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»Und er wird schwarzes Leder tragen und auf Drachen reiten, wie?« fragte Tally böse.

»Die Drachen sind nur Werkzeuge«, sagte Jandhi ruhig. »Wie wir. Sie wurden eigens für diesen Zweck erschaffen, und sie werden verschwinden, wenn es nichts mehr gibt, worüber sie wachen müßten. Nach dem letzten Krieg, Tally, begriff eine kleine Gruppe der Überlebenden, daß der Mensch niemals wieder eine technische Zivilisation entwickeln durfte. Sie... sie hatten nur noch einen Bruchteil ihrer alten Macht, und doch reichte dieses Wenige, die Drachen zu erschaffen, die Hornköpfe, uns –«

»Euch?«

Jandhi lächelte flüchtig. »Nicht uns in Person, natürlich. Einige wenige von uns mögen noch direkte Nachkommen der Überlebenden von damals sein, aber die meisten sind Männer und Frauen wie du und ich. Aber sie erschufen die Töchter des Drachen, und sie schufen die Gesetze der Götter, wonach es dem Menschen verboten war, etwas wider die Natur zu tun. Sie zeigten uns den richtigen Weg.«

Tally dachte an brennende Städte und schwieg, aber Jandhi schien ihre Gedanken deutlich auf ihrem Gesicht zu lesen. »Es klingt grausam, ich weiß«, sagte sie. »Aber es mußte sein. Wir schufen die Gesetze, und wir sorgen dafür, daß sie eingehalten werden. Wo immer man sie bricht, tauchen die Drachen auf und ersticken das Gift im Keim, das unserer Rasse schon neunmal das Verderben gebracht hat. Und Männer wie Hraban – und Frauen wie du, die in unseren Diensten stehen, vernichten das, was wir übersehen.«

»Ist das euer großartiger Plan?« fragte Tally wütend.

»Dafür zu sorgen, daß Menschen nie wieder so leben können?« Sie wies mit einer Kopfbewegung auf das Bild.

»Wenn es sein muß, ja«, antwortete Jandhi hart. »Aber eine neue Zivilisation entsteht bereits, Tally. Du hast sie gesehen, in Schelfheim und all den anderen Städten, durch die du gekommen bist. Der Mensch hat gelernt, mit der Natur zu leben.« Sie lächelte. »Sie haben gelernt, die Gesetze der Götter zu beachten und sich zu arrangieren. Von Generation zu Generation werden es weniger, die glauben, sich gegen das Schicksal auflehnen zu können. Ich werde dir unsere Aufzeichnungen zeigen, Tally, später. Du wirst es selbst sehen. Der Tag wird kommen, an dem unsere Drachen nicht mehr fliegen müssen.«

»Ja«, sagte Tally böse. »Weil es dann niemanden mehr gibt, den sie umbringen könnten!«

Jandhi blieb ernst. »Du wirst mich verstehen«, sagte sie. »Du wirst es begreifen, so, wie ich es einsah, und alle anderen vor mir. Unsere Vorfahren haben nach den Sternen gegriffen und dabei das Leben vergessen. Diese Welt ist groß genug für unser Volk. Wir brauchen keine anderen. So wenig, wie wir Maschinen brauchen oder die Wissenschaft. Die menschliche Rasse hat lange gebraucht, dies zu begreifen, aber sie ist auf dem richtigen Weg. Gib ihnen noch ein wenig Zeit, und sie werden so mächtig und reich sein wie unsere Vorfahren.« Und vielleicht hatte sie sogar recht, dachte Tally. Vielleicht hatte sie die Wahrheit gesagt, und der Weg, der mit dem Schmelzen von Stahl begann, konnte wirklich nirgendwo anders enden als im Tod.

Und trotzdem...

Etwas war falsch. Tally wußte nicht, was, oder woher dieses Wissen kam, aber sie wußte mit unerschütterlicher Sicherheit, daß Jandhi ihr noch immer nicht alles erzählt hatte. Etwas – ein vielleicht kleiner, aber entscheidender Teil der Geschichte – fehlte noch.

»Ein wenig Zeit«, murmelte sie. »Wie lange? Tausend Jahre? Zehntausend?«

»Wenn es sein muß, ja«, antwortete Jandhi. »Aber es wird schneller gehen.«

Aber es war falsch! dachte Tally entsetzt. Begriff sie das denn nicht? Sie und ihre Schwestern waren keine Götter! Woher nahmen sie das Recht, dem Schicksal ins Handwerk pfuschen zu wollen?

