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»Aber sie hat recht«, sagte Gedelfi leise. »Und du weißt es. Wir alle haben es gewußt.«

Der Mann ballte zornig die Fäuste und warf Gedelfi einen drohenden Blick zu, den der Alte natürlich nicht sehen konnte. »Du sollst schweigen!« sagte er drohend.

»Ich kann euer Gewinsel nicht mehr hören!«

Gedelfi verstummte tatsächlich, denn wenn er auch die drohende Gebärde des Riesen nicht sehen konnte, hörte er um so deutlicher den hysterischen Unterton in seinen Worten. Die Frau jedoch verstummte nicht, sondern begann im Gegenteil leise und sehr schrill zu kichern. »Wir haben es alle gewußt, Aru«, sagte sie, und Talianna erinnerte sich jetzt, daß dies auch der Name war, den sie geschrieen hatte. Sie antwortete nicht auf die Worte des Riesen, sondern sprach mit ihrem toten Mann. »Es ist die Strafe der Götter. Unsere Eltern haben es uns gesagt, so wie ihre Eltern es ihnen gesagt haben. Die Alten haben gewußt, daß es geschehen würde.«

»Gewußt!« Der Riese spie in die Flammen. »Dummes Geschwätz. Die Götter! Ha! Das waren –«

»Sie haben es gewußt«, beharrte die Frau. »Und auch wir. Sie haben gewartet, weil ihre Geduld groß ist, aber jetzt sind sie gekommen und haben uns bestraft.«

»Wenn du nicht gleich das Maul hältst, werde ich dich bestrafen, blödes Weib«, sagte der Riese. Aber sein Zorn war aufgebraucht. Er sagte es in einer Art, die deutlich machte, daß er seine Drohung nicht wahrmachen würde. Talianna hörte der bizarren Unterhaltung mit einer Mischung aus Neugier und Verwirrung zu. Irgendwie glaubte sie zu spüren, daß die Worte der Frau nicht nur das Gestammel einer Wahnsinnigen waren, sondern eine Wahrheit enthielt, von der sie bisher nichts gewußt hatte.

Die Götter? dachte sie. Von welchen Göttern sprach die Frau? Es gab Dutzende von Göttern allein hier im Dorf, Tausende auf der ganzen Welt, und vielleicht hatte jeder Mensch, der überhaupt lebte, seinen ganz persönlichen Gott.

Aber Götter ritten nicht auf flammenden Drachen durch den Himmel.

4

Der nächste Morgen fand sie auf einer Ebene aus erstarrtem Eisen stehend, die Augen rot vor Müdigkeit, zitternd vor Schwäche, mit klopfendem Herzen und den Reitern entgegenblickend, die über den Hügel kamen. Im blassen Licht der Sonne, die erst zu einem Drittel über den Horizont gestiegen war, wirkten sie wie schwarze Scherenschnitte, zwei, drei Dutzend oder mehr, die sich den Hügel hinabbewegten und dabei auf breiter Front ausschwärmten.

Sie war nicht allein, denn bis auf Gedelfi und die verrückt gewordene Frau waren ihr alle gefolgt, die ihren Schrei gehört hatten, um den Männern entgegenzueilen. Talianna hatte Angst. Es war ihr unmöglich, still zu stehen, denn der Boden unter ihren Füßen war so heiß, daß ihre Sohlen schmerzten. Unter der Decke aus erstarrtem Eisen mußte noch immer Glut sein, als wäre die Erde so tief verwundet, daß sie Feuer blutete. Etwas an diesen Reitern erschreckte sie, und ein Blick in die Gesichter der anderen zeigte ihr, daß sie mit diesem Gefühl nicht allein war.

Natürlich hatten sie auf sie – oder jedenfalls Männer wie sie – gewartet. Das ungeheure Feuer mußte gesehen worden sein, und die Menschen würden von überallher heibeiströmen, um zu helfen. Tatsächlich hatte sich mehr als einer während der Nacht schon gewundert, daß es so lange dauerte, bis Hilfe oder wenigstens die ersten Neugierigen eintrafen; denn die nächstgelegene Stadt lag nur einen halben Tagesritt entfernt, und tatsächlich war der Weg von dort nach Stahldorf in dieser Nacht bereits mit den Leichen derer gepflastert, die sich aufgemacht hatten, um ihnen zu helfen. Aber das ahnten weder Talianna noch einer der anderen. Nein – sie spürten nur, daß irgend etwas an diesen Reitern nicht so war, wie es sein sollte.

