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Dr. Fell pochte mit seinem Stock auf den Fußboden, um sich Gehör zu verschaffen. Als der Sturm, der loszubrechen drohte, gebannt war, sah er Molly wohlwollend an.

»Hä«, sagte Dr. Fell. »Hä-hä-hä. Wenn ich es recht verstehe, Ma’am, glauben Sie nicht an die magischen Fähigkeiten des ›Roten Buchs von Appin‹ oder überhaupt an dergleichen Dinge?«

»Ach, dieser …« tat Molly es mit einem Wort ab, das Madeline erröten ließ.

»Hmpf, ja. Sie sagen es. Aber nun weiter.«

»Jedenfalls machte mein Mann sich furchtbar viele Gedanken um diese Bücher, sie beunruhigten ihn. Er hätte sie am liebsten verbrannt. Ich wollte ihm klarmachen, wie dumm das war; wenn er sie unbedingt loswerden wollte, konnten wir sie ja verkaufen, und was richteten sie denn schon für einen Schaden an, wenn wir sie ließen, wo sie waren? Sie seien voller Wollust und Sünde, erklärte er.« Molly zögerte, doch dann fuhr sie in ihrer offenen Art fort. »Da spitzte ich, wenn Sie es unbedingt wissen wollen, die Ohren. Als er mir die Kammer zeigte, blätterte ich in ein oder zweien davon, aber ich fand nichts Wollüstiges darin. Einen langweiligeren Kram kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Nichts für die niederen Triebe. Ein Haufen weitschweifiger Unsinn über Lebenslinien oder solche Sachen, und alles in Fraktur mit den ulkigen ›f‹ und ›s‹, die immer aussehen, als ob der Schreiber gelispelt hätte. Ich konnte gar nicht verstehen, daß sich irgendwo ein Mensch dafür interessieren sollte. Und als mein Mann darauf bestand, daß die Kammer verschlossen blieb, habe ich mich nicht mehr darum gekümmert, und ich denke nicht, daß seither noch einmal jemand oben war.«

»Aber dieses Buch hier« – Dr. Fell tippte mit dem Finger darauf – »kommt von dort?«

»Ja – ja, da bin ich mir sicher.«

»Und Ihr Mann hatte den Schlüssel zu dem verschlossenen Zimmer immer bei sich. Doch trotzdem kam es irgendwie aus dieser Kammer heraus und gelangte in den Besitz von Miss Daly. Tja.« Dr. Fell paffte kleine Rauchwölkchen; nun nahm er die Pfeife aus dem Mund und holte tief Luft. »Und das wäre eben die Verbindung, der Faden, der von Miss Dalys Tod zum Tod Ihres Mannes läuft. Nicht wahr?«

»Und was für eine Verbindung soll das sein?«

»Wäre es zum Beispiel denkbar, Ma’am, daß er Miss Daly das Buch selbst gab?«

»Aber ich habe Ihnen doch schon gesagt, was er von diesen Büchern hielt!«

»Das, Ma’am«, erwiderte Dr. Fell beschwichtigend, »war nicht die Frage. Wäre es denkbar? Schließlich haben wir gehört, daß er als Junge – und Sie bleiben ja dabei, daß er der echte John Farnleigh war – ganz anders über diese Bücher dachte.«

Molly ließ sich nicht unterkriegen.

»Da haben Sie mich in der Zwickmühle. Wenn ich sage, daß er diese Dinge geradezu maßlos haßte, können Sie mir entgegenhalten, ein so vollkommener Sinneswandel sei unmöglich und das sei der beste Beweis, daß er nicht John Farnleigh war. Wenn ich sage, es könne schon sein, daß er Victoria das Buch gegeben hat – na, ich weiß nicht, was Sie dann sagen werden.«

»Wir wollen nichts weiter als eine ehrliche Antwort, Ma’am«, beharrte Dr. Fell. »Oder sagen wir: Ihren ehrlichen Eindruck. Der Himmel stehe dem Menschen bei, der versuchen will, die ganze Wahrheit zu sagen. Aber wie war das – kannten Sie Victoria Daly gut?«

»Recht gut. Die arme Victoria hat sich immer bei guten Werken engagiert.«

»Würden Sie sagen« – Dr. Fell gestikulierte mit seiner Pfeife –, »würden Sie sagen, sie war auch jemand, bei dem Sie sich ein tiefergehendes Interesse am Thema Hexerei vorstellen könnten?«

Molly ballte die Fäuste.

