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»Moment«, unterbrach Page. »Murray hat danach gefragt, und beide schrieben ihm Antworten auf. Gore sagte mir später, es sei eine Fangfrage gewesen, und ein ›Rotes Buch von Appin‹ gebe es nicht. Wenn es aber nun doch existiert, dann wüßten wir, daß Gore der Hochstapler ist, oder?«

Dr. Fell schien im Begriff, etwas zu sagen, und zwar mit einiger Erregung oder Vehemenz; doch dann holte er tief durch die Nase Luft und blieb still.

»Ich wünschte, ich wüßte es«, sagte Elliot. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß nur zwei Menschen für dermaßen viel Zweifel und Verwirrung sorgen können. Im einen Augenblick ist man noch sicher, daß der eine der Echte ist, im nächsten genauso sicher, daß es der andere ist. Und wie Dr. Fell schon gesagt hat – solange wir in diesem Punkt keine Gewißheit haben, werden wir auch nicht weiterkommen. Ich hoffe doch, Miss Dane, Sie versuchen nicht, dieser Frage auszuweichen. Die Antwort sind Sie uns immer noch schuldig: Sind Sie der Ansicht, daß der verstorbene Farnleigh ein Hochstapler war?«

Madeline warf den Kopf in den Nacken, daß sie gegen die Lehne ihres Sessels schlug. Eine so unkontrollierte Bewegung, ein solches Zeichen von Erregtheit, hatte Page nie zuvor an ihr gesehen. Sie öffnete die rechte Hand, dann schloß sie sie wieder.

»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, antwortete sie hilflos. »Ich kann es nicht. Jedenfalls nicht, bevor ich nicht mit Molly gesprochen habe.«

»Aber was hat Lady Farnleigh mit uns zu tun?«

»Es geht darum, daß er mir – Sachen erzählt hat. Dinge, die er nicht einmal ihr anvertraut hat. Nun machen Sie doch nicht ein so schockiertes Gesicht!« (Schockiert war Elliots Gesicht nicht; er sah sie nur gespannt an.) »Und Sie sollten auch nicht die Klatschgeschichten glauben, die Sie womöglich gehört haben. Aber zuerst muß ich mit Molly sprechen. Schließlich hat sie an ihn geglaubt. Natürlich war Molly gerade erst sieben Jahre alt, als er von hier fortging. Was sie noch von ihm wußte, waren ja nicht mehr als vage Erinnerungen an den Jungen, der sie mit ins Zigeunerlager genommen hatte, wo sie auf einem Pony reiten lernte und besser mit Steinen werfen als jeder Mann. Nebenbei gesagt, ein Streit um den Farnleigh-Titel und den Landbesitz würde sie nicht groß scheren. Dr. Sutton war ja kein einfacher Landarzt; er hat fast eine halbe Million hinterlassen, und das ist Mollys Privatvermögen. Und ich hatte oft das Gefühl, daß sie nie wirklich gern Herrin auf Farnleigh Close gewesen ist; eine solche Aufgabe liegt ihr einfach nicht. Sie hat ihn nicht wegen seines Rangs oder seines Vermögens geheiratet, und es wäre ihr gleichgültig gewesen, ob er nun Farnleigh oder Gore hieß oder sonst etwas – und jetzt allemal. Warum hätte er es ihr also sagen sollen?«

Elliot sah ein wenig benommen aus, wozu er ja auch guten Grund hatte.

»Einen Augenblick, Miss Dane. Was wollen Sie uns denn nun sagen – daß er der Hochstapler war oder daß er es nicht war?«

»Aber das weiß ich nicht! Ich weiß nicht, ob er es war oder nicht!«

»Von allen Seiten«, klagte Dr. Fell, »bricht dieser Mangel an Information über uns herein. Wir werden geradezu überflutet davon. Aber lassen wir es vorerst dabei. Nur in einem Punkt hätte ich meine Neugier noch gern befriedigt. Was hat es mit dieser Puppe auf sich?«

Madeline zögerte.

»Ich weiß nicht, ob sie noch da ist«, sagte sie und starrte mit fasziniertem Blick das Fenster an. »Johns Vater hielt sie in einer Dachkammer unter Verschluß, zusammen mit den – Büchern, die er nicht sehen wollte. Die Farnleighs früherer Zeiten waren ja recht üble Gesellen, das wissen Sie vielleicht, und Sir Dudley fürchtete immer, daß bei John die alte Art wieder ausbräche. Obwohl ich nicht fand, daß es an dieser Figur etwas Sinistres oder Gefährliches gab.

