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»Was wäre tatsächlich so?«

»Das, was ich schon die ganze Zeit habe kommen sehen – daß wir es mit einem rein psychologischen Rätsel zu tun haben. Es gibt nicht die geringsten Widersprüche, bei denen wir ansetzen könnten, weder in den Aussagen noch in den Zeitangaben, nicht einmal in den Deutungsmöglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen. Die einzige echte Ungereimtheit ist die eine große psychologische Frage: nämlich, warum mit solcher Sorgfalt der Falsche umgebracht wurde. Führen Sie sich doch nur vor Augen, wie wenig materielle Indizien wir haben – keine Manschettenknöpfe, Zigarettenstummel, Theaterkarten, keine Feder, keine Tinte, kein Papier. Hmpf. Wenn wir nicht noch etwas Handfesteres finden, an das wir uns halten können, bleibt uns nur, mit vereinten Kräften nach dem flüchtigen Schmetterling zu haschen, der die menschliche Psyche nun einmal ist. Bei wem könnte man sich am ehesten vorstellen, daß er den, der ermordet wurde, ermordet hätte? Und aus welchem Grund? Und wer paßt, psychologisch gesehen, am besten in jenes Netz finsterer Machenschaften, das Sie um den Mord an Victoria Daly gesponnen haben?«

Elliot pfiff durch die Zähne. Dann fragte er: »Hätten Sie da Kandidaten, Sir?«

»Lassen Sie mich überlegen, ob ich die entscheidenden Fakten im Fall Victoria Daly noch im Kopf habe«, murmelte Dr. Fell. »Alter fünfunddreißig, unverheiratet, stets freundlich, nicht gerade intelligent, lebte allein. Hmpf. Ha. Ja. Ermordet gegen elf Uhr fünfundvierzig abends am 31. Juli letzten Jahres. Stimmt’s, mein Junge?«

»Stimmt.«

»Ein Bauer, der auf dem Heimweg an ihrem Häuschen vorbeikommt, schlägt Alarm. Hört Schreie aus dem Haus. Fahrradpolizist, ebenfalls noch nächtens unterwegs, folgt ihm nach. Beide sehen einen Mann – in der Gegend bekannten Landstreicher – auf der Rückseite aus einem Erdgeschoßfenster klettern. Viertelmeile Verfolgungsjagd. Landstreicher versucht seinen Verfolgern zu entkommen, springt über Schranke, um Bahnschienen noch vor herannahendem Güterzug der Southern Railway zu überqueren, schnelles, wenn auch unschönes Ende. Alles richtig?«

»Richtig.«

»Miss Daly lag im hinteren Zimmer des Erdgeschosses – ihrem Schlafzimmer. Mit Schuhriemen erdrosselt. Als der Eindringling kam, war sie im Begriff, sich zur Ruhe zu begeben, aber noch nicht im Bett. Nachthemd, gesteppter Morgenmantel, Pantoffeln. Anscheinend ein eindeutiger Fall – Geld und Wertsachen beim Landstreicher gefunden –, bis auf eine Kleinigkeit. Arzt findet bei der Untersuchung des Leichnams den Körper eingerieben mit dunkler rußiger Substanz; selbe Substanz auch unter allen Fingernägeln. Hm? Erweist sich im Labor der Kriminalpolizei als Mischung aus Rübensaft, Eisenhut, Fingerkraut, Tollkirsche und Ruß.«

Page setzte sich mit einem Ruck auf. Was Dr. Fell resümierte, war in der Gegend alles bekannt genug – alles bis auf den letzten Punkt.

»Moment!« hakte er nach. »Das höre ich aber nun wirklich zum erstenmal. Die Leiche war mit einem Mittel eingerieben, das zwei tödliche Gifte enthielt?«

»Glauben Sie es uns ruhig«, meinte Elliot mit einem breiten Grinsen. »Natürlich war es nicht der hiesige Arzt, der das Zeug zur Analyse gab. Bei der gerichtlichen Untersuchung fand der Vorsitzende, daß es nichts zu bedeuten habe, und brachte es nicht einmal bei der Verhandlung auf. Wahrscheinlich hielt er es für eine Art Schönheitssalbe und fand es ungehörig, das zu erwähnen. Aber später gab der Arzt doch einen dezenten Hinweis, und …«

Page konnte es nicht glauben. »Eisenhut und Tollkirsche! Aber sie hatte das Mittel ja nicht geschluckt, oder? Nur vom Einreiben hätte es sie nicht umgebracht, nicht wahr?«

»Das nicht. Trotzdem ein recht eindeutiger Fall. Oder was meinen Sie, Sir?«

»Leider nur zu eindeutig«, bestätigte Dr. Fell.

