»Na, na«, sagte Dr. Fell tröstend. »Übrigens, wo ist eigentlich der Automat geblieben?«
»Sir?«
Elliot riß sich aus seinem Selbstmitleid und starrte sein Gegenüber an.
»Der Automat? Den habe ich in einen Schrank geschoben. Nach den Stößen, die er abbekommen hat, bleibt da wohl nur noch der Schrottplatz. Ich wollte ihn ja gern noch genauer untersuchen, aber ich fürchte, selbst der beste Mechaniker wird jetzt nicht mehr herausfinden können, wie er funktioniert hat.«
»So ist es«, seufzte Dr. Fell und griff nach seiner Kerze für den Nachttisch. »Deswegen hat der Mörder ihn ja die Treppe hinuntergestoßen.«
Page verbrachte eine unruhige Nacht. Außer der Untersuchung gab es noch andere Dinge am nächsten Tag, die ihm Sorgen machten. Nat Burrows, dachte er, hatte nicht das Kaliber seines Vaters; selbst Dinge wie die Vorkehrungen für das Begräbnis hatte er an Page delegiert. Anscheinend war Burrows ganz mit einem anderen Aspekt der Affäre beschäftigt. Und ihm ging die Frage durch den Kopf, ob man Molly »allein« in einem Haus von so sinistrer Atmosphäre lassen konnte, zumal die Dienerschaft fast geschlossen mit Kündigung drohte.
All diese Dinge quälten ihn, bis die Sonne zu einem heißen und strahlenden Tag aufging. Die Flut der Automobile setzte gegen neun Uhr ein. Er hatte noch nie so viele Wagen auf einmal in Mallingford gesehen; erst als er die Massen an Vertretern von Presse und Welt draußen einfallen sah, begriff er, welches Aufsehen dieser Fall jenseits ihrer Haustür erregt hatte. Es ärgerte ihn. Schließlich ging das, fand er, niemand anderen etwas an. Es fehlte nur noch, daß sie Schaukeln und Karussells aufstellten und heiße Würstchen feilboten. Sie stürmten den Bull and Butcher, in dessen »Saal« – einem langgestreckten Schuppen, in dem sich sonst die Arbeiter vergnügten, die zur Hopfenernte kamen – die Verhandlung stattfinden sollte. An der Straße glitzerten unzählige Objektive in der Sonne. Viele der Schaulustigen waren Frauen. Der Hund des alten Mr. Rowntree jagte jemanden die ganze Straße hinunter bis zu Major Chambers; er bellte den ganzen Vormittag über wie toll, und niemand konnte ihn beruhigen.
Zwischen all dem bewegten sich die Einheimischen ohne ein Wort. Sie legten sich nicht fest. Jeder auf dem Lande ist auf die anderen angewiesen, man tauscht Dinge, hilft sich gegenseitig; in einem Fall wie diesem mußte man abwarten, was geschah, so daß alle auch nachher in Frieden miteinander leben konnten, ganz gleich, wie die Sache ausging. Von der Welt draußen hingegen kam der Tumult von DER TOTE ERBE – OPFER ODER BETRÜGER?, und um elf Uhr an jenem heißen Vormittag nahm die gerichtliche Untersuchung des Todesfalls ihren Anfang.
Der lange, niedrige, düstere Schuppen war vollgepackt mit Menschen. Es war, dachte Page, eindeutig ein Anlaß für einen gestärkten Kragen. Der Coroner, der die Untersuchung leitete – ein wackerer Jurist, der fest entschlossen war, sich keinerlei Launen der Farnleighs gefallen zu lassen –, hatte vor einem großen Stoß Papier an einem breiten Tisch Platz genommen, zu seiner Linken einen Stuhl für die Zeugen.
Zuerst wurde Lady Farnleigh aufgerufen, die als Witwe bezeugen mußte, daß es sich bei dem Toten wirklich um Sir John Farnleigh handelte. Schon hier – in der Regel nur eine Formalität – wurde Einspruch erhoben. Molly hatte kaum ein paar Worte gesprochen, als sich Mr. Harold Welkyn, im Gehrock, eine Gardenie im Knopfloch, im Namen seines Klienten erhob. Mr. Welkyn führte aus, aus formaljuristischen Gründen müsse er gegen die Identifizierung protestieren, da es sich bei dem Toten nicht um Sir John Farnleigh gehandelt habe; und da die Frage nach der Identität von entscheidender Bedeutung für das Urteil darüber sei, ob der Verstorbene sich selbst das Leben genommen habe oder ob er das Opfer eines Verbrechens geworden sei, bitte er respektvoll um Erlaubnis, diesen Punkt dem Gericht unterbreiten zu dürfen.
