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»Ich habe darüber nachgedacht«, sagte Welkyn.

»Und?«

»Ich – ähm –« Er hielt inne. »Ich möchte Sie bitten, in Gedanken noch einmal zum gestrigen Tag zurückzukehren, meine Herren. Sie gingen gemeinschaftlich hinauf auf den Dachboden und studierten, wie ich höre, gewisse kuriose Artikel, die Sie dort fanden. Leider begleitete ich Sie nicht nach oben. Ich sah diese Artikel erst heute, als Dr. Fell mich auf sie aufmerksam machte. Ich – ähm – beziehe mich auf die schwarze janusgesichtige Maske, die Sie offenbar dort in einer Holzkiste fanden.« Wiederum räusperte er sich.

»Das ist eine Verschwörung«, schrie Burrows und blickte gehetzt nach links und rechts wie ein Mann, der nicht weiß, wie er über eine belebte Straße kommen soll. »Damit kommen Sie nicht durch. Diese Sache ist ein Komplott, und Sie haben sich alle miteinander verschworen …«

»Würden Sie bitte die Güte haben, Sir, und mich zu Ende sprechen lassen«, erwiderte Welkyn streng. »Ich habe zu Protokoll gegeben, daß ich ein Gesicht sah, das mich durch die untere Scheibe der verglasten Tür ansah. Ich weiß jetzt, was es war. Es war die Janusmaske. Ich erkannte sie sofort wieder, als ich sie sah. Ich bin, einer Anregung Dr. Fells folgend, zu dem Schluß gekommen, daß die unglückselige Lady Farnleigh, um mir die Gegenwart einer Person im Garten zu suggerieren, lediglich diese Maske an einem zweiten Stück Angelschnur hinunterließ und sie aus Versehen ein wenig zu tief hielt, so daß …«

Da fand Knowles endlich seine Sprache wieder.

Er kam an den Tisch und hielt sich daran fest. Die Tränen liefen ihm über die Wangen, und zunächst brachte er vor Schluchzen nur unzusammenhängende Laute heraus. Als dann die Worte kamen, schockierten sie seine Zuhörer, als hätte ein Möbelstück zu sprechen begonnen.

»Das ist eine hundsgemeine Lüge«, schluchzte Knowles.

Es war mitleiderregend, wie der verstörte alte Mann mit der Faust auf den Tisch schlug.

»Mr. Burrows hat ganz recht. Lügen und Lügen und nichts als Lügen. Und alle stecken unter einer Decke.« Seine Stimme wurde schrill und bebte vor Empörung, und er hämmerte wie wild auf den Tisch. »Sie haben sich alle gegen sie gestellt, alle zusammen. Sie lassen ihr nicht die kleinste Chance. Was ist denn schon dabei, wenn sie ein bißchen über die Stränge geschlagen hat? Was ist denn dabei, wenn sie die Bücher gelesen hat und sich vielleicht mit einem Burschen oder zweien eingelassen? Was ist denn der Unterschied zu den Spielen, die sie schon als Kinder gespielt haben? Das sind doch alles große Kinder. Sie wollte niemandem etwas zuleide tun. Das hat sie nie gewollt. Und Sie werden sie nicht hängen. Bei Gott, das werden Sie nicht. Keiner tut meiner jungen Lady etwas zuleide, dafür sorge ich.«

Er hob den zitternden Zeigefinger.

»Ich sorge dafür, daß Sie nicht durchkommen mit Ihren Hirngespinsten und Phantastereien. Sie hat diesen armseligen Bettler nicht umgebracht, der herkam und Master Johnny sein wollte. Master Johnny, daß ich nicht lache! Der Bettler ein Farnleigh? Der Bettler? Der hat bekommen, was er verdiente, und es tut mir nur leid, daß man ihm nicht noch einmal die Kehle durchschneiden kann. Aus dem Schweinestall kam der Kerl, da kam er her. Aber was kümmert mich der. Sie rühren mir meine junge Lady nicht an, das können Sie mir glauben. Sie hat ihn nicht umgebracht, nie im Leben hat sie ihn umgebracht, und das kann ich beweisen.«

In dem vollkommenen Schweigen, das darauf eintrat, hörten sie das Tocken von Dr. Fells Stock auf dem Fußboden, seinen schnaufenden Atem, als er hinüber zu Knowles ging und ihm die Hand auf die Schulter legte.

»Ich weiß, daß sie es nicht war«, sagte er sanft.

Knowles starrte ihn mit großen Augen an.

