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»Daran ist dieses ganze Gerede über Scotland Yard und die arme Victoria Daly schuld«, sagte Burrows finster. »Ich habe mich ja immer für einen halbwegs vernünftigen Menschen gehalten, aber das hat mir die abstrusesten Gedanken eingegeben, die ich schnellstens wieder aus dem Kopf verbannen muß. Und diesen verfluchten Garten habe ich noch nie ausstehen können.«

»Geht dir das genauso?« fragte Page.

Murray beobachtete die beiden aufmerksam.

»Einen Moment«, sagte er. »Dieser Garten – warum mögen Sie ihn nicht, Mr. Burrows? Gibt es Erinnerungen, die Sie damit verbinden?«

»Erinnerungen kann man nicht sagen.« Burrows überlegte; es schien ihm peinlich. »Aber wenn uns jemand eine Gespenstergeschichte erzählt hat, dann war sie hier draußen immer doppelt so gruselig wie anderswo. Eine ist mir noch im Gedächtnis geblieben – aber das tut nichts zur Sache. Ich hatte immer das Gefühl, daß hier die bösen Geister hinter den Hecken lauern, und ich meine das wörtlich. Aber auch dafür ist jetzt keine Zeit. Wir haben zu tun. Wir können nicht einfach hier stehen …«

Murray riß sich aus seinen Gedanken; nun schien er beinahe erregt. »Ah, ja. Die Polizei«, sagte er. »Ja, da ist eine ganze Menge zu tun, in der – ähm – praktischen Welt. Ich nehme an, Sie werden nichts dagegen haben, wenn ich das übernehme. Würden Sie wohl mitkommen, Mr. Burrows? Und Sie, Mr. Page, wenn Sie so freundlich sein wollen und bei der – ähm – Leiche bleiben, bis wir zurück sind?«

»Warum?« fragte Page mit seinem praktischen Sinn.

»Es ist das Übliche. O ja. Es ist sogar unbedingt erforderlich. Überlassen Sie Mr. Page Ihre Taschenlampe, mein Lieber. Und nun hier entlang. Als ich noch hier lebte, gab es kein Telefon im Haus, aber ich nehme an, inzwischen wird eins installiert sein? Gut, gut, gut. Einen Arzt brauchen wir auch.«

Er eilte geschäftig davon und schob Burrows vor sich her, und Page blieb allein am Teich zurück mit dem, was von John Farnleigh geblieben war.

Nun, wo der Schrecken nachließ, stand Page im Dunkeln und dachte darüber nach, wie die ganze Geschichte immer komplizierter und zugleich immer sinnloser wurde. Andererseits lag ja durchaus nahe, daß ein Hochstapler sich umbrachte. Besonders verwirrte ihn, daß er nicht wußte, woran er bei Murray war. Wie leicht wäre es für Murray gewesen zu sagen: »Ja, dieser hier ist der Hochstapler, ich habe es von Anfang an gewußt«, und Murrays ganze Art hatte ja den Eindruck erweckt, daß er genau das dachte. Aber er hatte geschwiegen. War es nichts weiter als sein Hang zum Geheimnis, oder steckte mehr dahinter?

»Farnleigh!« sagte Page laut. »Farnleigh!«

»Haben Sie mich gerufen?« fragte eine Stimme in nächster Nähe.

Page trat im Schreck einen Schritt zurück, so daß er beinahe über den Toten gestolpert wäre. Inzwischen war es so dunkel, daß nicht einmal Formen und Umrisse mehr zu erkennen waren. Man hörte einen Schritt auf dem Sandboden, dann das Geräusch eines Streichholzes, das angerissen wurde. Die Flamme des Streichholzes loderte über der Schachtel, von zwei Händen beschirmt, und in ihrem Licht zeigte sich in einem Durchlaß der Eibenhecke das Antlitz des Herausforderers – Patrick Gore, John Farnleigh –, den Blick auf die Fläche neben dem Teich gerichtet. Er kam mit seinem ein wenig schleppenden Gang heran.

Der Herausforderer hatte eine dünne schwarze Zigarre in der Hand, die ihm halb aufgeraucht ausgegangen war. Nun zündete er sie bedachtsam neu an, dann blickte er auf.

»Haben Sie mich gerufen?« fragte er noch einmal.

»Nein«, erwiderte Page grimmig. »Aber trotzdem gut, daß Sie antworten. Sie wissen, was geschehen ist?«

»Ja.«

»Wo sind Sie gewesen?«

»Spazieren.«

Das Streichholz verlosch, doch Page konnte ihn noch leise atmen hören. Dem Mann war anzumerken, daß er erregt war. Er kam näher, die Arme in die Seiten gestemmt, die glimmende Zigarre im Mundwinkel.

