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»Dein Bruder?« wiederholte Angella. »Der Mann, der vorhin mit dir zusammen war?« Tally nickte, und Angella fuhr fort: »Er muß verrückt sein, dich allein in dieser Kaschemme zurückzulassen. Das hier ist eine üble Gegend, weiß er das denn nicht?«

Tally nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. Ihre rechte Hand näherte sich unter dem Tisch dem Schwertgriff. Dieses Mädchen war nicht nur hier, um mit ihr zu reden, das spürte sie.

»Sieh dir die Burschen nur an«, fuhr Angella mit einer Kopfbewegung hinter sich fort. »Das sind noch die Harmlosesten von denen, die hier herumlaufen. Einem kleinen Mädchen wie dir kann hier weiß-Gott-was zusto-

ßen, wenn es allein ist.«

»Ich habe keine Angst«, sagte Tally ruhig. »Ich tue niemandem etwas, warum sollte also mir jemand etwas antun wollen?«

Angella lachte schallend. »Bist du so naiv, oder willst du mich auf den Arm nehmen, Nora?« fragte sie. »Du bist hier schneller tot, als du deinen falschen Namen buchstabieren kannst - wenn du niemanden hast, der auf dich aufpaßt, heißt das. Aber den hast du ja nun«, fügte sie nach einer winzigen Pause hinzu.

Tally tat ihr nicht den Gefallen, sie zu fragen, wie ihre Worte gemeint waren, sondern sah sie nur weiter mit gespieltem Unverständnis an.

»Du gefällst mir«, fuhr Angella fort, als sie auch nach weiteren Sekunden nicht reagierte. »Ich denke, ich werde auf dich aufpassen, bis dein Bruder zurück ist.

Aber das kann dauern, vor allem in einer Gegend wie dieser.« Sie lächelte, streckte den Arm aus und legte die Hand unter Tallys Kinn. »Ich wüßte etwas, womit wir uns die Wartezeit vertreiben könnten, Liebes.«

Tally schlug ihre Hand beiseite. Angellas Augen verdunkelten sich vor Zorn, und Tally sah, wie ihre Rechte zum Schwert zuckte; gleichzeitig spannte sich das halbe Dutzend Gestalten, das mit ihr hereingekommen war, und mit einem Male war es sehr still.

Aber Angella führte die begonnene Bewegung nicht zu Ende, sondern atmete nur hörbar ein, starrte Tally noch einen Herzschlag lang eisig an und stand dann mit einer so heftigen Bewegung auf, daß ihr Stuhl umschlug. Tally konnte die Spannung beinahe sehen, die sich mit einem Male in der Gaststube ausbreitete.

Aber der gefährliche Moment ging vorüber, ohne daß irgend etwas geschah. Angella trat zu ihren Begleitern an die Theke zurück, deutete mit einer komplizierten Handbewegung auf Tally und sagte ein Wort, das Tally nicht verstand, unter den zerlumpten Gestalten aber ein gröhlendes Gelächter auslöste. Mit einer herrischen Geste bestellte sie ein weiteres Bier und leerte den Krug mit einem einzigen, gewaltigen Zug.

Tally atmete erleichtert auf. Sie hatte keine Angst gehabt - nicht vor diesem Kind - aber sie war nicht hier, um sich in eine Wirtshausschlägerei verwickeln zu lassen. Außerdem war Angella nicht allein.

Wo blieb nur Weller?

Nach einer Weile kam der Wirt und brachte einen Teller mit halbverbranntem Fleisch und einer hölzernen Schüssel mit der unappetitlichen Pampe, von der er behauptet hatte, es sei frisches Gemüse. Unfreundlich knallte er beides vor Tally auf den Tisch, streckte die Hand aus und verlangte einen Silberheller.

»Besser du tust, was sie von dir verlangt, Kind«, raunte er ihr zu, als sie die Münze in seine Hand fallen ließ. »Du weißt nicht, wer diese Frau ist.«

Tally schwieg - schon, um dem Wirt nicht als Dank für seine Warnung Ärger zu machen. Aber seine Worte hatten das ungute Gefühl in ihr noch verstärkt. Nein

- sie war jetzt ziemlich sicher, daß Angella sie nicht so ohne weiteres gehen lassen würde. Und sie konnte nicht ewig hier sitzen bleiben. Wenn Weller nicht kam, bis sie ihr Mahl beendet hatte, würde sie sich auf die Suche nach ihm machen - schlimmstenfalls über Angellas Leiche.