Einmal – nur einmal habe ich sie gesehen. John hatte seinem Vater den Schlüssel gestohlen, und wir stiegen hinauf bis ganz nach oben, mit einer Laterne, die abgedunkelt war bis auf einen schmalen Lichtstrahl. Er erzählte mir, die Tür sei schon seit Generationen nicht mehr geöffnet worden. Es heißt, früher sei die Figur wie lebendig gewesen und so schön wie eine echte Frau; sie saß auf einer gepolsterten Truhe in einem Kleid der Restaurationszeit. Doch als ich die Figur sah, war sie alt und schwarz und runzlig und jagte mir einen großen Schrecken ein. Wahrscheinlich hatte sie seit über hundert Jahren niemand mehr angerührt. Aber was das für eine Geschichte war, derentwegen die Leute sich vor ihr fürchteten, das weiß ich nicht.«

Es war etwas an ihrem Tonfall, das Page ein wenig beklommen machte, denn er wußte nicht, was er davon halten sollte: Bisher hatte er Madeline noch nie so sprechen hören. Und mit Sicherheit hatte er noch nie von dieser »Puppe« oder »Figur« gehört, was immer sie war.

»Es muß ein raffinierter Apparat gewesen sein«, fuhr Madeline fort, »aber ich verstehe bis heute nicht, warum sie ihn verteufelt haben. Haben Sie schon einmal von Kempelens oder Maelzels mechanischem Schachspieler gehört? Oder Maskylenes ›Zoe‹ oder ›Psycho‹, dem Whistspieler?«

Elliot schüttelte den Kopf, auch wenn er aufmerksam zuhörte; und Dr. Fell war so begeistert, daß ihm der Zwicker von der Nase fiel.

»Sie wollen doch nicht sagen …« hob er an. »Beim Archon von Athen, hätte man so etwas zu hoffen gewagt! Die Automaten, die Sie nennen, gehörten zu den besten in einer Reihe von beinahe lebensgroßen Figuren, die ganz Europa fast zweihundert Jahre lang in Staunen versetzten. Haben Sie nie von dem Cembalo gelesen, das von allein spielte? Ludwig XIV. hat es sich vorführen lassen. Oder von der Figur, die Kempelen baute und Maelzel vorführte, die einst im Besitz von Napoleon war und später beim Brand eines Museums in Philadelphia verlorenging? Jedem, der ihn sah, kam es vor, als sei Maelzels Apparat lebendig. Er spielte Schach mit dem Publikum, und meistens gewann er. Es gab verschiedene Spekulationen darüber, wie er funktionierte – Poe hat einen Aufsatz dazu verfaßt –, aber für meine einfältigen Begriffe gibt es bis heute keine befriedigende Erklärung. ›Psycho‹ steht heute in London im Museum. Sie wollen doch nicht sagen, daß es eine solche Figur auf Farnleigh Close gibt?«

»Doch. Deshalb hätte ich ja auch gedacht, daß dieser Mr. Murray danach gefragt hätte«, beharrte Madeline. »Wie gesagt, was für eine Geschichte dahintersteckt, weiß ich nicht. Der Automat wurde zu Zeiten Karls II. in England ausgestellt und dann von einem Farnleigh erworben. Ich weiß nicht, ob er auch Karten oder Schach spielte, aber er konnte sich bewegen und sprach. Als ich ihn sah, war er, wie gesagt, alt und schwarz und runzlig.«

»Und – ahemm – diese Sache, daß er zum Leben erweckt würde?«

»Ach, das war nur ein Unsinn, den John erzählt hat, als er noch ein dummer Junge war. Das war nicht ganz ernst gemeint. Ich habe nur überlegt, was jemandem über ihn aus den alten Zeiten im Gedächtnis geblieben sein könnte. Die Dachkammer, in der die Figur stand, war voller Bücher, und es waren – nun, böse, verruchte Bücher« – wieder errötete sie –, »und das war für John die größte Attraktion. Das Geheimnis, wie man die Puppe zum Sprechen brachte, war in Vergessenheit geraten, und ich nehme an, das war es, was er meinte.«

Auf Pages Schreibtisch klingelte das Telefon. Er war so in die Betrachtung Madelines versunken gewesen – des Winkels, in dem sie ihren Kopf hielt, der Willensstärke, die aus ihren dunkelblauen Augen sprach –, daß er im ersten Augenblick gar nicht wußte, wo das Telefon stand. Doch als er Burrows’ Stimme am anderen Ende vernahm, war sein Verstand sofort wieder wach.

»Um Himmels willen«, rief Burrows, »ihr müßt sofort hier herüber zum Haus kommen! Bring den Inspektor und Dr. Fell mit!«

»Immer mit der Ruhe!« antwortete Page, der spürte, wie ein unangenehmes Kribbeln sich auf seiner Brust ausbreitete. »Was ist los?«