Molly und ich haben die ganze Sache natürlich geplant. (Fanden Sie nicht auch, daß unsere Feindseligkeit vor den anderen fast ein wenig zu dick aufgetragen war? Daß sie mich gar zu schnell beschimpfte und ich sie mit gar zu frechen Bemerkungen herausforderte?)
Das Ironische daran war, daß ich ja tatsächlich der echte Erbe war und daß uns doch nichts anderes übrigblieb, als zu tun, was wir getan haben. Dieser Gauner war ihr bei dem, was Sie ihren heimlichen Hexenkult nennen, auf die Schliche gekommen; er nutzte sein Wissen als einfaches, doch wirksames Mittel der Erpressung, um an dem Besitz festzuhalten; und wenn sie ihn entlarvte, dann würde er seinerseits sie entlarven. Wenn ich den Besitz zurückerhalten wollte – dazu war ich entschlossen – und wenn ich Molly zurückhaben und hochoffiziell heiraten wollte, so daß wir ohne jede Heimlichtuerei nur unserer gemeinsamen Leidenschaft leben konnten – und auch dazu war ich entschlossen –, dann mußte ich ihn töten, und ich mußte es einrichten, daß es aussah, als habe er es selbst getan.
So kam es also. Molly brachte den Mord nicht über sich – ich hingegen bringe alles über mich, wenn ich mich nur gut genug darauf konzentriere. Ich sage kein Wort davon, daß ich ihm ja auch noch etwas zurückzuzahlen hatte – und als ich sah, was aus dem frommen Knaben geworden war, da wußte ich, was einen Puritaner ausmacht und warum man sie vom Antlitz der Erde getilgt hat.
Die Tat war für den Abend angesetzt, an dem sie auch geschah – genauer konnte ich nicht planen. Es konnte nicht vorher sein, denn ich wollte mich nicht vor der Zeit im Herrenhaus zeigen – das wäre ein vermeidbares Risiko gewesen –, und man konnte ja kaum erwarten, daß der Bursche sich umbrachte, bevor er überhaupt erfahren hatte, wie erdrückend die Last der Beweise gegen ihn war. Welch wunderbare Gelegenheit sich für mich ergab, als wir auf das Urteil zu den Fingerabdrücken warteten und er hinaus in den Garten spazierte, brauche ich Ihnen nicht zu sagen.
Nun wird es Zeit für ein Kompliment an Sie, mein Freund. Sie nahmen es auf sich, ein unmögliches Verbrechen aufzuklären, und damit Sie Knowles zum Reden brachten, zimmerten Sie aus Träumen und Phantasiegebilden und Spekulation ein Gebäude zurecht, dessen Logik so zwingend war, daß Sie damit das Unerklärliche erklärten. Unter dem rein künstlerischen Aspekt freut mich das; ohne Ihre Arbeit wären die Zuhörer um das Beste an diesem Fall betrogen worden.
Tatsache ist jedoch – und das wissen Sie sehr gut –, daß es nie ein unmögliches Verbrechen gegeben hat.
Ich ging einfach zu dem Burschen hin, zerrte ihn zu Boden und tötete ihn am Teich mit dem Taschenmesser, das Sie später in der Hecke fanden – das ist alles.
Knowles, ob es nun Glück war oder Pech, sah alles vom Fenster des Grünen Zimmers mit an. Aber selbst da wären wir noch, hätte ich nicht alles mit meinem einen großen Fehler verdorben, in Sicherheit gewesen, gleich doppelt sicher sogar. Knowles schwor nicht nur aller Welt, daß es Selbstmord gewesen war; nein, er verschaffte mir sogar zu meiner nicht unbeträchtlichen Verblüffung ungefragt ein Alibi. Denn von Anfang an hatte er, wie Sie erfahren haben, dem verstorbenen Herrn mißtraut und eine Abneigung gegen ihn gehegt; er hatte nie wirklich geglaubt, daß dieser Mann ein Farnleigh war, und er wäre lieber an den Galgen gegangen, als daß er verraten hätte, daß der echte John Farnleigh den falschen, der ihn um sein Erbe gebracht hatte, getötet hatte.
Als ich den Burschen umbrachte, hatte ich natürlich meine Beine abgeschnallt. Das war nur vernünftig, denn wirklich schnell und bequem kann ich mich nur auf meinen Lederflicken bewegen, und mit den Beinprothesen hätte ich mich nicht so weit ducken können, daß mich hinter den taillenhohen Hecken keiner sah. Die Hecken boten mir einen wunderbaren Schutz und, sollte es notwendig werden, eine Vielzahl von Fluchtwegen. Für den Fall, daß mich doch jemand sah, hatte ich mir die sinistre Janusmaske vom Dachboden unter die Jacke gesteckt.
