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»Bitte um Verzeihung, Sir.« Er nickte in Richtung Messer. »Ist das die …«

»Wir vermuten es. Es fand sich in der Hecke links vom Teich. Was meinen Sie, wie verträgt sich das mit Selbstmord?«

»Das weiß ich nicht, Sir.«

»Haben Sie das Messer schon einmal gesehen?«

»Ich kann mich nicht entsinnen, Sir.«

»Oder Sie, Miss Dane?«

Madeline, auch wenn sie verblüfft und ein wenig schockiert schien, verneinte mit einem ruhigen Kopfschütteln. Dann beugte sie sich vor. Wieder fiel Page auf, wie das breite Gesicht und eine gewisse Grobheit der Nase ihre Schönheit nicht minderten, sondern gar noch steigerten. Er suchte immer nach Vergleichen oder Bildern, wenn er sie sah, und er fand etwas Mittelalterliches in ihr, etwas in den schmalen Augen oder der vollen Lippe, eine innere Ruhe, die an Rosengarten oder Turmfenster denken ließ. Das Sentimentale des Vergleichs mußte man ihm nachsehen, denn er sah es tatsächlich und glaubte daran.

»Eigentlich sollte ich ja gar nicht hier sein«, sagte Madeline mit einem geradezu bittenden Unterton, »und ich mische mich in Dinge ein, die mich nichts angehen. Aber – tja, ich fürchte, es ging nicht anders.« Sie lächelte Knowles an. »Ob Sie wohl so freundlich sein und draußen im Wagen auf mich warten würden?«

Knowles verneigte sich, ein wenig bekümmert, und war fort. Unerbittlich fiel der graue Regen.

»Ganz recht«, sagte Dr. Fell, setzte sich wieder und faltete die Hände über dem Griff seines Stockes. »Sie waren es, der ich einige Fragen stellen wollte, Miss Dane. Was halten Sie von Knowles’ Ansichten? Was den echten Erben angeht, meine ich.«

»Nur daß es weit schwieriger ist, als man gedacht hätte.«

»Glauben Sie, was Knowles sagt?«

»Oh, es ist ihm hundertprozentig ernst damit; daran werden Sie so wenig zweifeln wie ich. Aber er ist ein alter Mann. Und keins von uns Kindern hat er so abgöttisch verehrt wie Molly (ihr Vater, müssen Sie wissen, hat Knowles’ Mutter einmal das Leben gerettet), und an zweiter Stelle kam der junge John Farnleigh. Ich weiß noch, daß er einmal einen langen, spitzen Hexenhut für John gebastelt hat, aus blau lackierter Pappe mit silbernen Sternen und allem, was dazugehört. Mit dem, was er wußte und sah, hätte er sich nicht Molly anvertrauen können; das hätte er nicht fertiggebracht. Deshalb kam er zu mir. Das tun sie ja alle – zu mir kommen, meine ich. Und ich versuche immer, für alle zu tun, was ich kann.«

Dr. Fell runzelte die Stirn. »Aber ich überlege doch … hmpf … Sie kannten John Farnleigh damals recht gut, nicht wahr? Wie ich höre« – hier strahlte er –, »gab es eine Sandkastenfreundschaft zwischen Ihnen beiden?«

Sie verzog das Gesicht.

»Sie wollen mir zu verstehen geben, daß ich allmählich ins reifere Alter komme. Ich bin fünfunddreißig. Ungefähr jedenfalls; Sie dürfen mich nicht nach Einzelheiten fragen. Nein, eigentlich hat es zwischen uns nie eine Freundschaft gegeben. Nicht daß ich etwas dagegen gehabt hätte, aber er fand mich nicht interessant genug. Ein- oder zweimal hat er mich – geküßt, im Obstgarten und im Wald. Aber er hat immer gesagt, ich hätte nicht genug vom alten Adam in mir – oder war es die alte Eva? Jedenfalls war ich ihm zu brav.«

»Aber geheiratet haben Sie nie?«

»Oh, das ist unfair!« rief Madeline, bekam rote Wangen und lachte dann. »Sie sagen es, als säße ich mit trüben Augen in der Kaminecke, das Strickzeug in der Hand …«

»Miss Dane«, sagte Dr. Fell mit pompöser Feierlichkeit, »das ist nicht wahr. Ich sehe die Bewerber in Trauben vor Ihrer Tür stehen, in Schlangen so lang wie die Chinesische Mauer; ich sehe die nubischen Sklaven, wie sie sich unter der Last gewaltiger Pralinenschachteln beugen; ich sehe – ahemm. Lassen wir das.«

