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»Eine Idee, was man – hier tun könnte?« fragte Madeline gespannt.

»So ist es«, bestätigte Dr. Fell. Eine Weile lang saß er nur schläfrig da und rauchte. »Ich überlege. Eigentlich spricht ja nichts dagegen, daß ich Ihnen ein paar vorsichtige Andeutungen mache. Zum Beispiel, daß die heutige gerichtliche Untersuchung zwei verschiedene Zwecke verfolgte. Wir haben darauf gehofft, daß das Urteil auf Mord lautet, und wir haben gehofft, daß einer der Zeugen sich verplappert. Das Urteil haben wir bekommen, und es hat auch jemand heute morgen mehr gesagt, als er wollte.«

»War das die Stelle, an der Sie laut ›Donnerwetter‹ gesagt haben?«

»Ich habe am laufenden Band ›Donnerwetter‹ gesagt«, raunte der Doktor. »Aber nur im stillen. Wenn wir etwas im Gegenzug bekommen, werden der Inspektor und ich Ihnen verraten oder zumindest andeuten, warum wir an dieser Stelle ›Donnerwetter‹ gesagt haben. Aber wie gesagt: Wir wollen etwas dafür. Schließlich sollten Sie nicht uns etwas verwehren, was Sie für Mr. Burrows getan haben – unter demselben Siegel der Verschwiegenheit. Vor ein paar Minuten haben Sie gesagt, er arbeite an einer Theorie, die er beweisen wolle. Was ist das für eine Theorie? Und was will er beweisen?«

Madeline regte sich, dann drückte sie ihre Zigarette aus. In dem Halbdunkel wirkte sie kühl und klar in ihrem weißen Kleid, der tiefe Ausschnitt betonte ihren reizenden Hals. Das Bild von ihr in diesem Augenblick blieb Page für immer im Gedächtnis: das blonde Haar zu einer Art Locken über den Ohren aufgedreht, das breite Gesicht noch sanfter und ätherischer im Zwielicht, die Augen, die sie nachdenklich schloß. Draußen kam ein leichter Wind auf und raschelte in den Lorbeerbüschen. Nach Westen hin färbte sich der Himmel über dem Garten in einem blassen Gelborange wie craqueliertes Glas, und über der dunklen Masse des Hanging Chart erschien ein Stern. Es war, als hätte der Raum sich zurückgezogen, so als warte er auf etwas. Madeline legte die Hände auf die Tischplatte und lehnte sich zurück.

»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Leute kommen zu mir und erzählen mir Sachen. Sie vertrauen darauf, daß ich ein Geheimnis bewahren kann; ich sehe aus wie jemand, der das kann, und ich kann es auch wirklich. Jetzt habe ich das Gefühl, ich werde gezwungen, alle diese Geheimnisse preiszugeben, und es kommt mir sehr unanständig vor, daß ich heute so viel ausgeplaudert habe.«

»Und?« drängte Dr. Fell.

»Trotzdem sollten Sie das folgende wissen. Ich finde, ich sollte es Ihnen sagen. Nat Burrows verdächtigt jemanden, und er hat Hoffnung, daß er ihm die Tat auch nachweisen kann.«

»Und der Verdächtige …«

»Der Verdächtige ist Kennet Murray«, sagte Madeline.

Das glimmende Ende von Elliots Zigarette hielt in der Luft inne. Dann schlug Elliot mit der flachen Hand auf den Tisch. »Murray! Murray?«

»Wieso, Mr. Elliot?« fragte Madeline und öffnete die Augen. »Überrascht Sie das?«

Die Stimme des Inspektors blieb sachlich. »Murray wäre der letzte, den man verdächtigen könnte, sowohl nach den Ergebnissen der Ermittlungen als auch nach dem, was unser Doktor die Logik des Kriminalromans nennt. Er war der eine, den alle im Auge hatten. Selbst wenn es nur im Scherz gesagt war, war er doch derjenige, der Gefahr lief, ermordet zu werden. Dieser Burrows ist ein Klugscheißer – bitte um Verzeihung, Miss Dane, ich sollte meine Zunge im Zaum halten. Nein und nochmals nein. Hat Burrows einen Grund zu der Annahme, außer daß es so geistreich klingt? Der Mann hat doch ein Alibi so groß wie ein Haus!«

»Ich verstehe es nicht ganz«, sagte Madeline und legte die Stirn in Falten, »weil er mir nicht alles verraten hat. Aber genau darum ging es – ob er überhaupt wirklich ein Alibi hat. Ich erzähle Ihnen nur weiter, was ich von Nat erfahren habe. Nat sagt, dem Beweismaterial nach war der einzige, der ihn wirklich gesehen hat, dieser Mr. Gore, der am Bibliotheksfenster stand.«

Der Inspektor und Dr. Fell tauschten einen Blick. Sie sagten nichts.

