»Dann sagen Sie mir, was er anschließend mit dem Messer gemacht hat. Hat er es fallenlassen? Oder was sonst?«
»Ich habe es nicht bemerkt, Sir. Glauben Sie mir. Ich habe nur auf ihn geachtet, und an seiner Vorderseite schien etwas zu geschehen.«
»Könnte er das Messer fortgeworfen haben?«
»Das wäre möglich. Ich weiß es nicht.«
»Wenn er es geworfen hätte – hätten Sie es gesehen?«
Knowles überlegte lange. »Das käme darauf an, wie groß das Messer war. Und es gibt Fledermäuse in dem Garten. Und manchmal, Sir, erkennt man einen Tennisball erst, wenn er …« Nun sah man ihm an, wie alt er war. Sein Gesicht verfinsterte sich, und einen Augenblick lang fürchteten sie, er werde in Tränen ausbrechen. Doch als er wieder die Stimme erhob, sprach er mit Würde. »Ich bitte um Verzeihung, Sir. Wenn Sie mir nicht glauben, habe ich dann Ihre Erlaubnis zu gehen?«
»Ach, verdammt noch mal, darum geht es doch nicht!« rief Elliot mit der Ungezwungenheit der Jugend, und seine Ohren röteten sich ein wenig. Madeline Dane, die während der ganzen Zeit kein Wort gesagt hatte, betrachtete ihn mit dem Anflug eines Lächelns.
»Nur noch eine weitere Frage, zumindest vorerst«, fuhr Elliot nun wieder sachlich fort. »Wenn Sie einen guten Überblick über den gesamten Garten hatten, haben Sie dann noch jemand anderen dort gesehen, im Augenblick des – Angriffs?«
»Als es geschah, Sir? Nein. Unmittelbar darauf habe ich allerdings das Licht im Grünen Zimmer eingeschaltet, und bis dahin waren schon mehrere Personen hinaus in den Garten gekommen. Aber vorher, als die Tat – doch, Sir, doch; ich bitte um Verzeihung. Da war jemand!« Wieder erhob Knowles den Zeigefinger und legte die Stirn in Falten. »Es war jemand draußen, als es geschah. Ich habe ihn gesehen! Erinnern Sie sich, daß ich gesagt habe, ich hätte ein Geräusch unten in den Bäumen gehört, vor den Bibliotheksfenstern?«
»Und was war damit?«
»Ich blickte hinunter. Das war es ja, was mich ablenkte. Ein Herr stand dort unten und sah durch das Fenster in die Bibliothek hinein. Ich konnte es deutlich sehen, denn die Zweige der Bäume reichen natürlich nicht bis ganz an das Fenster heran. Er stand dort und spähte hinein.«
»Wer war es?«
»Der neu hinzugekommene Gentleman, Sir. Der echte Mr. Johnny, den ich von früher kannte. Der Herr, der sich jetzt Mr. Patrick Gore nennt.«
Keiner sagte ein Wort.
Elliot legte nachdenklich seinen Bleistift ab und blickte hinüber zu Dr. Fell. Der Doktor hatte sich nicht gerührt; man hätte denken können, er schliefe, wäre nicht das Funkeln des einen halb geöffneten Auges gewesen.
»Habe ich das recht verstanden?« fragte Elliot. »Zum Zeitpunkt des Angriffs oder Mords oder Selbstmords oder wie wir es nennen wollen, konnten Sie Mr. Patrick Gore vor den Fenstern der Bibliothek stehen sehen?«
»Jawohl, Sir. Eher auf der linken Seite, nach Süden hin. Deswegen konnte ich ja sehen, wer es war.«
»Würden Sie das beschwören?«
»Aber gewiß, Sir«, antwortete Knowles mit großen Augen.
»Das war derselbe Zeitpunkt, zu dem man die Geräusche hörte, das Schlurfen, das Platschen und so weiter?«
»Jawohl, Sir.«
Elliot nickte auf eine nüchterne Art und blätterte in seinem Notizbuch. »Ich möchte Ihnen ein paar Sätze aus Mr. Gores Aussage vorlesen. Er spricht vom selben Augenblick. Hören Sie gut zu. ›Zuerst war ich auf dem vorderen Rasen und rauchte. Dann ging ich an der Südseite des Hauses entlang zum Garten hier. Ich habe keine Laute gehört außer dem Platschen, und auch das nur sehr leise. Ich glaube, es war, als ich gerade um die Hausecke kam.‹ Weiter sagt er noch, daß er sich an die abgelegenen Pfade am Südende des Gartens gehalten habe. – Nun sagen Sie uns, daß er in dem Moment, in dem das Platschen zu hören war, direkt unter Ihnen gestanden und zum Bibliotheksfenster hineingesehen habe. Seine Aussage widerspricht dem.«
»Ich kann nichts für das, was er Ihnen gesagt hat, Sir«, antwortete Knowles hilflos. »Es tut mir leid, aber so ist es. Ich habe ihn gesehen.«
»Und was tat er, nachdem Sie Sir John in den Teich fallen sahen?«
»Das kann ich nicht sagen. In dem Augenblick blickte ich ja zum Teich hinüber.«
Elliot zögerte, murmelte etwas vor sich hin, dann sah er Dr. Fell an. »Haben Sie noch Fragen, Doktor?«
»Die habe ich«, sagte Dr. Fell.
