Выбрать главу

J. K. HUYSMANS, Là-Bas.

Kapitel 14

Die gerichtliche Untersuchung zum Tode von Sir John Farnleigh fand am folgenden Tag statt und endete mit einer solchen Sensation, daß die Presse in ganz Großbritannien kopfstand.

Inspektor Elliot ist, wie die meisten Polizisten, kein Freund solcher Untersuchungen, und dies aus praktischen Gründen. Brian Pages Abneigung ist eher ästhetischer Art: Man erfährt nie etwas, was man nicht vorher schon wußte, nur selten schlagen die Gefühle hoch, und das Urteil, ganz gleich, wie es ausfällt, trägt in der Regel nichts dazu bei, das Rätsel zu lösen.

Aber in diesem Falle, das mußte er zugeben, folgte die Untersuchung – die am Vormittag des 31. Juli, eines Freitags, stattfand – nicht dem üblichen Muster. Es schien von vornherein festzustehen, daß das Urteil auf Selbstmord lauten würde. Und doch war die Anspannung so groß, daß ein ausgewachsener Streit im Gange war, bevor der erste Zeuge noch zehn Worte gesagt hatte, und als das Urteil schließlich gefällt wurde, konnte Inspektor Elliot nur noch fassungslos dabeisitzen.

Page begann den Tag mit sehr schwarzem Kaffee und einem Stoßseufzer darüber, daß es nach den Ereignissen des Vortags nicht noch eine zweite solche Untersuchung gab. Betty Harbottle hatte den Schreck überstanden. Doch für eine Weile, nachdem sie der Hexe zum zweitenmal ins Auge geblickt hatte, hatte man um ihr Leben fürchten müssen, und nun war sie erst recht nicht mehr in der Lage, eine Aussage zu machen. Nach dem Sturz hatte Elliot alle Anwesenden unerbittlich verhört, doch alles drehte sich im Kreise. »Haben Sie ihm den Stoß gegeben?« – »Nein, das schwöre ich; ich weiß nicht, wer es war; wir standen auf dem schiefen Fußboden, und vielleicht ist es ja von selbst losgegangen.«

Elliot und Dr. Fell saßen bis spätabends bei Pfeife und Bier beisammen, und Elliot hielt Resümee. Page hatte Madeline nach Hause gebracht, darauf bestanden, daß sie etwas aß, einen hysterischen Anfall im Keime erstickt, und bei allem waren ihm tausend Dinge zugleich durch den Kopf gegangen. Als er wieder eintrat, war der Inspektor eben beim Fazit angelangt.

»Wir stecken fest«, sagte er. »Wir können nicht das mindeste beweisen, und das bei allem, was geschehen ist! Victoria Daly wird ermordet – vielleicht von einem Landstreicher, vielleicht auch nicht; andere finstere Machenschaften sind anscheinend im Spiel, auf die wir jetzt nicht eingehen müssen. Das war vor einem Jahr. Sir John Farnleigh wird mit durchschnittener Kehle gefunden. Betty Harbottle wird auf eine Weise, über die wir nichts wissen, ›angegriffen‹ und vom Dachboden nach unten geschafft; ihre zerrissene Schürze findet sich oben in der Bücherkammer. Ein Heft mit Fingerabdrücken verschwindet und kommt zurück. Schließlich versucht noch jemand, Sie zu ermorden, indem er diese Maschine die Treppe hinunterstößt – ein Versuch, dem Sie nur um Haaresbreite und mit der Gnade Gottes entgangen sind.«

»Und ich weiß es zu schätzen, das können Sie mir glauben«, versicherte Dr. Fell ihm grimmig. »Es war einer der schlimmsten Augenblicke meines Lebens, als ich mich umblickte und dieses Monstrum auf mich zukommen sah. Ich war selbst schuld daran. Ich habe zuviel geredet. Und doch …«

Elliot sah ihn aufmerksam an.

»Immerhin ist es ein Beweis, Sir, daß Sie auf der richtigen Spur waren. Der Mörder begriff, daß Sie zuviel wußten. Worum es sich bei dieser Spur handelt … Sir, wenn Sie Vermutungen haben, wäre es an der Zeit, es mir zu sagen. Wenn sich nicht bald etwas Neues ergibt, werde ich nach London zurückbeordert.«

»Oh, Sie werden es bald erfahren«, brummte Dr. Fell. »Ich will ja kein Geheimnis daraus machen. Aber selbst wenn ich Ihnen sage, was ich vermute, und selbst wenn es sich als richtig herausstellt, hätten wir immer noch keinen Beweis. Und in einer Beziehung weiß ich nicht, ob Sie sich nicht täuschen. Es schmeichelt mir, gewiß. Aber ich bin mir nicht sicher, ob der Automat wirklich die Treppe hinuntergestoßen wurde, um mir, wie es so schön heißt, das Lebenslicht auszublasen.«