Schon seit langem hatte Page niemanden mehr wirklich erröten sehen; er hätte geglaubt, daß die Veranlagung dazu etwa zur gleichen Zeit wie die Dronte ausgestorben war; aber es war ihm doch nicht unangenehm, daß Madeline jetzt errötete. Denn was sie sagte, war:

»Wenn Sie glauben, ich hätte mich all die Jahre in romantischer Sehnsucht nach John Farnleigh verzehrt, dann irren Sie sich.« Ihre Augen funkelten. »Ich habe mich immer ein wenig vor ihm gefürchtet, und ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich ihn wirklich mochte – damals.«

»Damals.«

»Ja. Später verstanden wir uns gut – aber nicht mehr als das.«

»Miss Dane«, sagte Dr. Fell, brummte es aus seiner Kaskade von Kinnen und machte eine merkwürdige Kopfbewegung dazu, »ein Vöglein in meinem Inneren zwitschert mir, daß Sie mir etwas sagen wollen. Sie haben mir meine Frage noch nicht beantwortet. Meinen Sie, Farnleigh war ein Hochstapler?«

Sie zuckte leicht mit den Händen.

»Dr. Fell, mir liegt nichts daran, in Rätseln zu sprechen, das können Sie mir glauben. Und ich denke, ich kann Ihnen auch eine Antwort geben. Aber könnten Sie – oder einer der anderen – mir vorher sagen, was sich gestern abend im Herrenhaus zugetragen hat? Bevor diese gräßliche Geschichte geschehen ist, meine ich. Was haben die beiden gesagt und getan, als sie noch beide behaupteten, sie seien Sir John Farnleigh?«

»Wir können uns Ihre Geschichte getrost noch ein weiteres Mal anhören, Mr. Page«, sagte Elliot.

Page erzählte sie, mit so vielen Feinheiten und Eindrücken, wie ihm nur einfielen. Madeline nickte ein paarmal mit dem Kopf; sie atmete schwer.

»Jetzt sage mir noch eins, Brian: Was hat dich bei der ganzen Befragung am meisten beeindruckt?«

»Die absolute Gewißheit beider Kandidaten«, antwortete Page. »Farnleigh zögerte ein- oder zweimal, aber bei Punkten, die mir nebensächlich schienen; doch als er wirklich auf die Probe gestellt wurde, war er mit Feuereifer dabei. Nur ein einziges Mal hat er gelächelt oder ein erleichtertes Gesicht gemacht. Das war, als Gore ihn anschuldigte, er habe ihn an Bord der Titanic mit einem Seemannshammer erschlagen wollen.«

»Noch eine Frage bitte.« Madeline atmete heftiger denn je. »Hat einer von beiden etwas über die Puppe gesagt?«

Es folgte eine Pause. Dr. Fell, Inspektor Elliot und Brian Page sahen einander verständnislos an.

»Die Puppe?« fragte Elliot und räusperte sich. »Was für eine Puppe?«

»Darüber, wie man sie zum Leben erwecken kann? Oder etwas über das ›Buch‹?« Dann war es, als verberge sich ihr Gesicht hinter einer Maske. »Oh, es tut mir leid«, sagte sie. »Ich hätte das nicht sagen sollen – aber ich hätte gedacht, es müßte das erste sein, was zur Sprache kommt. Vergessen Sie es.«

Dr. Fell neigte sein Löwenhaupt und betrachtete sie mit heiterer und munterer Miene.

»Meine liebe Miss Dane«, brummte er, »Sie erwarten ein Wunder. Sie fordern ein Wunder, das größer ist als jedes, das in jenem Garten geschehen sein mag. Führen Sie sich vor Augen, was Sie von uns verlangen. Sie sprechen von einer Puppe, davon, daß sie womöglich zum Leben erweckt werde, Sie munkeln von etwas, das Sie das ›Buch‹ nennen, und geben uns zu verstehen, daß all das mit dem Rätsel zu tun hat, das uns so sehr beschäftigt. Sie sagen, Sie hätten gedacht, es müsse das erste sein, was zur Sprache käme. Und dann fordern Sie uns auf, es zu vergessen. Denken Sie denn, ein gewöhnlicher Mensch, fiebernd vor Neugier, könnte …«

Madeline stellte sich stur.

»Aber nicht mich hätten Sie danach fragen sollen«, protestierte sie. »Im Grunde weiß ich überhaupt nichts darüber. Die anderen hätten Sie fragen müssen.«

»›Das Buch‹«, sagte Dr. Fell nachdenklich. »Das wird doch nicht das ›Rote Buch von Appin‹ sein?«

»Doch, ich glaube, ich habe später gehört, daß es so genannt wird. Ich habe etwas darüber gelesen. Es ist eigentlich kein Buch, sondern ein Manuskript; jedenfalls hat John mir das einmal erzählt.«