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Noch immer ließ er den Butler nicht aus dem Blick.

»Ich darf wohl sagen«, fuhr er in aller Ruhe fort, »daß manche glaubten, Sie hätten gelogen. Ich hingegen wußte, daß Sie nicht gelogen hatten. Sie sagten, Sir John Farnleigh habe sich selbst das Leben genommen. Als Beweis führten Sie an – es war etwas, an das Sie sich in Ihrem Unbewußten erinnerten –, daß Sie sahen, wie er das Messer von sich warf. Sie sagen, Sie hätten das Messer in der Luft gesehen.

Ich wußte, daß Sie nicht logen, denn an genau derselben Stelle hatten Sie auch am Vortag schon Ihre Schwierigkeiten gehabt, als Sie mit Inspektor Elliot und mir darüber sprachen. Sie hatten gezögert. Sie hatten versucht, etwas zu fassen, woran Sie sich nur noch dunkel erinnerten. Als Elliot es genauer wissen wollte, wurden Sie unsicher. ›Das käme darauf an, wie groß das Messer war‹, sagten Sie. ›Und es gibt Fledermäuse in dem Garten. Und manchmal erkennt man einen Tennisball erst, wenn er …‹ Auf die Formulierung kommt es an. Wenn wir das, was Sie wirklich gesagt haben, mit anderen Worten ausdrücken, heißt es: Etwa zur Tatzeit sahen Sie etwas durch die Luft fliegen. Was Sie in Ihrem Unbewußten verwirrte, das war, daß Sie es unmittelbar vor dem Mord sahen und nicht danach.«

Er breitete die Hände aus.

»Eine kapitale Fledermaus!« rief Burrows mit schrillem Sarkasmus. »Ein noch kapitalerer Tennisball!«

»Etwas wie ein Tennisball«, stimmte Dr. Fell mit ernster Miene zu. »Nur kleiner natürlich. Viel kleiner. Darauf kommen wir noch zurück. Lassen Sie uns nun überlegen, welcher Art die Wunden waren. Wir haben mancherlei Kommentar zu diesen Wunden gehört, durchweg ebenso ratlos wie mitfühlend. Mr. Murray hier fand, Sie seien wie die Wunden von Reißzähnen oder Krallen; für seine Begriffe konnten sie nicht von dem blutverschmierten Taschenmesser stammen, das sich in der Hecke fand. Selbst Patrick Gore, wenn Sie mir seine Reaktion korrekt beschrieben haben, war dieser Ansicht. Was sagte er? ›So etwas habe ich nicht mehr gesehen, seit ein Leopard Barney Poole zerfetzte, den besten Dompteur westlich des Mississippi.‹

Auch an anderer Stelle unserer Ermittlungen begegnet uns dies Krallenmotiv. Bemerkenswert vorsichtig und auffällig suggestiv finden wir es in Dr. Kings medizinischem Gutachten bei der Verhandlung. Ich habe es mir aufgeschrieben. Ahemm! Hah! Lassen Sie mich sehen:

›Ich fand drei nicht allzu tiefe Wunden‹, sagt der Arzt.« Hier sah Dr. Fell auf und betrachtete seine Zuhörerschaft mit strengem Blick. »›Drei nicht allzu tiefe Wunden, beginnend auf der linken Seite der Kehle und endend unter dem rechten Kieferknochen. Sie verliefen in einer leichten Aufwärtsbewegung, zwei davon kreuzten einander.‹ Und gleich darauf und noch entlarvender: ›Das Gewebe zeigte starke Risse.‹

So, so, starke Risse. Das wäre doch wirklich seltsam, wäre die Tatwaffe das außerordentlich scharfe (wenn auch schartige) Messer gewesen, das Inspektor Elliot Ihnen hier zeigt. Diese Risse am Hals, die lassen eher an eine Waffe denken, die …

Nun, lassen Sie uns überlegen. Lassen Sie uns noch einmal zu dem Krallenmotiv zurückkehren und darüber nachdenken. Was ist das Typische an Wunden, die durch Krallen verursacht werden, und lassen sich diese typischen Merkmale an den Wunden finden, die zum Tod von Sir John Farnleigh führten? Das Typische an Krallenspuren ist dies:

