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Die Gesichter der Kriegerinnen waren hinter den heruntergeklappten Visieren ihrer Helme verborgen, so daß sie den Ausdruck darauf nicht erkennen konnte – aber Tally spürte die Nervosität der fünf Kriegerinnen. Mit einem leisen Gefühl der Beunruhigung kam ihr zu Bewußtsein, daß sie nicht irgendwer war. Sie hatte eine Spur von Blut aus jenem verfluchten Turm in der Gehran-Wüste bis hierher gezogen. Die bloße Erwähnung ihres Namens mußte diese Frauen mit Furcht oder Haß oder beidem erfüllen.

Sehr vorsichtig senkte sie die Hände, trat den Kriegerinnen einen Schritt entgegen und blieb wieder stehen, als sich eine Waffe drohend auf ihr Gesicht richtete.

»Keine Angst«, sagte sie. »Wir geben auf.«

Wenn die Kriegerinnen ihre Worte überhaupt hören, so reagierten sie nicht darauf. Vier von ihnen bildeten einen Kreis um Tally, die Waffen im Anschlag, aber so haltend, daß sie sich nicht gegenseitig treffen konnten, während die fünfte um sie herumtrat und sie rasch und sehr gründlich durchsuchte. Sie fand nichts. Tallys Dolch – die einzige Waffe, die sie noch bei sich getragen hatte – lag irgendwo draußen in der Wüste.

Trotzdem wurden ihre Hände auf den Rücken gebunden; so fest, daß es schmerzte und Tally schon nach Sekunden fühlte, wie ihr das Blut abgeschnürt wurde. Erst dann traten zwei ihrer vier Bewacherinnen zur Seite; sie bekam einen groben Stoß in den Rücken, dann griffen schlanke, aber sehr kräftige Hände unter ihre Achseln. Sie wurde mehr auf Angella und Hrhon zugeschleift, als sie aus eigener Kraft ging.

Angella blickte ihr aus vor Schrecken geweiteten Augen entgegen. Sie war gebunden wie Tally, und auch neben ihr standen zwei der gesichtslosen schwarzen Kriegerinnen, während Hrhon ein Stück zur Seite geführt worden war. Er war nicht gebunden – Jandhis Kriegerinnen schienen zu wissen, wie wenig Zweck es hatte, einen Waga fesseln zu wollen – aber die Läufe eines Dutzends Laserwaffen waren auf ihn gerichtet. Tally betete lautlos, daß Hrhon nicht die Nerven verlieren und einen Fehler machen würde.

»Was geschieht jetzt, Tally?« fragte Angella. »Wir –« Eine ihrer beiden Bewacherinnen versetzte ihr einen Kolbenstoß, der sie stöhnend in die Knie brechen ließ.

»Nicht sprechen!«

»Was soll das?!« fragte Tally scharf. »Wir haben uns ergeben!«

Ein zweiter Kolbenhieb traf nun auch ihre Rippen; nicht halb so fest wie der, den Angella bekommen hatte, aber heftig genug, ihr die Luft aus den Lungen zu treiben. »Schweigt!« sagte eine harte Stimme. »Niemand spricht, bis Jandhi kommt.«

Angella stemmte sich stöhnend in die Höhe. Ihr Gesicht zuckte vor Schmerz, aber in ihren Augen flammte schon wieder diese unbezähmbare Wut, die Tally so sehr an ihr kannte und fürchtete. Plötzlich war sie sehr froh, daß Angella gefesselt war. »Dafür bringe ich dich um, Schätzchen«, stöhnte diese. »Mein Wort darauf!«

Die Frau neben ihr hob das Gewehr, schlug aber nicht noch einmal zu, sondern beließ es bei einer warnenden Bewegung. Angella starrte sie haßerfüllt an. In ihrem Gesicht arbeitete es. Tally sah, wie sich ihre Muskeln spannten, als sie vergeblich versuchte, die Fesseln zu sprengen.

»Nicht, Angella«, sagte sie rasch. »Keine Angst – sie werden dir nichts tun. Ich bin es, die sie wollen.« In Angellas Augen blitzte es abermals auf. Aber sie war klug genug, ihre Bewacherin nicht weiter zu reizen, sondern sich nur mit einem wütenden Ruck herumzudrehen.

Und auch Tally schwieg. Sie verspürte eine absurde Erleichterung. Der gefährliche Moment war vorüber, das wußte sie. Jandhis Kriegerinnen würden sie nicht töten, jedenfalls nicht jetzt. Aber sie hatten nicht mehr viel Zeit. Wellers (Wellers??!) letzte Worte waren noch deutlich in ihrem Ohr: Dir bleibt nicht viel Zeit, Talianna. Wenig mehr als zwölf Stunden. Wir können dich schützen, bis die Sonne untergeht. Nicht länger.

