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»Hmpf«, sagte Dr. Fell. »Hat jemand hier im Zimmer dieses Buch schon einmal gesehen?«

»Ja«, sagte Gore ruhig.

»Und das Exlibris?«

»Das auch. Seit dem achtzehnten Jahrhundert benutzen wir es in der Familie nicht mehr.«

Dr. Fell zeichnete mit dem Finger das Motto nach. »Sanguis eius super nos et super filios nostros, Thos. Farnleigh, 1675. Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder. – Hat dieses Buch je in der Bibliothek hier im Herrenhaus gestanden?«

Gores Augen funkelten und erwachten zum Leben, als er das Buch sah, aber er schien nach wie vor überrascht. Seine Worte klangen spöttisch.

»Nein, hier unten mit Sicherheit nicht. Das ist eines jener Hexenbücher, die mein Vater und vor ihm mein Großvater in der Dachkammer verborgen hielten. Ich habe ihm einmal den Schlüssel gestohlen und Duplikate anfertigen lassen, damit ich hinaufgehen und dort lesen konnte. Ach, wieviel Zeit habe ich dort oben verbracht – unter dem Vorwand, falls jemand mich fand, ich hätte mir einen Apfel vom Boden nebenan holen wollen.« Er blickte in die Runde. »Weißt du das noch, Madeline? Einmal habe ich dich mit hinaufgenommen, damit du dir die Goldhexe ansehen kannst. Ich habe dir sogar einen Schlüssel geschenkt. Aber leider konntest du dich nie für diese Dinge erwärmen. – Doktor, woher haben Sie das Buch? Was hat es aus seiner Gefangenschaft befreit?«

Inspektor Elliot erhob sich und läutete nach Knowles.

»Könnten Sie«, wandte er sich an den verschüchterten Butler, »Lady Farnleigh bitten, uns Gesellschaft zu leisten?«

In aller Ruhe holte Dr. Fell Pfeife und Tabaksbeutel hervor. Er stopfte die Pfeife, zündete sie an und sog tief befriedigt den Rauch ein; erst dann sprach er. Mit einer weit ausholenden Bewegung wies er auf das Buch.

»Das Buch? Seinerzeit hat keiner einen Blick hineingeworfen oder sich überhaupt damit beschäftigt – wahrscheinlich, weil der Titel so nichtssagend war. In Wirklichkeit ist es eines der unglaublichsten Dokumente, die man überhaupt in Archiven finden kann: das Geständnis einer gewissen Madeleine de la Palud, aufgezeichnet 1611 in Aix, in dem sie von ihrer Teilnahme an Hexensabbat und Satanskulten berichtet. Es fand sich auf Miss Dalys Nachttisch. Noch kurz bevor der Mörder kam, hatte sie darin gelesen.«

Kapitel 12

Es war so still in der Bibliothek, daß Page deutlich die Schritte von Molly Farnleigh und Burrows hören konnte, als sie eintraten.

Murray räusperte sich. »Und das bedeutet …?« ermunterte er. »Habe ich denn nicht gehört, daß Miss Daly von einem Landstreicher ermordet wurde?«

»Das ist gut denkbar.«

»Und weiter?«

Doch nun ergriff Molly Farnleigh das Wort. »Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen«, hob sie an, »daß ich mich gegen diesen lächerlichen Anspruch wehren werde, Ihren Anspruch« – sie legte ihren ganzen Kampfgeist in den einen verächtlichen Blick, mit dem sie Gore ansah –, »und zwar bis zum Äußersten. Nat Burrows sagt, es wird sich über Jahre hinziehen und uns alle das letzte Hemd kosten, aber ich kann mir das leisten. Aber jetzt kommt alles darauf an, Johns Mörder zu finden. Dafür bin ich bereit, einen Waffenstillstand zu erklären, wenn Sie es Ihrerseits tun. Wovon habe ich da reden gehört, als ich hereinkam?«

»Denken Sie denn, Sie haben etwas gegen unseren Anspruch in der Hand, Lady Farnleigh?« fragte Welkyn, nun wieder ganz Anwalt. »Ich muß Sie warnen …«

»Ich habe mehr in der Hand, als Sie sich vorstellen können«, schoß Molly zurück, mit einem seltsam bedeutungsschwangeren Blick auf Madeline. »Wovon habe ich da reden gehört, als ich hereinkam?«

Dr. Fell, jetzt wieder mit Feuer und Flamme bei der Sache, sprach mit Donnerstimme.

