Tally wechselte ihr Schwert blitzschnell von der rechten in die linke Hand und wieder zurück, schlug ihren Mantel vollends beiseite und machte eine drohende, halbkreisförmige Bewegung mit der Waffe. »Noch jemand?« fragte sie leise.
Keiner der vier Burschen reagierte, die ihr noch gegen-
überstanden, und auch Angella selbst blickte sie nur mit einer Mischung aus Unglauben und langsam aufkeimen-der Wut an. Tally ihrerseits fühlte sich nicht halb so sicher, wie sie mit ihren Worten glauben machen wollte.
Sie rechnete sich keine Chancen aus, es wirklich mit fünf Gegnern gleichzeitig aufnehmen zu können - nicht hier drinnen und so erschöpft und müde, wie sie war. Und nicht jetzt, wo Angella und ihre Begleiter wußten, daß sie es nicht mit der wehrlosen dummen Gans zu tun hatten, für die sie sie bisher gehalten haben mochten. Aber wenn sie auch nur eine Spur von Schwäche oder Furcht zeigte, war es aus.
Plötzlich lächelte Angella, wenn auch auf eine Art, die Tally einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ.
»Sieh an«, sagte sie. »Eine Schwester im Geiste, wie?
Warum hast du das nicht gleich gesagt, Noraschätzchen?« Ganz langsam zog sie ihr Schwert aus dem Gürtel, scheuchte mit einer Handbewegung die Männer zurück, die damit begonnen hatten, einen Halbkreis um Tally zu bilden, und hob den Arm. Einer ihrer Männer trat herbei und befestigte einen runden, nur tellergroßen Schild an ihrer freien Hand.
»Schade«, sagte sie lächelnd. »Ich hatte eigentlich vor, mich auf andere Weise mit dir zu amüsieren, Schätzchen.
Aber bitte - wie du willst.«
Tally wich einen weiteren Schritt zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Angella folgte ihr, machte aber noch keine Anstalten, anzugreifen.
»Ich habe keinen Streit mit dir, Angella«, sagte Tally.
»Wenn du mich gehen läßt, ist die Sache erledigt. Ich will dich nicht töten.«
Angella schüttelte den Kopf. »Daraus wird nichts. Du hast zwei meiner Männer erledigt. Ich kann dich nicht gehen lassen.«
Ihr Angriff kam so schnell, daß Tally ihn kaum sah.
Angellas Schwert zuckte in einer unglaublich raschen, schlängelnden Bewegung vor, unterlief ihre Deckung und zog eine flammende Spur aus Schmerz über ihren Oberschenkel; gleichzeitig schlug sie mit dem Schild nach Tallys Kopf und zwang sie so, in genau die Richtung zurückzuweichen, in der sie sie haben wollte - fort von der Tür und auf die Theke und ihre Begleiter zu, die zweifellos nur darauf warteten, Tally in den Rücken zu fallen.
Der zweite Hieb traf sie in den Oberarm; nicht sehr tief, aber so schmerzhaft, daß sie aufschrie und um ein Haar das Gleichgewicht verlor. Angella heulte triumphierend auf, setzte ihr nach und fiel auf ein Knie herab, als Tally nicht weiter zurückwich, sondern ihr im Gegenteil entgegensprang und ihr mit aller Kraft vors Schien-bein trat. Trotzdem besaß sie noch genug Geistesgegen-wart, den linken Arm hochzureißen und Tallys nachge-setzten Schwerthieb aufzufangen. Der Hieb war so gewaltig, daß der kleine Metallschild in zwei Teile zerbrach. Angella fiel mit einem schrillen Schmerzlaut auf die Seite und preßte den Arm gegen den Leib.
Aber Tally blieb keine Zeit, auch nur so etwas wie Triumph zu empfinden, denn statt Angella griffen nun die vier Kerle an, die in ihrer Begleitung waren. Und sie taten Tally nicht noch einmal den Gefallen, sie zu unterschätzen.
Der Kampf war aussichtslos. Ihre Klinge war den schartigen Waffen der Angreifer überlegen, und sie war zweifellos auch die bessere Schwertkämpferin - aber sie waren zu viert, und der Begriff Fairneß schien in ihrem Wortschatz nicht vorzukommen. Tally wehrte sich verbissen, konnte aber nicht verhindern, daß sie mehrmals getroffen wurde, und wenn die Wunden auch nicht schwer waren, so behinderten sie sie doch merklich.