Durch das Geräusch des Regens hindurch hörte Page ein Klopfen an der Haustür. In Gedanken noch bei dem, was er da gerade erfahren hatte, ging er hinaus auf den kleinen Flur und öffnete die Tür. Es war Sergeant Burton von der örtlichen Wache in Regenmantel und Kapuze, und unter dem Mantel hatte er etwas, das in Zeitungspapier geschlagen war. Seine Begrüßung brachte Pages Gedanken von Victoria Daly wieder zurück zu dem dringenderen Fall Farnleigh.

»Kann ich Inspektor Elliot und Dr. Fell sprechen, Sir?« fragte Burton. »Ich habe die Tatwaffe. Und …«

Er machte eine Kopfbewegung. Jenseits des Vorgartens, in dem schon die Pfützen standen, sah er einen bekannten Wagen am Tor warten. Es war ein alter Morris, und im Inneren konnte er zwei Fahrgäste ausmachen. Inspektor Elliot kam mit raschen Schritten zur Tür.

»Was höre ich da?«

»Ich habe die Waffe, mit der Sir John umgebracht wurde, Inspektor. Und noch etwas.« Wieder wies Sergeant Burton mit dem Kopf in Richtung Wagen. »Das sind Miss Madeline Dane und der alte Mr. Knowles, der drüben im Herrenhaus arbeitet. Früher war er beim besten Freund von Miss Danes Vater angestellt. Er wußte nicht, was er tun sollte, und hat Miss Dane um Rat gefragt; und die hat ihn zu mir geschickt. Er hat Ihnen etwas zu erzählen, das wahrscheinlich die ganze Sache aufklären wird.«

Kapitel 8

Sie legten das Päckchen auf Pages Schreibtisch und schlugen es auf, und darin kam die Tatwaffe hervor. Es war ein Taschenmesser; ein altmodisches Taschenmesser, wie es die Jungen früher gehabt hatten, auch wenn es unter den jetzigen Umständen groß und gefährlich aussah.

Neben der Hauptklinge – die ausgeklappt war – enthielt der hölzerne Griff noch zwei kleinere, einen Korkenzieher sowie ein Werkzeug, das früher als nützlich galt, um Steine aus Pferdehufen zu entfernen. In Pages Erinnerung brachte es die Tage zurück, als der Besitz eines so prachtvollen Messers das sichere Zeichen gewesen war, daß man schon fast ein Mann war – ein Abenteurer, beinahe ein Indianer auf dem Kriegspfad. Das Messer war alt. Die Hauptklinge, etwa zwölf Zentimeter lang, hatte zwei große zackige Scharten, und der Stahl war stellenweise rauh, aber die Schneide war nicht verrostet, und sie war scharf wie ein Rasiermesser. Doch nun konnte niemand dabei mehr an Indianerspielen denken. Von der Spitze bis zum Heft war die Klinge vom Blut befleckt, das noch kaum getrocknet war.

Keinem war wohl zumute, als sie es betrachteten. Inspektor Elliot richtete sich auf.

»Wo haben Sie es gefunden?«

»Tief in einer der Hecken; ich würde sagen« – Sergeant Burton schloß ein Auge halb, als ob er dann besser schätzen könnte – »etwa drei Meter von dem Seerosenteich.«

»In welcher Richtung?«

»Nach links hin, wenn man mit dem Rücken zum Haus steht. Zu der hohen Hecke, die den Garten nach Süden abschließt. Vom Teich aus ein wenig zurück in Richtung Haus. Sie müssen wissen, Sir«, erklärte der Sergeant bedächtig, »es war das reine Glück, daß ich es gefunden habe. Wir hätten einen ganzen Monat suchen können und hätten es nicht gesehen. Da hätten wir schon die Hecken auseinandernehmen müssen. Diese Eiben, die sind so dicht, da sieht keiner, was drin ist. Aber der Regen hat uns geholfen. Ich stand an der Hecke und bin mit der Hand obendrüber gefahren – einfach so, verstehen Sie, weil ich überlegt habe, wo ich anfangen soll. Die Hecke war naß, und plötzlich hatte ich einen kleinen rötlichbraunen Fleck auf der Hand. Oben auf der glattgeschnittenen Hecke hatte es ein kleines bißchen Blut hinterlassen, da wo es hineingefallen war. Von oben hat man keine Lücke gesehen. Ich hab’s rausgeholt, und wie Sie sehen, war es innen in der Hecke noch trocken.«

»Sie meinen, jemand hat es von oben in die Hecke gesteckt?«

Sergeant Burton zögerte.

»Ja, wahrscheinlich schon. Es steckte gerade drin, die Spitze nach unten. Andererseits – das ist ein schönes, schweres Messer, Sir. Die Klinge ist genauso schwer wie der Griff. Wenn jemand es fortgeworfen hätte oder hoch in die Luft, dann wäre es genau so heruntergekommen, mit der Klinge nach unten.«