»Der arme Gauner«, sagte der Herausforderer und blickte zu Boden. »Und eine Tat, vor der man Achtung haben muß. Ich bedaure wirklich sehr, daß ich es herbeigeführt habe. Gewiß ist er zum puritanischen Glauben seiner Vorväter zurückgekehrt, hat Jahre der Reue verbracht und doch an dem Besitz festgehalten. Er hätte ja weiterposieren und ein besserer Gutsherr sein können, als ich je sein werde. Doch die Beweise waren erdrückend, und so griff er zum letzten Mittel.«

»Selbstmord.«

»Ohne jeden Zweifel.« Der Herausforderer nahm die Zigarre aus dem Mund, und der Rauch, den er ausstieß, kräuselte sich in der Dunkelheit wie ein Geist, der Gestalt annimmt.

»Ich nehme an, inzwischen hat Murray die Abdrücke verglichen. Sie waren ja bei der kleinen Befragung dabei. Sagen Sie mir: Ist Ihnen aufgefallen, an welchem Punkt unser – verstorbener Freund sich vertan und uns verraten hat, daß er nicht John Farnleigh war?«

»Nein.«

Plötzlich ging es Page auf, daß die Erregtheit des Herausforderers vor allem seiner Erleichterung zuzuschreiben war.

»Murray wäre nicht Murray«, sagte er mit einer gewissen Trockenheit, »wenn unter den Fragen nicht eine gewesen wäre, bei der ein Trick war. So war er schon immer. Ich hatte schon darauf gewartet, ja es sogar befürchtet: für den Fall, daß es keine Fangfrage war, sondern etwas, das ich wirklich vergessen hatte. Aber dann war es doch recht offensichtlich. Sie werden sich erinnern. ›Was ist das Rote Buch von Appin?‹«

»Ja. Sie haben beide etwas niedergeschrieben …«

»Natürlich gibt es nichts dergleichen. Es würde mich interessieren, welchen Unsinn mein verstorbener Rivale als Antwort hingekritzelt hatte. Und um so spannender, als Murray, das Gesicht finster wie eine Eule, ihm ja versicherte, die Antwort sei korrekt. Es wird Ihnen aufgefallen sein, daß gerade diese Bestätigung meinen Rivalen beinahe aus der Fassung gebracht hätte. Ach, sei’s drum«, sagte er und machte mit der brennenden Zigarre eine Handbewegung in der Luft, die wie ein kurioses Fragezeichen aussah. »Lassen Sie uns einmal sehen, was der arme Teufel mit sich angestellt hat. Darf ich die Taschenlampe haben?«

Page reichte sie ihm und trat einen Schritt zurück, während der andere sich mit der Lampe niederbeugte. Es herrschte lange Schweigen, nur ab und zu ein Brummen. Dann erhob der Herausforderer sich wieder. Er bewegte sich mühsam, und er schaltete dabei die Lampe ein und aus.

»Mein Freund«, sagte er mit neuer Stimme, »so geht das nicht.«

»Was geht nicht?«

»Das hier. Ich sage es nicht gern, was ich jetzt sagen muß. Aber ich würde schwören, daß dieser Mann sich nicht selbst umgebracht hat.«

(Ein Punkt für Suggestion, Intuition oder den Einfluß eines gewissen Gartens im Zwielicht.)

»Wieso das?« fragte Page.

»Haben Sie ihn sich näher angesehen? Dann kommen Sie her und tun Sie es. Schneidet ein Mann sich die Kehle mit drei vollständigen Schnitten durch, von denen jeder einzelne die Drosselader durchtrennt hat, jeder einzelne tödlich? Wäre das überhaupt möglich? Das kann ich nicht sagen, aber ich würde es bezweifeln. Vergessen Sie nicht, meine Karriere hat im Zirkus begonnen. Und so etwas habe ich nicht mehr gesehen, seit ein Leopard Barney Poole zerfetzte, den besten Dompteur westlich des Mississippi.«

Ein nächtlicher Wind strich durch den Irrgarten und ließ die Rosen rascheln.

»Wo mag wohl die Waffe geblieben sein?« redete er weiter. Er ließ den Strahl der Lampe über das trübe Wasser wandern. »Wahrscheinlich in dem Teich hier, aber da sollten wir sie wohl auch besser lassen. Das ist womöglich viel eher ein Fall für die Polizei, als wir gedacht haben. Es wirft ein – neues Licht auf die Sache. Ein Licht, das mir Sorgen macht«, sagte der Herausforderer, als müsse er etwas eingestehen. »Warum sollte jemand einen Hochstapler umbringen?«