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»Brian, du wirst mich doch nicht alleinlassen, oder? Es tut mir leid, daß ich mich so anstelle und dir Unannehmlichkeiten mache …«

»Um nichts in der Welt lasse ich dich im Stich!« rief Page, in dem die Beschützerinstinkte mit einer Heftigkeit aufwallten, wie er sie noch nie gekannt hatte. »Sollen die Leute sich die Mäuler zerreißen. Ich werde dich nicht aus den Augen lassen bis zum Morgen. – Nicht daß es wirklich etwas gäbe, wovor man sich fürchten müßte.«

»Vergißt du nicht, was für einen Tag wir heute haben?«

»Was für einen Tag?«

»Der Jahrestag. 31. Juli. Heute vor einem Jahr ist Victoria Daly umgebracht worden.«

»Zudem ist es«, fügte Dr. Fell hinzu und sah die beiden eindringlich an, »zudem ist es Lammas Eve. Elliot als braver Schotte wird Ihnen erklären können, was es damit auf sich hat. Das alte Erntefest. Und der Abend für einen der großen Hexensabbate, wo all das Gelichter aus der Zwischenwelt sich zeigt. Hmpf. Ha. Ich weiß schon, wie man Ihnen Mut macht, was?«

Page wußte inzwischen überhaupt nicht mehr, woran er war, seine Nerven waren gespannt, und das machte ihn wütend.

»Das kann man wohl sagen!« rief er. »Was haben Sie denn davon, wenn Sie Leuten solche Flöhe ins Ohr setzen? Madeline geht es auch so schon schlecht genug! Sie hat Sachen für andere getan und sich von anderen sagen lassen, was sie tun soll, bis sie nicht mehr konnte. Was denken Sie sich denn nur dabei, daß Sie es ihr jetzt noch schwerer machen? Hier gibt es keine Gefahr. Wenn hier etwas sein dummes Gesicht hereinsteckt, dann drehe ich ihm den Hals um und frage hinterher die Polizei um Erlaubnis.«

»Ich bitte um Verzeihung«, sagte Dr. Fell nur. Einen Moment lang stand er da, zu seiner gewaltigen Größe aufgerichtet, und sah sie mit müden, freundlichen, leicht besorgten Augen an. Dann nahm er seinen Umhang, den Schlapphut und den Krückstock von dem Stuhl, auf dem er sie abgelegt hatte.

»Gute Nacht, Sir«, sagte Elliot. »Wenn ich die Lage des Landes richtig im Kopf habe, können wir den Pfad vom Garten nach links nehmen, und auf der anderen Seite des Waldes liegt Farnleigh Close. Ist das richtig?«

»Ja.«

»Nun, dann – tja – gute Nacht. Noch einmal danke für alles, Miss Dane. Es war ein sehr schöner und aufschlußreicher Abend. Und Sie, Mr. Page, Sie halten die Augen offen.«

»Das werde ich. Und nehmen Sie sich im Wald vor Kobolden in acht«, rief Page ihnen noch nach.

Er blieb in der Terrassentür stehen, bis sie zwischen den Lorbeerbüschen verschwunden waren. Es war ein warmer Abend, und der Garten strömte einen Duft aus, der ihn nervös machte. Im Osten gingen vor dem zusehends dunkler werdenden Himmel die Sterne auf, doch sie funkelten nur schwach, als flimmerte die aufsteigende Hitze davor. All das machte Page nur um so gereizter.

»Ein Haufen Waschweiber«, knurrte er. »Versuchen uns …«

Er drehte sich um und sah den Anflug von Lächeln auf Madelines Gesicht. Sie war wieder ruhig, wenn auch noch verlegen.

»Es tut mir leid, daß ich mich so zum Narren mache, Brian«, sagte sie sanft. »Ich weiß, daß es nichts gibt, wovor ich mich fürchten müßte.« Sie erhob sich. »Kannst du mich für einen Augenblick entschuldigen? Ich möchte nach oben gehen und mir die Nase pudern. Bin gleich wieder da.«

»Ein Haufen Waschweiber. Versuchen uns …«

Er war allein. Nachdenklich zündete er sich eine Zigarette an. Es dauerte nicht lange, bis ihm wieder besser zumute war, und binnen kurzem lachte er über seinen eigenen Ärger. Im Gegenteil, er konnte sich kaum etwas Schöneres vorstellen als einen Abend mit Madeline allein. Eine braune Motte kam durchs Fenster und flatterte in einem großen Bogen auf eine der Kerzen zu; er scheuchte sie hinaus und ging ihr aus dem Weg, als sie zu nahe an seinem Gesicht vorüberkam.