Zwölf Stunden... dachte sie. Eine erbärmlich kurze Zeit – und doch genug, für das, was sie tun mußte. Sie fühlte sich sonderbar. Sie war noch nicht alt genug, um sich wirklich ernsthaft mit dem Gedanken an den Tod auseinandergesetzt zu haben, aber natürlich hatte sie darüber nachgedacht, dann und wann. Sie erinnerte sich, einmal – in einem Gespräch, dessen Anlaß und dessen Beteiligte sie vergessen hatte – über die Frage diskutiert zu haben, was sie tun würde, wüßte sie genau, daß sie nur noch eine festgelegte Spanne Zeit zu leben hätte. Sie erinnerte sich, eine Menge interessanter – und auch kluger – Gedanken zu diesem Thema gehört zu haben, damals. Aber jetzt war sie in dieser Situation, und sie fühlte nichts von alledem, was sie geglaubt hatte. Nicht einmal Angst.

Einen Moment lang lauschte sie in sich hinein, aber da war nichts: Ihr Herz schlug sehr schnell und gleichmäßig, unter ihrem rechten Knie pochte ein leichter Schmerz, wo sie im Dunkeln gegen einen Felsen geprallt war, und ihre Rippen waren taub, wo sie der Kolbenstoß getroffen hatte. Aber wo die Angst in ihrem Leib wühlen sollte, war nichts als eine tiefe, sonderbar wohltuende Leere. Vielleicht war dies schon ein Teil des Schutzes, von dem Weller gesprochen hatte.

Ein gigantischer Schatten legte sich über die Wüste und ließ Tally aus ihren Gedanken auffahren. Sie sah nach oben und erblickte einen weiteren Drachen, ein besonders großes, nachtschwarzes Tier, das in steilem Winkel aus dem Himmel geschossen kam und seinen Sturz erst dicht über dem Boden abfing. In seinem Nacken saß eine einzelne Reiterin, gekleidet in das allgegenwärtige Schwarz der Töchter des Drachen, aber ohne Helm, so daß ihr Haar frei im Wind flatterte. Der Sturmwind der Drachenschwingen peitschte die Luft, während das Tier zwei-, drei-, viermal über Tally und den anderen kreiste und schließlich zur Landung ansetzte.

Trotz des Ernstes ihrer Lage konnte Tally nicht anders, als die Eleganz der riesigen fliegenden Kreatur zu bewundern, als Jandhi landete. Der Drache mußte an die fünfzig Meter lang sein, und Tally schätzte seine Spannweite auf das Doppelte. Sein Gewicht mußte das von zehn Hornbestien gleichzeitig betragen. Und trotzdem bewegte er sich elegant und schwerelos wie ein großer, nachtschwarzer Schmetterling. Der einzige Laut, der zu hören war, war das Heulen der Luft, die seine Schwingen peitschten.

Und ebenso elegant, wie er gelandet war, senkte der Drache seinen riesigen Schlangenhals, bis der dreieckige Schädel den Boden berührte und seine Reiterin mühelos absteigen konnte.

Tally blickte ihr ruhig entgegen. Jandhi ging sehr schnell, aber ohne Hast, auf sie zu, blieb einen Moment neben Hrhon stehen und blickte ihn an und kam dann näher. Eine ihrer Kriegerinnen trat auf sie zu; Jandhi scheuchte sie mit einer unwilligen Geste zur Seite. Für einen Moment wurde es sehr still, während die beiden ungleichen Frauen sich anblickten. Jandhis Gesicht war wie Stein. Auf ihren ebenmäßigen Zügen war nicht das geringste Gefühl zu erkennen. Aber Tally spürte die Erregung, die hinter der Maske aus Unnahbarkeit und Ruhe tobte. Und Jandhi umgekehrt schien die unnatürliche Ruhe zu fühlen, die von Tally Besitz ergriffen hatte, denn nach einer Weile trat ein Ausdruck von leiser Überraschung in ihre Augen. Trotzdem dauerte es sehr lange, bis sie das Schweigen brach, das sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte.

»Du wärst besser mit mir gekommen, damals in Schelfheim«, sagte sie. »Eine Menge meiner Schwestern wären noch am Leben. Und deine beiden Freunde auch.« Sie seufzte, maß Tally mit einem langen, sehr nachdenklichen Blick und schüttelte schließlich den Kopf, als könne sie noch immer nicht glauben, was sie sah. »Du hast wirklich aufgegeben.«

»Wie du siehst.«

»Warum?« Jandhi machte eine fragende Geste. »Ich meine – warum jetzt? Du hast uns länger und gründlicher an der Nase herumgeführt als irgendein anderer vor dir – und jetzt gibst du auf?« Sie schüttelte den Kopf.

»Wenn du irgendeinen Trick vorhast, hast du zu hoch gespielt, Tally.«