»Ihr wollt also weitermachen«, sagte sie leise. »Ihr wollt damit fortfahren, Menschen zu töten, die nichts anderes tun, als ein wenig bequemer leben zu wollen. Ihr wollt weiter Städte niederbrennen, deren Bewohner sich nichts anderes zuschulden kommen lassen als –«

»Du verstehst noch immer nicht«, unterbrach sie Jandhi. »Wir –«

»Nein, und ich will es auch gar nicht verstehen!« sagte Tally. »Du denkst wirklich, du könntest mich überzeugen? Du denkst wirklich, ich würde bei diesem Wahnsinn auch noch mitmachen?«

»Ich weiß es«, erwiderte Jandhi, und sie sagte es mit einer Ruhe, die Tally einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ. »Ich weiß es, Talianna, weil ich vor sehr vielen Jahren wie du in diesem Raum gestanden und den gleichen Worten gelauscht habe. Ich hätte mir all dies sparen können, aber ich wollte, daß du die Wahrheit kennst, ehe ich dich zu ihr bringe.«

»Ihr?« Tally spannte sich. »Wen meinst du?«

Aber Jandhi antwortete nicht. Statt dessen klatschte sie in die Hände. Die Tür in Tallys Rücken wurde aufgestoßen, und das Klicken harter Insektenfüße war zu hören. Sie spürte die Anwesenheit der beiden Hornköpfe, ohne sich zu ihnen herumdrehen zu müssen. Tally hatte die halbintelligenten Rieseninsekten niemals gemocht, aber sie hatte noch nie eine derart heftige, körperliche Abneigung verspürt wie in diesem Augenblick. Es war, als wäre mit den beiden Kreaturen das Böse selbst in den Raum getreten.

»Folge mir«, befahl Jandhi.

7

Je tiefer sie in der Berg eindrangen, desto intensiver wurde das Gefühl, sich dem Bösen zu nähern. Tally fror und gleichzeitig war sie in Schweiß gebadet. Die Nähe der beiden titanischen Kampfinsekten erfüllte sie mit körperlichem Unbehagen, ja, beinahe mit Schmerz, und das Gefühl wurde heftiger, je weiter sie sich dem Herzen der Drachenstadt näherten.

Sie hatte Jandhi zweimal gefragt, wohin sie sie brachte, und zweimal keine Antwort darauf erhalten. Aber ihr fiel auf, daß Jandhi jetzt mehrere Schritte vor ihr ging und auch darauf achtete, diesen Abstand einzuhalten, und daß die beiden Hornköpfe ein wenig dichter zu ihr aufgeschlossen hatten, als eigentlich nötig war. Es wurde dunkler. Die Zahl der Lampen nahm ab, und sie begegneten niemandem mehr, weder Mensch noch Hornkopf. Tally hatte Angst. Angst vor dem, was sie in der Tiefe erwarten mochte, wer diese sie war, von der Jandhi gesprochen hatte, Angst vor dem finsteren Herz der Drachenstadt – denn genau das war es, worauf sie sich zubewegten: ein gewaltiges, durch und durch böses Herz. Der Feind. Das absolut Böse in Person.

Was waren das für Gedanken? dachte sie verwirrt. Plötzlich war Wissen in ihr, Wissen oder plötzlich ein an Wissen grenzendes Ahnen, daß sie nicht haben konnte. Irgend etwas in ihr zog sich zusammen, schreckte zurück vor dem Ding, das da in der Tiefe lauerte, uralt und mächtig verwundbar, aber bisher unerreichbar für...

Und plötzlich begriff sie, daß es nicht ihre Gedanken waren. Es war das Ding in ihr, das Weller (Weller?) ihr mitgegeben hatte, Gäas mörderisches Geschenk an ihre uralte Gegenspielerin.

Gäa... Die Urmutter, Hüterin allen Lebens. Welcher Hohn! Die Bestie dort draußen war so fremd und tödlich wie das Ding, das diesen Berg beherrschte, und so wenig auf ihrer Seite wie Jandhi und ihre Schwestern. Tally versuchte sich vorzustellen, wo dies alles enden mochte, aber es gelang ihr nicht. Irgend etwas in ihr, der Teil, der noch Mensch war, schreckte vor dem bloßen Gedanken zurück; so heftig, daß sie nur mit Macht einen Aufschrei unterdrücken konnte.

Schließlich betraten sie einen Teil des Höhlenlabyrinths, der kaum mehr Spuren einer künstlichen Bearbeitung aufwies. Die Lampen mit ihrem unangenehmen weißen Licht waren längst hinter ihnen zurückgeblieben; nur hier und da blakte noch eine Fackel in einem eisernen Halter an der Wand, und die Kälte hatte einer stickigen, unangenehm feuchten Wärme Platz gemacht. Ein Geruch wie nach faulenden Pflanzen schlug ihnen entgegen, und auf dem Boden lag Staub, manchmal so hoch, daß sie bis an die Knöchel in der flockigen grauen Decke versank. Jandhi hustete von Zeit zu Zeit, und irgend etwas, sehr sehr weit vor ihnen, nahm diesen Laut auf und warf ihn zurück, sonderbar gebrochen und verzerrt, als klänge noch etwas anderes, Böses darin mit. Tally vesuchte vergeblich, die Gedanken und Gefühle zu unterdrücken, die ihr Bewußtsein überschwemmten. Das Etwas in ihr wurde stärker, mit jedem Schritt, dem sie sich dem unsichtbaren Feind näherten. Weller hatte gelogen, als er gesagt hatte, sie könnten sie bis Sonnenuntergang schützen; vielleicht hatte er sich auch schlichtweg geirrt. Aber es war gleich. Nichts spielte jetzt noch eine Rolle. Sie war am Ziel.