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Ihr ergebener

JOHN FARNLEIGH (weiland Patrick Gore).

Nachwort

Unter den fünf oder sechs besten und berühmtesten Schriftstellern des von Kennern und Liebhabern schwärmerisch verehrten Goldenen Zeitalters des Detektivromans in den dreißiger und vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war John Dickson Carr (1906 – 1977) der Spezialist für unmögliche Morde – sein Lieblingstatort war der ›hermetisch verschlossene Raum‹, den niemand hatte betreten oder verlassen können und in dem dennoch jemand ermordet wurde. Hinzu kamen generell schaurige Settings wie etwa ein aufgegebenes Gefängnis im Moor mit integriertem Galgen (»Tod im Hexenwinkel«), der Londoner Tower (»Der Tote im Tower«), eine einsame Burg in Schottland (»Die schottische Selbstmordserie) oder eine Ruine am Rhein (»Die Schädelburg«), waren seine Lieblingsbücher doch dieselben, die er vom angeblichen Lord Farnleigh im vorliegenden Buch aufzählen läßt: alles von Sherlock Holmes, alles von Edgar Allan Poe, Ausgewähltes von Dickens, Stevenson und Alexandre Dumas père sowie alle Bücher über Gespenster, Morde, Piraten und Burgruinen.

Auch in »Die Tür im Schott« (im englischen Original »The Crooked Hinge«, eigentlich »Die verbogene Türangel«) bleibt er seinen Vorlieben treu. Gewidmet hat er das 1938 erschienene Werk seiner Kollegin Dorothy L. Sayers, die 1936 die Patin bei der Aufnahme des gebürtigen Amerikaners und Wahlbriten in den renommierten »Detection Club« der britischen Krimi-Autoren gewesen war. Gleich drei Themen der Abenteuer- und Schauerliteratur sind es, die Carr in seinen Roman verwebt: der verschollene Erbe, Hexen und Satanskult und die im späten 17. und im 18. Jahrhundert so beliebten Maschinenmenschen, deren berühmtestem Poe seinen Essay »Maelzels Schachspieler« gewidmet hat.

Fast jedes Land hat irgendwann in seiner Geschichte eine cause célèbre um einen Unbekannten, der vorgibt, der rechtmäßige Thronerbe zu sein – Brandenburgs Woldemar, Rußlands Demetrius, der Deutsche, der behauptete, Ludwig XVII. zu sein, die ›Zarentochter Anastasia‹ im vorigen Jahrhundert sind nur die berühmtesten Fälle. Natürlich gibt es solche Prätendenten auch im Landadel; der bekannteste Fall wird im Buch selbst erwähnt: 1867 erregte ein Mann das Interesse der britischen Öffentlichkeit, der vorgab, der angeblich 1854 bei einem Schiffsunglück umgekommene Erbe des Titels und des Vermögens eines Barons Tichborne zu sein. Obgleich die Mutter des Barons ihn als ihren Sohn Roger Charles anerkannte, stand er nach jahrelangen Prozessen als Schwindler da und wurde zu vierzehn Jahren Gefängnis verurteilt.

›Markierte Intertextualität‹ nennt man heute das Verfahren, bei dem der Autor selbst sein Vorbild nennt, auf das er anspielt oder das er variiert, wie Carr es mit diesem Fall tut: Auch hier liegt der Frage nach der Legitimität des Erben ein Schiffsunglück zugrunde, aber diesmal das berühmteste eines ganzen Jahrhunderts, der Untergang der »Titanic« 1912, der den Zeitgenossen als Menetekel des neuen Titanentums eines technikgläubigen Zeitalters erschien. Zudem macht Carr glaubhaft, wieso es plötzlich zwei Männer gibt, die Anspruch auf den Titel »Sir John Farleigh« erheben. John, jüngerer Sohn und deshalb vom eigentlichen Erbe ausgeschlossen, galt schon in jungen Jahren als Tunichtgut und wurde schließlich als letzte Ausflucht von seinen Eltern zu einem Verwandten nach Amerika geschickt – auf der »Titanic«. Als rechter Taugenichts fand er natürlich die Passagiere auf dem Zwischendeck erheblich spannender als die der Ersten Klasse. Unter ihnen lernt er Patrick Gore, einen gleichaltrigen Jungen kennen, der drüben bei einem Zirkus sein Glück machen soll. Beide spielen mit dem Gedanken eines Identitätstausches, da beide in den USA niemand kennt – John entkäme der Langweile seines goldenen Käfigs und Patrick Gore gewänne die materielle Geborgenheit, nach der ihn verlangt. Während der Überfahrt bereiten sie den Tausch vor – strittig ist nur, ob er im Wirrwarr der Katastrophe tatsächlich auch vollzogen wurde. Jedenfalls ist der John Farleigh, der unter diesem Namen fast fünfundzwanzig Jahre in den USA gelebt hat, nach dem Tode seines älteren Bruders seit gut einem Jahr Sir John, als ein Prätendent auftaucht, der seinerseits Sir John Farleigh sein will und der den gegenwärtigen Inhaber des Titels schlicht als den wahren Patrick Gore bezeichnet. Da der falsche Erbe seinerzeit auf der »Titanic« tagelang vom echten gebrieft wurde und sogar dessen Tagebuch erhalten haben soll, führen die beliebten Fragetests nach intimen Details aus der Kindheit in diesem Fall nicht weiter. Aber das brauchen sie auch nicht, hat der damalige Hauslehrer Kennet Murray als begeisterter Hobby-Detektiv doch seinerzeit von jedem, der sich nicht wehrte, die soeben modern gewordenen Fingerabdrücke genommen, darunter auch vom echten kleinen John.