Schon nach wenigen Augenblicken wurde sie zurückge-drängt, bis sie mit dem Rücken gegen die niedrige Theke stieß und es nichts mehr gab, wohin sie sich zurückzie-hen konnte. Sie hätte wohl kaum die nächsten zehn Sekunden überlebt, hätte sich nicht Angella in diesem Moment mit schmerzverzerrtem Gesicht aufgerichtet und ihren Männern zugeschrien, sie lebend zu fangen.
Die Angreifer zögerten einen winzigen Moment - und Tally nutzte die Chance. Blitzschnell trat sie einem der Burschen die Beine unter dem Leib weg, stieß sich in der gleichen Bewegung nach hinten und rollte über die niedrige Theke.
Ein Schwert hämmerte in das morsche Holz und verfehlte sie. Dann stürzte sie auf der anderen Seite der Theke herab, rollte herum und sah einen Schatten über sich aufragen. Blindlings stieß sie die Klinge nach oben, traf auf Widerstand und hörte einen gurgelnden Schrei.
Als sie sich aufrichtete, brach einer der vier Angreifer mit durchschnittener Kehle zusammen.
Die drei anderen versuchten gleichzeitig, über die Theke zu springen. Tally packte den mittleren Burschen beim Schopf, knallte sein Gesicht wuchtig auf das harte Holz und sprang über seinen Rücken hinweg - und um ein Haar in Angellas Schwert hinein.
Die junge Frau hatte sich taumelnd aufgerichtet. Ihr Gesicht war aschfahl, und ihr linker Arm schien gebrochen zu sein, denn er hing nutzlos herab, und ihr Mund war vor Schmerz zu einem dünnen blutleeren Strich geworden. Aber ihre Augen flammten vor Haß, und schon ihr erster Hieb bewies Tally, daß sie höchstens noch gefährlicher geworden war.
Angella griff rücksichtslos an. Ihre Hiebe kamen so schnell und kraftvoll, daß Tally plötzlich alle Hände voll zu tun hatte, nicht getroffen zu werden und an ein Zurückschlagen nicht einmal denken konnte. Und die Geräusche hinter ihr bewiesen sehr deutlich, daß die drei Halsabschneider bereits dabei waren, erneut über die Theke zu klettern und ihr in den Rücken zu fallen.
Tally setzte alles auf eine Karte. Als Angella das nächste Mal zu einem Hieb ausholte, fing sie das Schwert nicht mit der eigenen Klinge auf, sondern drehte sich blitzschnell zur Seite, spürte einen entsetzlichen, reißenden Schmerz in der Schulter und stieß gleichzeitig zu.
Angella keuchte. Ihre Augen wurden dunkel vor Schmerz. Eine halbe Sekunde lang stand sie einfach reglos da und starrte auf das Schwert, das ihre Brust dicht unterhalb des Herzens durchbohrt hatte. Dann taumelte sie zurück, fiel auf die Knie herab und preßte beide Hände gegen den Leib. Dunkles Blut sickerte zwischen ihren Fingern hindurch.
Tally hörte einen gellenden Schrei hinter sich, dann das Zischen einer Waffe. Sie federte zur Seite, setzte mit einem gewaltigen Sprung über Angella hinweg und rannte auf die Tür zu. Ein Dolch flog an ihr vorbei, bohrte sich in die Tür und blieb zitternd stecken. Tally fuhr mitten in der Bewegung herum, prallte gegen den Mann, der sie einzuholen versuchte, und rannte ihn kurzerhand nieder. Mit zwei, drei gewaltigen Schritten lief sie auf das Fenster zu, stieß sich mit aller Kraft ab und sprang.
Inmitten eines wahren Hagels aus Glas- und Holzsplit-tern landete sie auf der Straße, rollte über die Schulter ab und schrie vor Schmerz, als die Wunde, die ihr Angellas Schwert geschlagen hatte, noch weiter aufriß. Trotzdem gelang es ihr irgendwie, auf die Füße zu kommen. Taumelnd erreichte sie die gegenüberliegende Wand der schmalen Gasse, auf der sie gelandet war, ließ sich dage-genfallen und schloß für eine Sekunde die Augen. Der Schmerz in ihrer Schulter wurde fast unerträglich. Ihr schwindelte, und in ihrem Mund breitete sich ein bitterer Geschmack aus.