnen, und schon bald begann die Luft in Tallys Lungen abermals schmerzhaft heiß zu werden. Rings um sie herum waren plötzlich Hunderte, wenn nicht Tausende von Gestalten - Männer, Frauen und Kinder, einer so zerlumpt wie der andere, eine panische Flucht, die wie eine Woge aus Leiber nach Norden drängte und Tally einfach mit sich riß. Wäre Hrhon nicht wie ein lebender Fels hinter ihnen hergestampft, wären sie schon in den ersten Augenblicken getrennt oder schlichtweg niedergetrampelt worden.
Plötzlich hörte das Labyrinth aus schlammigen Gassen und Plätzen wie abgeschnitten auf, und vor ihnen lag ein vollkommen ebener, sicherlich eine halbe Meile breiter Sandstreifen, an dessen gegenüberliegendem Rand sich die ersten Häuser Schelfheims erhoben, eine ungeheuerliche Masse von neben-, über- und ineinandergeschach-telten Gebäuden, von der Nacht zu einer schwarzen Klippe verschmolzen. Der Widerschein des Feuers schien sie mit Blut zu übergießen.