Es folgte eine lange Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Coroner unter Mithilfe des eisigen und empörten Burrows Mr. Welkyn gehörig in seine Schranken wies. Doch selbst bei diesem Rückschlag glänzte Welkyns Stirn noch vor Zufriedenheit. Er hatte angebracht, was er anbringen wollte. Er hatte das Tempo vorgegeben. Er hatte das eigentliche Schlachtfeld abgesteckt, und alle wußten das.
Er sorgte damit auch dafür, daß Molly eine Reihe von Fragen des Coroners beantworten mußte, die den Geisteszustand des Verstorbenen betrafen. Der Coroner war freundlich, aber doch fest entschlossen, alle Fakten auf den Tisch zu bringen, und Molly litt Höllenqualen. Wie die Sache stand, wurde Page allmählich klar, als der Coroner als nächstes nicht nach dem Fund der Leiche fragte, sondern Kennet Murray aufrief. Die ganze Geschichte kam ans Licht, und in der sanften, eindringlichen Art, in der Murray es vorbrachte, war das falsche Spiel des Verstorbenen so offensichtlich und eindeutig wie ein Fingerabdruck. Burrows bombardierte ihn mit Einwänden, erreichte damit jedoch nur, daß er den Coroner verärgerte.
Burrows und Page beschrieben, wie sie den Toten gefunden hatten (Page mit einer Stimme, die ihm selbst fremd vorkam). Als nächstes wurde der Arzt aufgerufen. Dr. Theophilus King sagte aus, daß er am Abend des 29. Juli, eines Mittwochs, auf einen Telefonanruf von Detective-Sergeant Burton hin nach Farnleigh Close gekommen sei. Mit einer ersten Untersuchung hatte er sich vergewissert, daß der Mann tot war. Die Leiche war ins Schauhaus gebracht worden, und am folgenden Tag hatte er auf Anordnung des Coroners zur Ermittlung der Todesursache eine Obduktion vorgenommen.
Der Coroner: Würden Sie nun bitte die Wunden beschreiben, Dr. King, die Sie am Hals des Toten fanden?
Der Doktor: Ich fand drei nicht allzu tiefe Wunden, beginnend auf der linken Seite der Kehle und endend unter dem rechten Kieferknochen. Sie verliefen in einer leichten Aufwärtsbewegung, zwei davon kreuzten einander.
C: Die Waffe wurde also von links nach rechts über die Kehle geführt?
D: So ist es.
C: Wäre das der zu erwartende Verlauf, wenn ein Mann sich selbst die Kehle durchschnitt?
D: Wenn er ein Rechtshänder war, ja.
C: War der Verstorbene Rechtshänder?
D: Nach allem, was ich weiß, ja.
C: Würden Sie sagen, es wäre unmöglich, daß der Verstorbene sich diese Wunden selbst beibrachte?
D: Keineswegs.
C: Wenn Sie nach der Art der Wunden urteilen sollten, Doktor, mit was für einer Art Waffe könnten sie zugefügt worden sein?
D: Ich würde sagen, mit einer schartigen oder ungleichmäßigen Klinge von etwa zehn bis zwölf Zentimetern Länge. Das Gewebe zeigte starke Risse. Diese Dinge lassen sich nur schwer exakt beurteilen.
C: Das wissen wir, Doktor. Ich werde gleich einen Zeugen aufrufen, der bestätigen wird, daß in einer Hecke etwa drei Meter links von dem Toten ein Messer mit einer Klinge gefunden wurde, wie Sie sie beschreiben. Haben Sie das Messer, von dem ich spreche, gesehen?
D: Das habe ich.
C: Könnte Ihrer Meinung nach das fragliche Messer am Hals des Verstorbenen Wunden hinterlassen haben, wie Sie sie beschreiben?
D: Das halte ich für möglich.