»Glaubt ihm das jemand?« preßte er hervor. »Molly – Page – Burrows – glaubt einer von euch ihm das?«
»Niemand glaubt das«, antwortete Molly mit festem Blick. »Es ist dumm von dir, daß du dich aus der Fassung bringen läßt, denn genau darauf legt er es ja an.«
Der Herausforderer betrachtete sie mit interessiertem Blick.
»Sie ebenfalls, Madam?«
»Ebenfalls was?« fragte Molly und schien schon im nächsten Augenblick wütend, daß sie darauf eingegangen war. »Sie müssen wohl jeden vor den Kopf stoßen?«
»Glauben Sie ebenfalls, daß Ihr Mann John Farnleigh ist?«
»Ich weiß es.«
»Wie das?«
»Wenn Sie es wissen wollen – es ist meine weibliche Intuition«, erwiderte Molly kühl. »Das ist nicht so albern, wie es klingt – es ist etwas, das auf seine Weise und innerhalb seiner Grenzen immer recht hat. Ich wußte, daß er es war, im Augenblick, in dem ich ihn wiedersah. Natürlich werde ich mir die Argumente anhören, die Sie vorzubringen haben, aber es müssen schon gute Argumente sein.«
»Lieben Sie ihn – wenn ich mir erlauben darf, das zu fragen?«
Diesmal errötete Molly unter ihrem sonnengebräunten Teint, aber sie antwortete nach ihrer üblichen Manier. »Nun, sagen wir, ich habe ihn sehr gern, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Sie sagen es. Sie-sagen-es. Sie ›haben ihn gern‹, und Sie werden ihn immer gern haben. Sie kommen mit ihm aus, und Sie werden stets gut miteinander auskommen. Aber Sie lieben ihn nicht und Sie haben sich nicht in ihn verliebt, als Sie ihn sahen. Verliebt sind Sie in mich – genauer gesagt in eine Projektion aus Ihrer Kindheit, die Sie auf den Hochstapler übertrugen, als ›ich‹ nach Hause zurückkehrte …«
»Meine Herren, meine Herren!« rief Mr. Welkyn wie ein Zeremonienmeister bei einem stürmischen Bankett. Er schien recht schockiert.
Brian Page meldete sich nun zu Wort, mit betont guter Laune, um seinem Gastgeber Mut zu machen.
»Jetzt wird es aber doch arg psychologisch«, sagte Page. »Burrows, was machen wir nur mit dieser Blüte von Ich-weiß-nicht-woher?«
»Ich fürchte, wir werden noch eine halbe Stunde an ihr schnuppern müssen«, erwiderte Burrows kalt. »Außerdem kommen wir wieder vom Thema ab.«
»Aber nicht im geringsten«, versicherte der Herausforderer ihm. Nun schien ihm tatsächlich an Freundlichkeit gelegen. »Ich hoffe nur, ich habe nicht schon wieder mit einer Bemerkung Anstoß erregt? Sie sollten selbst einmal einige Zeit beim Zirkus verbringen, dann bekämen Sie eine dickere Haut. Aber ich frage Sie, Sir.« Er blickte Page an. »War es denn nicht vernünftig, was ich zu der Dame gesagt habe? Sagen Sie es nur, wenn Sie es anders sehen. Sie könnten zum Beispiel einwenden, daß sie, wenn sie ihre Zuneigung schon als Kind auf mich fixiert hätte, ein wenig älter hätte sein müssen – sagen wir, im Alter von Miss Madeline Dane. War es das, was Sie einwenden wollten?«
Molly lachte.
»Nein«, antwortete Page. »Ich wollte überhaupt nichts einwenden. Ich habe überlegt, mit was Sie wohl Ihre ersten Erfolge im Zirkus gefeiert haben.«
»Meine Erfolge?«
»Sie haben uns nicht gesagt, mit welcher Nummer Sie im Zirkus so groß herausgekommen sind. Ich kann mich nicht entscheiden, ob Sie (1) ein Wahrsager waren oder (2) ein Psychologe oder (3) der Mann, der nie etwas vergißt, oder (4) ein Zauberkünstler oder womöglich eine Mischung aus allen vieren. Von all dem hat Ihr Benehmen etwas, und noch von manch anderem dazu. Sie kommen mir ein wenig zu sehr vor wie Mephistopheles, den es nach Kent verschlagen hat. Sie gehören nicht hierher. Sie bringen das Leben hier durcheinander, und das ärgert mich.«
Das schien dem Herausforderer zu gefallen.
»Tatsächlich? Wird ja auch Zeit, daß hier ein wenig Leben in die Bude kommt«, meinte er. »Was meinen Beruf angeht, bin ich vielleicht ein wenig von allem. Aber eines bin ich auf alle Fälle: Ich bin John Farnleigh.«
Am anderen Ende des Zimmers öffnete sich die Tür, und Knowles trat ein.