»Und weiter?«

»Erinnern Sie sich, daß ich heute bei der Untersuchung von einem Schränkchen oder Bücherkabinett in der Bibliothek gesprochen habe – ähnlich wie jenes oben auf dem Dachboden? Der Schrank, in dem sich ein Zugang zum Garten öffnet, wenn man die richtige Feder drückt?«

»Ich entsinne mich«, bestätigte Dr. Fell recht grimmig. »Hmpf. Murray hat selbst davon gesprochen; er erzählte, er sei in diesen Schrank gestiegen, um das falsche Heft mit den Fingerabdrücken gegen das echte auszutauschen, damit ihn dabei niemand durchs Fenster sehen kann. Allmählich verstehe ich.«

»Genau. Ich habe Nat von dem Schrank erzählt, und er wollte alles ganz genau wissen. Er schärfte mir ein, daß ich das in meiner Aussage erwähnen muß, damit es ins Protokoll kommt. Soweit ich ihn verstehe, geht er davon aus, daß Sie den Falschen im Auge haben. Er sagt, die ganze Geschichte ist von Anfang an eine Intrige gegen den armen John. Weil dieser ›Patrick Gore‹ mit Worten umgehen kann und überhaupt eine interessante Erscheinung ist, haben Sie ihn für den Anführer der Gruppe gehalten, sagt Nat. Aber für seine Begriffe ist Mr. Murray der wahre – wie sagt man in den Kriminalgeschichten …«

»Kopf der Gruppe?«

»Ganz genau. Der Bande. Einer Bande, bestehend aus Gore und Welkyn und Murray, wobei Gore und Welkyn nur Strohmänner sind, die nie den Mut zu einem echten Verbrechen hätten.«

»Erzählen Sie uns mehr«, bohrte Dr. Fell.

»Nat war furchtbar aufgeregt, als er es mir erklärte. Er sagt, während der ganzen Sache hat Mr. Murray sich auffällig benommen. Das – das wäre mir natürlich nicht aufgefallen. Ich habe ja nicht viel von ihm gesehen. Er scheint schon ein wenig anders als früher, aber das sind wir ja sicher alle.

Der arme Nat hat sogar eine Theorie, wie sie die ganze Sache organisiert haben könnten. Mr. Murray war mit einem Winkeladvokaten bekannt (Mr. Welkyn). Mr. Welkyn hatte von einem Geisterseher aus seiner Klientel erfahren, daß Sir John Farnleigh das Gedächtnis verloren hatte und Höllenqualen litt – Sie wissen weswegen. Und so kam Murray, der alte Lehrer, auf die Idee, einen Betrüger einzuschleusen, für dessen – falsche – Identität er bürgte. Er ließ Welkyn unter dessen Klienten einen Mann mit den entsprechenden Fähigkeiten suchen (Gore). Ein halbes Jahr lang trainierte Murray ihn, bis er jede Einzelheit wußte. Deswegen, sagt Nat, war Gores Art zu sprechen und sich zu betragen derjenigen Murrays so ähnlich – was Sie ja, wie ich höre, so auffällig fanden, Dr. Fell.«

Der Doktor starrte sie über den Tisch hinweg an.

Er legte die Ellenbogen auf die Tischplatte und stützte den Kopf in beide Hände, so daß Page nun nicht mehr an seinen Zügen ablesen konnte, was er dachte. Die Luft, die durch die Fenster hereinkam, war warm und duftend; und doch war es nicht zu übersehen, daß Dr. Fell am ganzen Leibe zitterte.

»Weiter«, drängte Elliot.

»Die Vorstellung, die Nat vom Abend des Mordes hat, ist – einfach grauenhaft«, erwiderte Madeline und schloß wiederum die Augen. »Ich sah es vor mir, auch wenn ich nichts weniger gewollt hätte. Der arme John, der nie einer Menschenseele etwas zuleide getan hatte, mußte umgebracht werden, damit niemand ihrem Anspruch widersprach, und zwar so, daß es aussah, als habe er sich selbst das Leben genommen. Was ja die meisten bis zu diesem Augenblick glauben.«

»Da haben Sie recht«, stimmte Inspektor Elliot gern zu. »Was die meisten bis zu diesem Augenblick glauben.«

»Welkyn und Gore, die feigen Strohmänner, hatten ihre vorgezeichneten Rollen. Die beiden bewachten die zwei Seiten des Hauses. Welkyn war im Speisezimmer. Gore sollte die Bibliothek bewachen, und zwar aus zwei Gründen: zum einen, damit er Mr. Murrays Alibi bezeugen konnte, zum zweiten, um zu verhindern, daß jemand anderes hineinblickte, während Mr. Murray nicht in der Bibliothek war.