Ich näherte mich ihm von der Nordseite des Hauses, das heißt aus der Richtung des neuen Flügels. Ich könnte mir vorstellen, daß ihm die Haare zu Berge standen, als er mich sah. Der Gauner war so vor Schrecken starr, daß ich ihn schon nach unten gezogen hatte, bevor er sich rühren oder auch nur einen Laut von sich geben konnte. Die Kraft, die sich in all den Jahren in meinen Schultern und Armen entwickelt hat, Doktor, ist beträchtlich.
Später machte mir gerade in diesem Punkt – dem eigentlichen Angriff – die Aussage von Nathaniel Burrows einige Sorgen. Burrows stand an der Terrassentür, an die zehn Meter entfernt, und wie er selbst sagt, sieht er im Halbdunkel nicht gut. Er sah merkwürdige Geschehnisse, auf die er sich keinen Reim machen konnte. Er konnte mich nicht sehen, denn die Hecken standen dazwischen, doch das Verhalten des Opfers erschreckte ihn. Lesen Sie noch einmal in seiner Aussage nach, dann wissen Sie, was ich meine. Sie schließt mit den Sätzen: »Ich wüßte nicht, wie ich die Bewegung beschreiben sollte, die er machte. Es war, als hätte ihn etwas an den Füßen gepackt.«
Und genauso war es.
Doch diese Gefahr war kaum der Rede wert im Vergleich zu dem, was Welkyn ein paar Sekunden nach dem Mord beinahe vom Eßzimmerfenster aus gesehen hätte. Zweifellos wird Ihnen schon aufgegangen sein, daß das, was Welkyn durch eine der unteren Scheiben der Terrassentür sah, niemand anderes als der Unterzeichnete war. Es war leichtsinnig von mir, mich jemandem auch nur einen flüchtigen Augenblick lang zu zeigen, doch in dem Moment war ich (wie Sie noch hören werden) zu beschäftigt damit, daß mir mein Plan mißlungen war; zum Glück hatte ich die Maske umgebunden.
Daß er mich zu sehen bekam, war nicht so gefährlich wie die Deutung einer bestimmten Wendung – einer Impression –, die sich am folgenden Tag ergab, als dieser Vorfall besprochen wurde. Der Übeltäter war mein alter Lehrer Murray, stets ein zungenfertiger Mann. In Welkyns Beschreibung spürte Murray ein Echo dessen, was dieser (unsicher und ungeschickt) zum Ausdruck zu bringen suchte. Und Murray sagte zu mir: »Und nun, wo Sie zurückkehren, begrüßt Sie ein beinloses Etwas, das durch den Garten gekrochen kommt …«
Das war nun wirklich eine Katastrophe. Es war das eine, was niemand vermuten, der eine Gedanke, auf den niemand kommen durfte. Ich spürte, wie mein Gesicht sich zusammenzog, ich weiß, daß mir das Blut aus dem Gesicht wich, als hätte jemand den Stopfen herausgezogen, und ich sah, daß Sie mich ansahen. Ich war so dumm und habe den armen alten Murray angefahren und beschimpft, und alle müssen sich gefragt haben, warum – alle außer Ihnen.
Allerdings war ich zu jenem Zeitpunkt ohnehin schon zu dem Schluß gekommen, daß es um mich geschehen war. Ich habe von dem schweren Fehler gesprochen, den ich gleich zu Anfang gemacht habe und der alles verdarb, was ich mir zurechtgelegt hatte. Und der Fehler war der:
Ich hatte das falsche Messer genommen.
Es hätte ein gewöhnliches Taschenmesser sein sollen, das ich eigens für diesen Zweck besorgt hatte. (Dieses Messer habe ich Ihnen am folgenden Tag gezeigt und Ihnen weismachen wollen, es sei mein eigenes.) Ich wollte es ihm in die Hand drücken und es dann am Teich liegenlassen, und damit wäre das Bild des Selbstmordes komplett gewesen.
Doch als ich schon zustach und es zu spät war, noch etwas zu tun, da sah ich, daß ich in der Hand mein eigenes Messer hatte – das Messer, das ich besessen habe, seit ich ein Junge war – das Messer, das tausend Leute in Amerika bei mir gesehen haben, mit Madeline Danes Namen in die Klinge geritzt. Sie erinnern sich, daß Sie trotz größter Anstrengungen keine Erklärung dafür fanden, wie der falsche Farnleigh an dieses Messer gelangt war. Wie es zu mir kam, darauf wären Sie schnell genug gekommen.