»Weswegen denn sonst? Der Täter konnte nicht damit rechnen, daß er das Mädchen noch einmal erschrecken konnte, Sir. Es war nicht abzusehen, daß die Maschine zur Tür ihres Zimmers hereinkommen würde.«

»Ich weiß«, sagte Dr. Fell stur und fuhr sich mit den Fingern durch den üppigen graumelierten Haarschopf. »Und doch – und doch – welchen Beweis …«

»Das meine ich ja gerade. Wir haben eine ganze Kette von Ereignissen, die alle miteinander zusammenhängen, und nicht ein einziges darunter, bei dem ich etwas beweisen kann! Ich habe nichts in der Hand, womit ich zu meinen Vorgesetzten gehen kann: ›Hier, bitte sehr‹. Kein Indiz, das sich nur so und nicht auch anders deuten ließe. Ich kann nicht einmal beweisen, daß die Sachen überhaupt miteinander zusammenhängen – und das ärgert mich besonders. Nehmen Sie die gerichtliche Untersuchung morgen. Selbst das, was wir selbst vorlegen, fordert ja geradezu zum Urteil auf Selbstmord heraus …«

»Läßt sich die Untersuchung nicht verschieben?«

»Natürlich. Normalerweise hätte ich das getan und immer wieder neu Aufschub gefordert, bis wir entweder beweisen können, daß es Mord war, oder die Sache ganz fallenlassen. Aber da haben wir den letzten und größten Haken. Was habe ich denn von weiteren Ermittlungen noch zu erhoffen, so wie die Dinge jetzt stehen? Der Superintendent ist so gut wie überzeugt, daß Sir John Farnleighs Tod ein Selbstmord war, und der Assistant Commissioner auch. Als sie nun noch hörten, daß sich auf dem Taschenmesser, das Burton in der Hecke entdeckt hat, Spuren von Fingerabdrücken des Toten fanden …«

(Davon hatte Page noch nichts gehört, und damit schien der Urteilsspruch auf Selbstmord so gut wie besiegelt.)

»… war die Sache praktisch entschieden«, bestätigte Elliot ihm. »Worauf kann ich denn noch hoffen?«

»Betty Harbottle?« schlug Page vor.

»Gut, stellen wir uns vor, sie erholt sich und kann ihre Geschichte erzählen. Stellen wir uns vor, sie berichtet, wie sie jemanden oben in der Bücherkammer gesehen hat. Und was tat er da? Und was soll das zu bedeuten haben? Was hat das mit dem Selbstmord im Garten zu tun? Beweise, mein Junge. Das Heft mit den Fingerabdrücken, kann uns das weiterhelfen? Keiner hat je behauptet, daß es aus dem Besitz des Toten stammt; was hat es also überhaupt mit dem Fall zu tun? Nein, Sir; Sie dürfen es nicht vernünftig ansehen – sehen Sie es mit den Augen eines Juristen an. Es steht hundert zu eins, daß ich am Abend zurückgerufen werde, und der Fall kommt zu den Akten. Sie und ich, wir wissen, daß hier ein Mörder umgeht und sich so raffiniert getarnt hat, daß er tun und lassen kann, was er will, bis ihm jemand das Handwerk legt – oder ihr. Und scheinbar gibt es niemanden, der das kann.«

»Und was werden Sie jetzt tun?«

Elliot stürzte einen halben Krug Bier hinunter, bevor er antwortete.

»Für meine Begriffe gibt es nur eine Chance: die Untersuchung vor dem Coroner mit allem, was dazugehört. Die meisten unserer Verdächtigen werden als Zeugen aussagen. Eine gewisse Hoffnung besteht, daß einer von ihnen sich unter Eid verplappern wird. Keine große Hoffnung, das gebe ich zu – aber so etwas ist schon vorgekommen (erinnern Sie sich an Waddington, die Krankenschwester?), und es könnte noch einmal geschehen. Wenn nichts anderes weiterführt, bleibt uns das als letztes.«

»Wird der Coroner mitspielen?«

»Wenn ich das wüßte«, sagte Elliot nachdenklich. »Dieser Burrows führt etwas im Schilde, das weiß ich. Aber er vertraut sich mir nicht an, und ich habe nichts aus ihm herausbekommen können. Er ist beim Coroner gewesen, aber ich weiß nicht, weswegen. Wenn ich es recht verstanden habe, mögen Burrows und der Coroner sich nicht besonders, und der Mann war auch kein Freund des verstorbenen ›Farnleigh‹. Persönlich ist er anscheinend überzeugt, daß es Selbstmord war, aber er wird fair spielen, und sie werden alle gegen den Außenseiter zusammenhalten – das bin ich. Das Ironische ist, daß Burrows ja selbst gern beweisen würde, daß es Mord war, denn ein Urteil auf Selbstmord kann man mehr oder weniger auch als Urteil nehmen, daß sein Klient ein Hochstapler war. Das Ganze wird eine einzige große Boulevardkomödie um verschollene Erben werden, und wie sie ausgeht, steht schon fest: Selbstmord, ich werde abberufen, und die Geschichte ist erledigt.«