»Soll das heißen«, rief Burrows, »Sie haben hier gesessen und uns dieses Märchen aufgetischt, nur um …«

»Glauben Sie etwa, mir macht das Spaß?« entgegnete Dr. Fell. »Glauben Sie, ich habe auch nur ein einziges Wort gern gesagt oder einen der Schritte, die ich tun mußte, gern getan? Alles, was ich Ihnen über diese Frau und ihren Hexenkult und ihr Verhältnis zu Farnleigh gesagt habe, ist die Wahrheit. Alles. Die Idee zum Mord und der Plan stammen von ihr. Der einzige Unterschied ist, daß sie nicht selbst das Messer führte. Sie war es nicht, die den Automaten wiederbelebte, und sie war es auch nicht, die Sie im Garten sahen. Allerdings« – die Hand auf Knowles’ Schulter faßte kräftiger zu – »wissen Sie ja, wie es bei Gericht zugeht. Sie wissen, wie es ist, wenn die Mühlen der Justiz erst einmal in Gang kommen und wie leicht sie einen Menschen zermalmen können. Und in Gang gesetzt habe ich sie nun. Lady Farnleigh wird am höchsten Galgen baumeln, wenn Sie uns nicht die Wahrheit sagen. Wissen Sie, wer den Mord begangen hat?«

»Natürlich weiß ich das«, knurrte Knowles. »Ha!«

»Und wer war der Mörder?«

»Das ist doch nicht schwer«, schnaubte Knowles. »Und der erbärmliche Bettler hat nur bekommen, was er verdiente. Der Mörder war …«

VIERTER TEIL

Samstag, 8. August

Eines jedoch konnte Flambeau, so geschickt er mit seinen Verkleidungen auch war, nicht verbergen, und das war seine auffällige Größe. Hätte Valentin mit seinen Adleraugen eine groß gewachsene Marktfrau entdeckt, einen hoch aufgeschossenen Grenadier oder auch nur eine halbwegs stattliche Herzogin, so hätte er sie wohl auf der Stelle verhaftet. Doch im ganzen Zug gab es niemanden, der Flambeau in Verkleidung sein konnte, so wenig wie ein Kater eine verkleidete Giraffe sein kann.

G. K. CHESTERTON, Das blaue Kreuz.

Kapitel 21

Ein Brief von Patrick Gore (geborener John Farnleigh) an Dr. Gideon Fell

Eines schönen Tages

auf See.

MEIN LIEBER DOKTOR!

Jawohl, ich war’s. Ich allein habe den Hochstapler umgebracht, ich allein habe all jene Geister beschworen, die Sie offenbar in Sorge versetzt haben.

Ich schreibe Ihnen diesen Brief aus einer Reihe von Gründen. Zunächst: Ich habe (so unvernünftig das auch ist) eine echte Zuneigung zu Ihnen gefaßt und achte Sie sehr. Zum zweiten: Sie haben sich selbst übertroffen. Die Art, wie Sie meinen Rückzug und meine Flucht erzwungen haben, Schritt für Schritt durch jedes Zimmer, zu jeder Tür und schließlich sogar zum Hause hinaus, weckt in einem solchen Maße meine Bewunderung, daß ich mir Auskunft darüber wünschen würde, ob ich Ihren Schlußfolgerungen korrekt gefolgt bin. Ich mache Ihnen das Kompliment, daß Sie der einzige Mensch sind, der mir je geistig überlegen war; allerdings habe ich mich noch nie besonders gut gegen Schulmeister geschlagen. Und zum dritten: Ich glaube, ich habe die eine, einzige wirklich vollkommene Verkleidung gefunden, die es gibt, und nun, wo ich sie nicht mehr brauche, möchte ich ein wenig damit prahlen.

Ich erwarte, daß Sie mir antworten. Bis dieser Brief Sie erreicht, werden ich und meine geliebte Molly schon in einem Land angelangt sein, das keinen Auslieferungsvertrag mit Großbritannien hat. Es ist ein recht heißes Land, und da trifft es sich gut, daß Molly und ich beide eine Schwäche für heiße Gegenden haben. Sobald wir es uns in unserem neuen Heim gemütlich gemacht haben, lasse ich Sie die Adresse wissen.

Eine Bitte hätte ich an Sie. In der Flut empörter Kommentare, die auf unsere Flucht folgen wird, werde ich gewiß von Zeitungen, Gerichten und überhaupt allem, was den Menschen die Augen verdreht, als Teufel, Monstrum, Werwolf und so weiter hingestellt. Sie wissen genau, daß ich nichts dergleichen bin. Mir macht das Morden keine Freude, und wenn ich beim Gedanken an den Tod jenes Dreckskerls keine Reue empfinde, dann hoffentlich deswegen, weil ich kein Heuchler bin. Es gibt Menschen, die haben eine bestimmte Wesensart, so wie Molly und ich. Wenn wir mit unserer Wissenschaft und unseren Tagträumen ein wenig mehr Spannung in die Welt bringen, dann sollte das doch für jene, die in Vorstadthäusern leben, ein Zeichen sein, daß es auch noch etwas Besseres für sie gibt. Wenn Sie also zu hören bekommen, wie jemand über diesen Satan und seine Teufelsbraut herzieht, seien Sie so nett und sagen Sie dem Betreffenden, daß Sie Tee mit beiden von uns getrunken haben und Ihnen keine Hörner und kein Schwefelgeruch aufgefallen sind.