»Mr. Kennet Murray wünscht Sie zu sprechen, Sir«, verkündete er.
Ein paar Augenblicke lang herrschte Schweigen. Ein letzter feuriger Strahl des Abendlichts fiel durch die Bäume und die hohen Fensterscheiben. Er tauchte den ganzen Raum in Rot, dann verglomm er, und zurück blieb ein gleichmäßiges warmes Zwielicht, gerade noch genug, daß Gesichter und Gestalten gut zu erkennen blieben.
Auch Kennet Murray waren bei diesem mitsommerlichen Sonnenuntergang mancherlei Dinge durch den Kopf gegangen. Er war ein großer, hagerer, recht gebückt gehender Mann, der trotz seiner großen Intelligenz nie wirklich Erfolg im Leben gehabt hatte. Obwohl er kaum fünfzig war, waren sein blonder Schnurrbart und der blonde Bart so kurz geschnitten, daß es schon beinahe wie Stoppeln aussah, fast grau. Er war alt geworden, wie Burrows schon gesagt hatte; er war streng geworden und grimmig, wo er früher gutmütig gewesen war. Doch war von dieser gutmütigen Natur noch viel geblieben, und sie sprach aus seinen Augen, als er nun die Bibliothek betrat. Seine Augen hatten das leicht Zusammengekniffene eines Mannes, der in sonnigen Gegenden lebt.
Er blieb stehen, blickte musternd die Szene an, wie man in ein Buch blicken mag, und richtete sich auf. Für einen der beiden Rivalen um den Besitz mußte nun die Erinnerung an alte Zeiten wiederkehren, ein unbändiger Haß auf Menschen, die längst tot waren, und er mußte Murray sehen, wie er damals gewesen war.
Murray stand da und studierte die Versammlung. Er runzelte die Stirn, dann blickt er fragend – stets der Lehrer –, schließlich grimmig. Er richtete den Blick auf einen Punkt, der zwischen dem Herausforderer und dem gegenwärtigen Träger lag.
»Nun, kleiner Johnny?« sagte er.
Kapitel 5
Ein oder zwei Sekunden lang regte keiner der beiden Rivalen sich, und keiner sprach ein Wort. Zunächst sah es aus, als warte jeder ab, was der andere tun würde; dann reagierte jeder auf seine eigene Weise. Farnleigh nahm die Schultern ein wenig zurück, als wolle er damit sagen, daß er sich weigerte, auf die Auseinandersetzung einzugehen, aber zu einem Nicken und einer Handbewegung und sogar einem beklommenen Lächeln war er doch bereit. Murrays Stimme hatte energisch geklungen. Der Herausforderer hingegen, der zuerst gezögert hatte, zeigte nichts von solchem Verhalten. Sein Ton war ruhig und freundlich.
»Guten Abend, Murray«, sagte er; und Brian Page, der wußte, wie ein Schüler sich gegenüber einem ehemaligen Lehrer fühlt, spürte, wie sich mit einem Schlag die Waagschale zugunsten Farnleighs senkte.
Murray blickte in die Runde.
»Ich – ähm – glaube, es sollte mich wohl besser jemand bekannt machen«, sagte er mit freundlicher Stimme.
Farnleigh, aus seiner Lethargie gerissen, übernahm den Part. Für alle war Murray der »Alte« in dieser Gruppe, obwohl er ein gutes Stück jünger war als Welkyn; er hatte etwas von einem alten Mann, das Unwirsche und Bestimmte, doch Unkonzentrierte. Er nahm am Kopf des Tisches Platz, mit dem Rücken zum Licht. Dann setzte er bedächtig eine große Hornbrille auf, die ihm etwas von einer Eule gab, und musterte noch einmal die ganze Gesellschaft.
»Miss Sutton oder Mr. Burrows hätte ich niemals wiedererkannt«, sagte er dann. »Mr. Welkyn kenne ich flüchtig. Seiner Großzügigkeit habe ich meinen ersten echten Urlaub seit ewigen Jahren zu verdanken.«
Welkyn, sichtlich zufrieden, nahm das offenbar als Zeichen, daß die Zeit gekommen war, zur Tat zu schreiten.
»Sie sagen es. Also, Mr. Murray, mein Klient …«
»Immer mit der Ruhe«, erwiderte Murray recht brummig. »Lassen Sie uns erst einmal Atem holen und ein Schwätzchen halten, wie der alte Sir Dudley immer sagte.« Sein Atem schien tatsächlich knapp, und er holte einige Male tief Luft; dann sah er sich im Zimmer um, und anschließend betrachtete er die beiden Rivalen. »Ich muß schon sagen, das ist ja ein schönes Kuddelmuddel, das Sie da angerichtet haben. Die Sache ist doch noch nicht an die Öffentlichkeit gekommen, oder?«