Der kleine Flecken Kerzenlicht hatte etwas sehr Freundliches und Beruhigendes, aber vielleicht war es doch besser, wenn es heller war. Er ging zum Lichtschalter. Die gedämpften Wandlampen brachten das Elegante des Raumes und das Muster der Chintzstoffe noch mehr zur Geltung. Es war seltsam, dachte er, wie klar und deutlich das Ticken einer Uhr sein konnte. Es waren zwei Uhren im Zimmer, und sie wetteiferten nicht miteinander, sondern jede füllte die Pausen, die die andere ließ, und der gemeinsame Laut war eine Art eiliges Rascheln. Eine war mit einem Pendel versehen, dessen Hin und Her den Blick des Betrachters auf sich zog.

Er ging zurück an den Tisch und goß sich von dem fast kalten Kaffee nach. Das Pochen seiner eigenen Schritte auf dem Fußboden, das Rasseln der Tasse in der Untertasse, das Klicken, als die Porzellantülle der Kaffeekanne den Rand der Tasse traf: All das waren Laute, die er ebenso klar und deutlich wahrnahm wie das Ticken der Uhren. Zum erstenmal wurde ihm klar, daß auch Leere etwas war, dessen Anwesenheit man spüren konnte. Dieser Raum ist absolut leer, dachte er – ich bin allein – aber was macht das schon?

Die Klarheit des Lichts betonte die Leere noch. Ein Thema verbannte er aus seinen Gedanken, auch wenn er an jenem Nachmittag ein gewisses Geheimnis erraten und ein Buch in seiner Bibliothek ihm bestätigt hatte, daß er recht hatte. Ein wenig Aufmunterung war angebracht – für Madeline natürlich. Dieses Haus mochte noch so hübsch sein, aber es stand zu einsam. Rundum erstreckte sich eine Mauer aus Dunkelheit, die eine halbe Meile weit reichte.

Madeline brauchte recht lange, um sich die Nase zu pudern. Wieder kam eine Motte durch das offene Fenster geflattert und landete auf dem Tisch. Vorhänge und Kerzenflammen flackerten ein wenig. Es war wohl besser, die Fenster zu schließen. Er durchquerte den hell erleuchteten Raum und trat noch einmal durch eine der verglasten Türen in den Garten hinaus, und dann stand er plötzlich mäuschenstill.

Im Garten, gerade außerhalb des erleuchteten Rechtecks, das die Lichter von drinnen durch die Fenster warfen, wartete der Automat von Farnleigh Close.

Kapitel 17

Vielleicht acht Sekunden lang stand er nur da und sah ihn an, so reglos wie der Automat selbst.

Das Licht, das durch die Fenster kam, war leicht gelblich. Es leuchtete drei oder vier Meter hinaus auf den Rasen, gerade bis an den einst lackierten Sockel der Figur. Größere Risse denn je klafften auf ihrem wächsernen Gesicht; nach ihrem Treppensturz saß sie nun ein wenig schief auf dem Sofa, und die Hälfte der Uhrwerke aus ihrem Inneren war fort. Jemand hatte versucht, das zerschlissene Kleid über die beschädigten Stellen zu ziehen. Alt und schrundig und halb blind funkelte sie ihn aus dem Schatten der Lorbeerbüsche böse an.

Zu seinem nächsten Schritt mußte er sich zwingen. Vorsichtig ging er zu der Figur hinüber, auch wenn er sich weiter vom Licht entfernte, als vernünftig war. Sie schien allein; jedenfalls kam es ihm so vor. Die Räder waren, wie ihm auffiel, repariert. Doch der Boden war so ausgedörrt von der langen Julidürre, daß sie kaum Rillen im Gras hinterlassen hatten, und nicht weit zur Rechten kam ein Kiesweg, auf dem sich jede Spur verlieren würde.

Eilig kehrte er ins Haus zurück, denn er hörte Madeline die Treppe herunterkommen.

Mit aller Sorgfalt verschloß er die Glastüren, eine nach der anderen. Dann ergriff er den schweren Eichentisch und trug ihn in die Mitte des Raumes. Zwei der Kerzenhalter kamen ins Schwingen. Als Madeline in der Tür erschien, sah sie, wie er den Tisch absetzte und sie beide auffing.

»Die Motten kommen herein«, erklärte er.

»Aber wird das nicht furchtbar stickig hier drin? Sollten wir nicht wenigstens eines …«

»Ich mache das schon.« Er öffnete die mittlere der Glastüren einen Spaltbreit.

»Brian! Ist etwas nicht in Ordnung?«

Wieder kam ihm in aller Klarheit das Ticken der Uhren zu Bewußtsein; doch am meisten spürte er nun die Gegenwart Madelines, die unwillkürliche Bitte, sie zu beschützen. Wenn Menschen nicht wohl in ihrer Haut ist, äußert sich das oft auf die seltsamste Art. Nun kam sie ihm nicht mehr so kühl und unnahbar vor. Ihre Aura – es gab kein anderes Wort dafür – erfüllte den ganzen Raum.