Doch bevor dieser unwiderlegbare Test überhaupt ausgewertet werden kann, stirbt der amtierende Sir John unter reichlich mysteriösen Umständen. Im Garten von Farnleigh Close befindet sich ein Heckenlabyrinth, das im Gegensatz zu seinem Vorbild in Hampton Court jedoch nur hüfthoch ist – wer sich in ihm verlaufen oder verbergen wollte, müßte kriechen. In dessen Mitte liegt ein großes Rondell mit einem kleinen Teich, den ein mindestens anderthalb Meter breiter Sandstreifen umgibt. Verschiedene Zeugen sehen, wie ›Sir John‹ sich an den Hals zu greifen scheint und unter wilden Bewegungen ins Wasser stürzt. Niemand wurde in seiner Nähe gesehen, und der Sand weist auch keine fremden Spuren auf. Hat ›Sir John‹ sich selbst mit einem schartigen Taschenmesser, das die Polizei in den Hecken findet, dreimal die Kehle durchschnitten? Wenn nicht, läge ein ›unmöglicher Mord‹ vor, wie Carr ihn liebt, da das offene, von vielen Zeugen eingesehene Rondell mit dem unberührten Sandboden eine Variante des verschlossenen Raumes darstellt (siehe dazu John Dickson Carr, »Der verschlossene Raum«).

Natürlich ist dies ein Fall für Dr. Fell, der jetzt hinzugezogen wird. Da er sich in »Der verschlossene Raum« fröhlich zu seiner eigenen Fiktionalität bekannt hat – schließlich seien ja alle Figuren in einem Detektivroman Figuren in einem Detektivroman, und der Leser wisse das – kann er sich jetzt beschweren, daß für einen Detektivroman der Falsche ermordet wurde: Eigentlich hätte der Hauslehrer mit der Fingerabdruckfibel das Opfer sein müssen, vielleicht noch der Prätendent – der aktuelle Inhaber der Baronie ergebe schlicht keinen Sinn.

Das ist nicht das letzte Paradox, das Dr. Fell getreu seinem Urbild Gilbert Keith Chesterton äußern wird: Auf dem Speicher des Herrenhauses gibt es nämlich eine stets verschlossene Kammer, eine Art begehbaren Bücherschranks. In ihr, in der Dienstboten und Nachbarn oft nachts Licht brennen sehen, befindet sich nicht nur eine erlesene Fachbibliothek zum Hexen- und Satanskult, sondern auch einer der legendären menschenähnlichen Automaten, den ein von jeder Form des Mirakulösen und Abseitigen faszinierter Ahn einst gekauft hat. Im heutigen Zustand mit vermodertem Kleid und halbzerstörtem, rissigem Wachsgesicht, aus dem nur noch ein Auge starrt, löst er noch Grauen aus, auch wenn angeblich das Geheimnis seiner Mechanik nie entschlüsselt wurde. Aber gerade in ihr soll das Geheimnis auch des aktuellen Mordes liegen, wie der – wie gesagt – Paradoxen zugetane Dr. Fell verkündet. Jedenfalls wird ein Dienstmädchen, das sich in den Raum mit Hexenbüchern und Puppe einschleicht, vor Schreck ohnmächtig.

John Dickson Carr hat in einem Essay das Schreiben von Detektivromanen als »Das großartigste Spiel in der Welt« bezeichnet, und der vorliegende Roman ist ein herausragendes Beispiel für das, was Carr »das fast geniale Raffinement« genannt hat, »das Legen der Fallen und der Falle hinter der Falle, mit der ein Autor Kapitel für Kapitel gegen einen scharfsinnigen Leser spielt«.