Es waren sehr viele, und als sie näher kamen, erkannte Talianna, daß nicht alle von ihnen menschliche Wesen waren, und längst nicht alle auf Pferden ritten. Und auch ihre Art, sich der Stadt zu nähern – auf breiter Front und langsamer, als es beim Anblick einer zerstörten Stadt und einer Handvoll Überlebender zu erwarten wäre – erinnerte Talianna auf bedrückende Weise viel eher an den Anblick einer heranrückenden Armee als eines Hilfstrupps.

Keiner von ihnen rührte sich, während die Reiter näherkamen. Etwa ein Dutzend von ihnen näherte sich der kleinen Gruppe verängstigter Menschen bis auf wenige Schritte und hielt an, während die übrigen in einer weit ausholenden Zangenbewegung die Stadt einzuschließen begannen. Die Pferde bewegten sich unruhig auf dem heißen Boden. Ihre Reiter hatten Mühe, sie im Zaum zu halten. Es roch ganz leicht nach heiß gewordenem Horn.

Talianna blickte mit klopfendem Herzen zu den Reitern empor. Die Männer waren ausnahmslos groß und von kräftiger Statur, und sie zweifelte nun nicht mehr daran, daß es eine Armee war, der sie gegenüberstanden; denn Kleidung und Waffen der Reiter waren nicht die einfacher Reisender, sondern die von Kriegern. Die meisten trugen lange Schwerter aus Bronze oder messerscharf geschnittenem Obsidian im Gürtel, andere Äxte oder Keulen und so mancher eine Waffe, die sie nie zuvor gesehen hatte. Obwohl sie keine Uniformen trugen und ihre Kleider ein bunt zusammengewürfeltes Sammelsurium aus Fellen und Leder und Stoff darstellte, ähnelten sie sich auf schwer in Worte zu fassende Weise. Irgend etwas war in ihren Gesichtern – selbst in denen der drei nicht-Menschen, die bei dem Dutzend Reiter war – das sie verband.

Talianna fröstelte. Die Männer machten ihr Angst. Und sie war nicht allein mit diesem Gefühl, denn die acht Erwachsenen, die mit ihr hergekommen waren, um die Reiter zu begrüßen, schwiegen so verbissen wie sie. Niemand sprach ein Wort der Erleichterung, niemand begann zu weinen oder eilte den Männern entgegen, um sie zu umarmen – nichts von dem, was Talianna erwartet hatte, geschah. Der Anblick des Dutzends waffenstarrender Reiter allein reichte aus, ihnen allen zu sagen, daß sie Feinden gegenüberstanden.

Schließlich war es einer der Fremden, der das Schweigen brach. »Was ist hier geschehen?« fragte er, mit einer Stimme, die in krassem Widerspruch zu seinem vernarbten Gesicht und seinen schwieligen Fäusten stand. Sie klang sehr sanft, trotz des fordernden Tones, den er in seine Worte gelegt hatte.

Niemand antwortete. Der Reiter runzelte die Stirn, schwang sich mit einer überraschend geschmeidigen Bewegung vom Rücken seines Pferdes und maß das kümmerliche Häufchen angstzitternder Überlebender mit einem langen Blick.

Talianna sah jetzt, daß er nicht so groß war, wie es im ersten Moment den Anschein gehabt hatte; was ihn so massig erscheinen ließ, war wohl eher der fellbesetzte Lederpanzer und der wuchtige Helm, den er trug. Aber er war sehr kräftig, und seine Bewegungen waren eindeutig die eines Mannes, der es gewohnt war, zu befehlen.

»Was hier geschehen ist, habe ich gefragt!« wiederholte er streng.

»Wir... sind überfallen worden«, antwortete einer der Männer. »Sie haben die Stadt niedergebrannt und alle getötet.«

»Sie?« Eine schmale Falte kroch unter dem Rand des Helmes hervor und grub sich zwischen die Augen des Kriegers. »Wer? Wie ist dein Name, Bursche, und wo sind die anderen?«

»Mein... mein Name ist Joffrey, Herr«, stammelte der Mann. Er war blaß vor Furcht.

Der Krieger machte eine wegwerfende Handbewegung. »Spar dir den Herren«, sagte er grob. »Mein Name ist Hraban. Meine Männer und ich –« Er machte eine Bewegung zu seinen Begleitern. » – sind Söldner, auf dem Weg nach Osten. Wir haben gehört, daß es dort Arbeit für uns gibt. Aber dieser Teil des Landes liegt mit niemandem im Krieg. Ich muß das wissen, oder?« Er schürzte die Lippen, als warte er auf eine Bestätigung, aber Joffrey schwieg weiter. »Wer also hat euch überfallen, und wo sind die anderen?«