Sie aß schweigend, spülte den schlechten Geschmack, den das Essen auf ihrer Zunge hinterließ, mit dem Rest Bier in ihrem Becher herab und verbarg das Schwert unter ihrem Mantel, ehe sie aufstand und ohne sichtliche Hast auf die Theke zuging. Angella blickte bei ihrer Annäherung erwartungsvoll auf, sagte aber nichts, und auch ihre Begleiter traten schweigend zur Seite, um Tally Platz zu machen.

»Mein Bruder verspätet sich wohl«, sagte sie, an den Wirt gewandt. »Ich werde mich allein auf den Weg machen, um nach unserem Freund zu suchen. Sollte er noch kommen, richtet ihm aus, wir treffen uns dort.«

»Du solltest nicht allein hinausgehen, Nora«, sagte Angella freundlich. »Die Straßen sind gefährlich. Darf ich dir meinen Schutz anbieten?«

Tally ignorierte sie, nickte dem Wirt grüßend zu und wandte sich zur Tür. Alle ihre Sinne waren bis zum Zerreißen angespannt. Sie wirkte äußerlich weiter ruhig, aber ihr entging nicht der mindeste Laut in ihrer Umgebung. Und es waren Geräusche, die Bände sprachen.

Als sie die Tür fast erreicht hatte, vertrat ihr einer von Angellas Begleitern den Weg. »Hast du nicht gehört, was Angella gesagt hat?« fragte er grinsend.

Tally nickte. »Doch«, sagte sie. »Aber ich denke, ich komme ganz gut allein zurecht. Gib den Weg frei

- bitte.«

Das Grinsen des Burschen wurde noch breiter. »Und wenn nicht?« fragte er. Hinter Tally waren Schritte. Das Gefühl von mindestens zwei, vielleicht drei Männern, die sich ihr näherten. In den Augäpfeln des Burschen vor ihr spiegelte sich das Blitzen von Metall.

»Du solltest besser tun, was Angella vorschlägt«, fuhr er fort. »Es sei denn, du legst Wert darauf, daß ich dich vom Hals bis zu deinem hübschen Hintern aufschneide, Schätzchen. Nun?«

Tally zuckte die Achseln. »Warum eigentlich nicht?«

Sie schlug zu, ehe der Mann überhaupt begriff, was sie tat.

Ihre Handkante traf seinen Kehlkopf mit tödlicher Präzision und zermalmte ihn. Gleichzeitig fuhr sie herum, riß das Schwert unter dem Mantel hervor und verschaffte sich mit einem gewaltigen, beidhändig geführten Hieb Luft. Sie traf nicht und hatte es auch nicht gewollt, aber die beiden Kerle, die sich in ihren Rücken geschlichen hatten, brachten sich mit grotesken Hüpfern in Sicherheit, und auch Angella selbst, die nur wenig hinter ihnen stand, prallte mitten im Schritt zu-rück.

Aber der Schock über Tallys jähe Verwandlung hielt nur einen Bruchteil eines Herzschlages an; dann verzerrte sich das Gesicht des einen Burschen vor Haß, er schrie auf, riß ein schartiges, aber dafür um so längeres Schwert in die Höhe und drang mit einem gellenden Schrei auf sie ein.

Tally wich dem ersten Hieb aus, trat einen halben Schritt zur Seite und riß ihre Klinge hoch, als der Mann das zweite Mal zuschlug. Die Schwerter prallten funkensprühend gegeneinander. Tallys Klinge rutschte an der des Angreifers herab, prallte gegen ihren Handschutz, federte zurück und beschrieb einen unglaublich engen, rasend schnellen Halbkreis, und plötzlich flog das Schwert des anderen im hohen Bogen davon. Zusammen mit der Hand, die es gehalten hatte.

Diesmal hielt das entsetzliche Schweigen länger an.

Der Bursche dessen Hand sie abgeschlagen hatte, starrte aus hervorquellenden Augen auf seinen bluten-den Armstumpf. Kleine, krächzende Laute drangen aus seinem Mund. Dann schrie er auf - nur ein einziges Mal und nicht sehr laut - umklammerte den Armstumpf mit der anderen Hand und brach wie vom Blitz getroffen zusammen.