»Wir sind einer hochinteressanten Angelegenheit auf der Spur, Ma’am«, sagte er, »und wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns helfen könnten. Gibt es auf dem Dachspeicher dieses Hauses nach wie vor eine Kammer, in der sich eine Sammlung von Büchern über Hexerei und dergleichen Themen befindet? Ja?«

»Natürlich gibt es die noch. Aber was hat das mit unserem Fall zu tun?«

»Sehen Sie sich dieses Buch an, Ma’am. Können Sie uns mit Bestimmtheit sagen, ob es aus dieser Sammlung kommt?«

Molly trat zum Tisch herüber. Alle erhoben sich, aber sie tat die Höflichkeit mit einer ungeduldigen Handbewegung ab.

»Ich glaube schon. Ich bin mir sogar ziemlich sicher. Sie hatten alle dieses Exlibris, und das gibt es in keinem der Bücher hier unten – daran kann man sie erkennen. Wie sind Sie daran gekommen?«

Dr. Fell erzählte es ihr.

»Aber das ist unmöglich!«

»Wieso?«

»Weil um diese Bücher immer ein furchtbares Aufhebens gemacht wurde. Gerade von meinem Mann – ich habe nie verstanden, warum. Wir waren ja eben erst ein Jahr verheiratet.« Die ruhigen braunen Augen blickten in die Vergangenheit. Sie nahm auf dem Stuhl Platz, den Burrows ihr heranrückte. »Als ich herkam als – Braut, da gab er mir alle Schlüssel zum Haushalt mit Ausnahme dessen zu jener Kammer. Natürlich habe ich sie gleich an Mrs. Apps, die Haushälterin, weitergegeben; aber daß der eine fehlte, machte mich neugierig.«

»Wie bei Blaubart?« schlug Gore vor.

»Keine Provokation bitte«, brummte Dr. Fell, als sie sich mit wütender Miene dem Herausforderer zuwandte.

»Nun gut«, sagte Molly. »Ich habe natürlich doch erfahren, was in der Kammer war. Mein Mann wollte sie alle verbrennen – die ganze Sammlung, meine ich. Bevor er das Erbe antrat, wurde der Wert geschätzt, und es war eigens ein Mann aus London da, der sich die Bücher ansah. Die kleine Sammlung auf dem Dachboden sei Tausende und Abertausende von Pfund wert, erklärte er und hüpfte beinahe vor Freude, der dumme Kerl. Es seien Raritäten aller Arten darunter, eines davon sogar einmalig. Ich weiß noch, was es war. Ein gebundenes Manuskript, das seit dem frühen neunzehnten Jahrhundert als verloren galt. Keiner wußte, wo es geblieben war, und dabei lag es dort oben auf unserem Dachboden. Das ›Rote Buch von Appin‹ hieß es. Angeblich enthielt es die geheimsten Geheimnisse der Schwarzen Magie, und jeder, der es gelesen habe – hieß es –, müsse von da an einen eisernen Ring um den Kopf tragen, damit er ihm nicht platzte. Daran erinnere ich mich noch gut, denn gestern abend haben Sie ja alle darüber geredet, und dieser Mann hier« – sie sah Gore an – »wußte nicht einmal, was es war.«

»Wie Dr. Fell schon sagt, keine Provokationen bitte«, erwiderte Gore mit freundlichster Stimme. Doch dann wandte er sich Murray zu. »Wo bleibt Ihr Sinn für Fairneß, Schulmeister? Sie wußten, daß ich das Zauberbuch nie unter diesem Namen gekannt habe. Aber ich kann Ihnen sagen, was es damit auf sich hat, und ich kann Ihnen auch zeigen, welches von den Büchern es ist, wenn es noch oben ist. Lassen Sie mich ein Beispiel für seine Wirkung geben. Es heißt, jeder der es kennt, könne voraussehen, welche Frage man ihm als nächstes stellen wird, noch bevor der Frager den Mund öffnet.«

»Das muß Ihnen ja gestern abend sehr gelegen gekommen sein«, spottete Molly.

»Ein schöner Beweis, daß ich das Buch gelesen habe. Außerdem soll es die Fähigkeit verleihen, unbelebte Dinge zu beleben, was ja beinahe vermuten läßt, Lady Farnleigh habe es ebenfalls gelesen.«