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Beit starrte sie an, lächelte erneut sein Idiotenlächeln und begann zu sabbern. Schaumiger Speichel rann an seinem Kinn herab. Tally versuchte das, Ekelgefühl zu ignorieren, das der Anblick in ihr hervorrief.

»Du kannst Vertrauen zu mir haben, Beit«, sagte sie.

Vielleicht handelte es sich bei Beit wirklich um einen Schwachsinnigen, überlegte sie. Sie hatte nicht viel Erfahrung im Umgang mit Idioten, aber sie glaubte sich zu erinnern, daß man die größten Aussichten auf Erfolg hatte, wenn man mit ihnen sprach wie mit einem sehr kleinen Kind.

»Sag mir, warum Karan dich gefangen hält«, fuhr sie fort, so ruhig sie konnte und mit dem freundlichsten Lächeln, das sie aufzubringen imstande war. »Ich kann dir vielleicht helfen.«

Beit grinste blöd.

»Wie alt bist du, Beit?« fragte Tally.

»Siebenunddreißig Jahre, neun Monate und vier Tage«, antwortete der Krüppel.

Tally starrte ihn mit offenem Mund an. »Du kannst also doch sprechen«, sagte sie schließlich. »Und du verstehst, was ich sage. Warum antwortest du nicht?«

Beit schwieg. Seine großen, dunklen Augen musterten sie voller Leere. Tally war nicht sicher, ob der Schwachsinnige sie überhaupt wahrnahm.

»Du brauchst doch keine Angst vor mir zu haben«, fuhr sie schließlich fort. »Im Gegenteil.« Sie lächelte erneut, drängte ihren Widerwillen mit aller Macht zurück und strich mit den Fingerspitzen über Beits Schädel. Die Berührung zeigte nicht die mindeste Reaktion auf seinem Gesicht. Seine Haut war kalt wie Stein und schien sehr dünn zu sein. Tally konnte den raschen Schlag seines Herzens darunter spüren.

»Wenn ich nur wüßte, wie ich mit dir reden kann«, murmelte sie, mehr zu sich selbst gewandt. »Du scheinst mich zu verstehen, aber du antwortest nicht.«

»Er antwortet nur auf direkte Fragen«, sagte eine Stimme hinter ihr.

Tally fuhr so abrupt herum und in die Höhe, daß sie sich an der Decke des niedrigen Verschlages den Schädel anstieß, fluchte ungehemmt und trat so hastig wieder auf den Gang hinaus, daß Jan unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Trotzdem lächelte er amüsiert, als sie die Hand an den Schädel hob und die schmerzende Stelle rieb.

»Was ist das dort drinnen?« fragte sie gereizt. »Karans und dein finsteres Geheimnis? Ein verkrüppelter unehe-licher Sohn, den er vor aller Welt versteckt?«

Jan wirkte ehrlich verblüfft. Dann begann er zu lachen, so laut und schallend, daß Tally ihn nun ihrerseits verblüfft anstarrte. »Hast du denn noch nie einen Erinnerer gesehen?« fragte er, nachdem er sich wieder beruhigt hatte und halbwegs zu Atem gekommen war.

»Einen... Erinnerer?« Tally drehte sich verblüfft herum, starrte auf den verkrüppelten Zwerg herab und sah dann wieder Jan an. »Nein«, gestand sie. »Nicht so einen.«

»Beit ist einer der besten«, behauptete Jan. »Und bevor du fragst - wir binden ihn nicht aus Grausamkeit fest, sondern zu seinem eigenen Schutz. Der, den wir vorher hatten, hat sich eines Tages die Augen ausgekratzt und ist gestorben, einfach so.« Er seufzte, ging vor Beit in die Hocke und legte die Hand auf seine Schulter. Mit der anderen deutete er auf Tally.

»Das ist Tally, Beit«, sagte er. »Sieh sie dir an. Sie ist unser Gast und hat Zugang zu allen Informationen, die nicht ausdrücklich als geheim gekennzeichnet sind. Registrieren und bestätigen.«

»Tally«, wiederholte Beit. »Gast des Hauses mit Zugang zu allen nicht geheimen Informationen. Registriert und bestätigt.«

»Gut«, sagte Jan. »Ihre Anwesenheit hier ist geheim.