»Können Sie mir bitte verraten, was dieses Hexengerede mit unserer Sache zu tun haben soll? Wenn es wirklich ein Buch über Hexerei ist – und wenn es aus der Dachkammer kommt, wird es das wohl sein –, beweist das denn etwas, nur weil sie darin gelesen hat?«

»Es gibt noch andere Indizien, glauben Sie mir«, sagte Dr. Fell sanft. »Wenn Sie nur ein wenig nachdenken, Ma’am, werden Sie darauf kommen, daß das Entscheidende die Verbindung aus Miss Daly und einer verschlossenen Bibliothek und diesem Buch ist. Zum Beispieclass="underline" Kannte Ihr Mann sie gut?«

»Hm. Das weiß ich nicht. Aber ich glaube kaum.«

Dr. Fell runzelte die Stirn. »Bedenken Sie aber nun sein Benehmen am gestrigen Abend, so wie man es mir beschrieben hat. Wenn ich es recht verstehe, war es doch so: Ein Mann, der Anspruch auf seinen Besitz erhebt, erscheint. Dieser Besitz, ob er ihn nun zu Recht hält oder nicht, ist die wichtigste Triebfeder in seinem Leben. Und nun steht seine Festung unter Beschuß. Mr. Gore und Mr. Welkyn mit ihren glaubwürdigen Geschichten und dem tödlichen Beweis der Fingerabdrücke stehen bereit zum Sturm. Gewiß, er geht nervös im Zimmer auf und ab – aber in dem Augenblick, in dem der Gegner zum Angriff bläst, scheint ihn eher die Tatsache zu beschäftigen, daß ein Detektiv im Dorf ist, der im Mordfall Victoria Daly ermittelt. Stimmt das nicht?«

Doch, es stimmte. Page erinnerte sich nur zu gut. Und Molly konnte es nicht leugnen.

»Sie sehen, unser Faden wird immer länger. Lassen Sie uns ihm folgen und sehen, wohin er uns führt. Diese versperrte Dachkammer kommt mir immer verlockender vor. Ist eigentlich noch etwas anderes oben außer Büchern?«

Molly zögerte.

»Nur diese künstliche Figur. Ich habe sie einmal gesehen, als ich noch ein kleines Mädchen war, und mochte sie sehr. Ich habe meinem Mann vorgeschlagen, daß wir sie doch herunterholen könnten und sehen, ob wir sie nicht zum Laufen brächten – ich mag solche mechanischen Sachen –, aber auch davon wollte er nichts hören.«

»Ah, die künstliche Figur«, wiederholte Dr. Fell und setzte sich mit einem Schnaufen aufrechter. »Können Sie uns davon mehr erzählen?«

Molly schüttelte den Kopf, und Kennet Murray sprang ein.

»Das wäre ein Thema für Sie, Doktor«, sagte Murray schwungvoll und machte es sich in seinem Sessel wieder bequemer, »da würde es sich lohnen, genauer nachzuforschen. Ich selbst habe vor Jahren mein Glück versucht, und der junge Johnny ebenfalls.«

»Und?«

»Die Fakten, die ich herausfinden konnte, sind folgende.« Murray legte besonderes Gewicht auf das Wort. »Sir Dudley hat mir nie gestattet, die Figur anzusehen, und ich mußte rein detektivisch vorgehen. Erbauer war Monsieur Raisin, der Organist in Troyes, der auch für Ludwig XIV. das von selbst spielende Cembalo baute, und in den Jahren 1676 und 1677 wurde die Figur mit großem Erfolg am Hof Karls II. gezeigt. Sie war beinahe lebensgroß, saß auf einer Art Sofa und war, heißt es, in ihrem Äußeren einer der Hofdamen nachgebildet, auch wenn Unklarheit darüber besteht, welcher. Was sie tat, versetzte die Leute damals in Begeisterung. Sie spielte zwei oder drei Melodien auf einer Cittern (dem Vorfahren unserer heutigen Zither), und sie drehte den Zuschauern eine lange Nase und hatte noch eine Reihe weiterer Gesten im Repertoire, einige davon höchst ungehörig.«

Sein Publikum lauschte gebannt.

»Sir Thomas Farnleigh, dessen Exlibris Sie in diesem Buch sehen, erwarb den Automaten«, sagte Murray. »Ob es das unanständige Betragen der Puppe war oder etwas anderes, was später dafür sorgte, daß sie in Ungnade fiel, habe ich nicht ermitteln können. Aber etwas fiel vor – und alle schweigen sich darüber aus, was es war. Der Grund scheint nicht schwerwiegend genug für das Entsetzen, das die Figur im achtzehnten Jahrhundert offenbar hervorrief, auch wenn man verstehen kann, daß ein solcher Apparat nicht gerade das Wohlwollen von Sir Dudley oder das seines Vaters oder Großvaters weckte. Man darf davon ausgehen, daß der alte Thomas wußte, wie sie in Gang zu setzen war, aber anscheinend wurde das Geheimnis nicht weitergegeben. Stimmt’s, junger Jo… – bitte um Verzeihung – Sir John?«