Er richtete sich auf und strahlte Madeline an. Sie lächelte zurück. Dann hob er an, wobei er auch Knowles mit einem wohlwollenden Blick bedachte.
»Es gibt da eine Reihe von kniffligen kleinen Fragen, die Ihre Theorie aufwirft, mein Lieber. Nicht zuletzt die Frage danach, wer das Heft mit den Fingerabdrücken stahl, wenn Patrick Gore der wahre Erbe ist, und warum. Aber lassen Sie uns zuerst bei dem lästigen Thema Mord kontra Selbstmord bleiben.« Er überlegte. »Sir John Farnleigh – der Tote, meine ich – war Rechtshänder, nicht wahr?«
»Rechtshänder? Ja, Sir.«
»Sie hatten den Eindruck, daß er das Messer in der rechten Hand hielt, als er sich die Kehle durchschnitt?«
»Unbedingt, Sir.«
»Ah ja. Hmpf. Jetzt möchte ich gern wissen, was er mit seinen Händen tat, nach jenem seltsamen Anfall am Teich. Machen Sie sich keine Gedanken um das Messer! Das Messer war nicht gut genug zu sehen, da kann man nichts machen. Sagen Sie mir nur, was er mit den Händen tat.«
»Nun, Sir, er hielt sie sich an den Hals – etwa so.« Knowles führte es vor. »Dann bewegte er sie ein wenig, und danach riß er sie bis hoch über den Kopf und breitete sie aus.« Auch das illustrierte Knowles und spreizte die Arme weit. »Das war, unmittelbar bevor er in den Teich fiel und sich dort zu winden begann.«
»Er hat die Arme nicht gekreuzt? Er hob die Arme lediglich und streckte sie dann zur Seite? Verstehe ich das recht?«
»So war es, Sir.«
Dr. Fell nahm seinen Krückstock vom Tisch und hievte sich auf die Füße. Er hinkte hinüber zum Tisch, nahm das Päckchen Zeitungspapier und schlug es auf und zeigte Knowles das blutbefleckte Taschenmesser.
»Es sähe also folgendermaßen aus«, fuhr er fort, »wenn wir uns vorstellen, daß es Selbstmord war. Farnleigh hatte das Messer in der rechten Hand; er macht keine weitere Bewegung, sondern streckt nur beide Arme weit aus. Selbst wenn er mit der linken Hand die andere unterstützt hätte, hätte er den Griff in der rechten gehabt. Als er die Arme in die Höhe wirft, wirft er das Messer weit von sich. Das ist nicht unmöglich. Aber kann mir jemand erklären, wie es kommt, daß das Messer dann in der Luft seine Richtung ändert, hoch über den Teich geflogen kommt und etwa drei Meter links davon in die Hecke fällt? Und all das, nachdem er sich gerade nicht eine, sondern drei tödliche Wunden beigebracht hat? Das stimmt doch einfach nicht.«
Offenbar bemerkte er gar nicht, daß er die Zeitung mit dem gräßlichen Beweisstück Madeline fast unter die Nase hielt; er sah es nur mit gerunzelter Stirne an. Dann betrachtete er den Butler.
»Andererseits – wie können wir es wagen, dem Zeugnis eines solchen Mannes zu mißtrauen? Er sagt, Farnleigh stand allein am Teich, und es gibt einiges, was diese Aussage stützt. Nathaniel Burrows neigt zu derselben Ansicht. Lady Farnleigh, die unmittelbar nach dem Platschen auf den Balkon gelaufen kam, sah niemanden am Teich oder in der näheren Umgebung. Zwei Möglichkeiten haben wir zur Auswahl. Auf der einen Seite hätten wir einen nicht ganz glaubwürdigen Selbstmord; auf der anderen aber leider einen mehr als nur ein wenig unmöglichen Mord. Würde wohl einer von Ihnen so freundlich sein und mir einen Rat geben?«
Kapitel 9
Auch wenn Dr. Fell noch so energisch, ja geradezu heftig gesprochen hatte, war es doch ein Selbstgespräch. Er erwartete keine Antwort auf seine Frage und bekam auch keine. Eine Weile lang stand er nur da und kniepte die Bücherregale an. Er erwachte offenbar erst wieder, als Knowles ein ängstliches Hüsteln wagte.