Registrieren.«

»Registriert«, sagte Beit.

Jan nickte zufrieden, stand wieder auf und wandte sich um. Lächelnd trat er zur Seite und wies mit einer einladenden Handbewegung auf den Krüppel. »Frag ihn etwas«, sagte er. »Sein Wissen wird dich überraschen.«

Tally war der kurzen Unterhaltung zwischen ihm und dem Erinnerer mit wachsender Verblüffung gefolgt. Es fiel ihr schwer, zu glauben, was sie sah. Natürlich wußte sie, daß es so etwas wie Erinnerer gab; aber sie hatte niemals einen gesehen. Sie hatte nicht gewußt, wie entsetzlich sie waren.

Jan, der ihr Zögern falsch deutete, lächelte erneut und wandte sich wieder an den Krüppel. »Schelfheim«, sagte er. »Kurzbeschreibung und Einwohnerzahl. Antwort.«

»Schelfheim«, antwortete Beit mit seiner volltönenden, angenehmen Stimme. Größte Stadt des nördlichen Schelfs. Untersteht dem Kommando der Töchter des Drachen. Einwohnerzahl offiziell zweihundertundfünf-zigtausend,,geschätzte realistische Zahl jedoch-fast doppelt so hoch. Zentraler Handelsknotenpunkt für - «

»Abbruch«, sagte Jan scharf. Beit verstummte.

»Der Schelf«, sagte Jan. »Allgemeiner Abriß. Antwort.«

»Schelf«, antwortete Beit. »Größtenteils unfruchtbarer, aber dichtbesiedelter sandiger Streifen, zwischen dem Hochland und dem sogenannten Schlund gelegen.

Seine Breite schwankt zwischen fünf Meilen im Norden und hundertfünfzig Meilen im Süden. Größte Stadt ist Schelfheim. Regierungs - «

»Aufhören!« keuchte Tally, aber Beit fuhr fort: » -

bereiche der der drei großen Reiche des Hochlandes überschneiden sich im - «

»Abbruch«, befahl Jan hart. Beit verstummte mitten im Wort.

»Er reagiert nur auf bestimmte Worte«, sagte Jan lächelnd. »Du mußt sie dir merken, wenn du...« Er sprach nicht weiter, sondern runzelte die Stirn, als er sah, wie bleich Tally geworden war.

»Was hast du?« fragte er. »Erschreckt dich sein Anblick so sehr? Er ist harmlos, glaube ich. Und sehr nützlich. Du müßtest fünf Häuser wie diese von oben bis unten mit Büchern füllen, um nur die Hälfte des Wissens anzuhäufen, das er im Kopf hat.«

»Das... das ist entsetzlich«, stammelte Tally. Für einen Moment drohte der Ekel sie vollends zu übermannen. Sie mußte all ihre Kraft aufwenden, dem Anblick Breits überhaupt noch stand zu halten. Sie hatte Schrecklicheres gesehen: Bestien, bei deren bloßem Anblick andere schreiend davongelaufen wären, und Menschen, die schlimmer verkrüppelt waren. Aber das...

»Was ist entsetzlich?« fragte Jan verwirrt.

»Dieses... dieses Ding«, antwortete Tally mit einer Geste auf den Erinnerer. »Es ist unmenschlich, Jan.«

»Unmenschlich?« Jans Unverstehen war nicht gespielt. »Was soll das heißen, Tally? Er ist kein Mensch.«

»Was dann?« fragte Tally heftig. »Eine Maschine?«

Sie machte eine zornige Handbewegung. »Er ist ein lebendes Wesen, Jan. Es ist grausam, ihn so zu behandeln.«

»Unsinn», widersprach Jan. »Er bekommt zu Essen, und wir binden ihn nur zu seinem eigenen Schutz.

Diese Kreaturen sind dumm. Sie haben ein phantastisches Gedächtnis, aber sie sind dumm wie Steine.« Er kam einen Schritt auf sie zu und blieb wieder stehen, als Tally instinktiv um die gleiche Strecke zurückwich.

»Ich sage dir die Wahrheit«, versicherte er. »Glaube mir. Beit ist kein lebendes Wesen, das dein Mitleid verdiente. Ebensogut könntest du Mitleid mit einem Hornkopf haben.«