1. Sie sind nicht tief.

2. Sie werden durch scharfe Spitzen verursacht, die reißen, kratzen und zerren, aber nicht schneiden.

3. Sie entstehen nicht nacheinander, sondern alle zur gleichen Zeit.

Alle drei Punkte treffen auf die Wunden, die wir an Farnleighs Hals fanden, zu. Lassen Sie mich Ihre Aufmerksamkeit auf die recht merkwürdige Aussage lenken, die Dr. King bei der gerichtlichen Untersuchung zu Protokoll gab. Er hat nicht wirklich gelogen, doch offensichtlich setzt er alles daran und redet wie ein Wasserfall, daß Farnleighs Tod als Selbstmord dastehen soll! Warum? Weil er genau wie Knowles in Molly Farnleigh das gehätschelte Kind sieht, die Tochter seines ältesten Freundes, die ihn ›Onkel Ned‹ nennt – und deren Charaktereigenschaften er vermutlich kennt. Doch anders als Knowles deckt er sie; er tut alles, damit sie nicht am Ende am Galgen baumelt.«

Knowles breitete die Hände in einer flehenden Geste; der Schweiß stand ihm auf der Stirn, doch noch immer sprach er nicht.

Dr. Fell fuhr fort.

»Die Grundidee zu unserer Lösung des Falles gab uns schon vor einer ganzen Weile Mr. Murray ein, als er davon sprach, daß etwas durch die Luft geflogen sei, und die entscheidende Frage stellte, warum der Täter das Messer nicht in den Teich geworfen hatte, wenn es die echte Tatwaffe war. Und was fanden wir nun? Wir stellten fest, daß Farnleigh in dem Dämmerlicht von etwas getroffen wurde, das auf ihn zugeflogen kam; etwas, das kleiner war als ein Tennisball. Es muß etwas gewesen sein, was mit Krallen oder Spitzen versehen war und Wunden hinterließ, die aussahen wie Krallenspuren …«

Nathaniel Burrows kicherte leise.

»Die wundersamen fliegenden Krallen«, spottete er. »Wirklich, Doktor! Und nun werden Sie uns erklären, was diese fliegenden Krallen waren?«

»Besser noch«, sagte Dr. Fell. »Ich zeige sie Ihnen. Sie haben sie gestern selbst gesehen.«

Aus seiner geräumigen Jackentasche zog er etwas hervor, das in ein großes rotgemustertes Taschentuch gewickelt war. Er packte es aus, vorsichtig, damit die rasiermesserscharfen Spitzen nicht in dem Tuch hängenblieben, und zeigte ein Objekt, das Page mit einem Schock wiedererkannte, auch wenn er noch nicht wußte, was es damit auf sich hatte. Es war eines der Stücke, die Dr. Fell in der hölzernen Schachtel oben im Bücherkabinett gefunden hatte. Es war (um es genauer zu beschreiben) eine kleine, doch schwere Bleikugel, in die auf einer Seite in gleichmäßigen Abständen vier sehr große Haken eingelassen waren, in der Art jener Haken, mit denen man nach mörderischen Tiefseefischen fischt.

»Haben Sie sich gewundert, wozu dieser merkwürdige Gegenstand wohl dasein mag?« fragte der Doktor freundlich. »Haben Sie überlegt, ob es irgendwo einen Menschen gibt, der damit etwas anfangen kann? Aber unter den Zigeunern Mitteleuropas – Zigeuner, wohlgemerkt – ist es eine wirksame und gefährliche Waffe. Können Sie mir Großens Kriminalistik reichen, Inspektor?«

Elliot öffnete seinen Aktenkoffer und nahm ein flaches, großformatiges Buch mit grauem Umschlag heraus.

»Hier«, sagte Dr. Fell und schlug den Band auf, »haben wir das umfassendste Lehrbuch der Kriminalistik, das je geschrieben wurde. * [* Criminal Investigation: A Practical Textbook for Magistrates, Police Officers, and Lawyers, Adapted from the System der Kriminalistik of Dr. Hans Groß, Professor of Criminology in the University of Prague, by John Adam, M. A., Barrister-at-Law, and j. Collyer Adam, Barrister-at-Law; edited Betty Norman Kendal, Assistant Commissioner, Criminal Investigation Dept., Metropolitan Police. (London, Sweet & Maxwell, 1934.)] Ich habe es gestern abend noch aus London kommen lassen, um darin nachzuschlagen. Sie finden eine ausführliche Beschreibung dieser Bleikugel auf den Seiten 249/50.

Die Zigeuner benutzen sie als Wurfgeschoß, und diese Kugel steckt auch hinter manchen ihrer geheimnisvollen, geradezu übernatürlichen Diebereien. Am anderen Ende der Kugel wird eine leichte, doch sehr kräftige Angelschnur befestigt. Die Kugel wird ausgeworfen, und in welchem Winkel sie das angepeilte Objekt auch trifft – einer der Haken wird immer fassen, wie ein Schiffsanker. Das Blei sorgt für das notwendige Gewicht zum Auswerfen, und mit der Leine läßt sich die Kugel samt Beute zurückholen. Ich lese Ihnen einmal vor, was Groß darüber sagt: