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»Und du denkst, es wäre Karan.«

»Ich bin es jedenfalls nicht«, fauchte Angella. Tally blickte sie schweigend an. Angellas Erregung ärgerte sie, aber nur ein bißchen. Und im Grunde wußte sie sehr wohl, daß sie recht hatte – auch sie hatte längst begriffen, daß es ganz und gar kein Zufall sein konnte, daß sie bisher nicht ein einziges Mal angegriffen worden waren. Jegliches Leben in diesem Wald schien ihnen aus dem Weg zu gehen.

»Wir sind nervös«, murmelte sie. »Wahrscheinlich hat alles eine ganz normale Begründung, Angella. Aber nach dem, was passiert ist, ist es kein Wunder, wenn wir anfangen, Gespenster zu sehen.« Sie lachte unsicher.

»Kurz, bevor du gekommen bist, habe ich mir eingebildet, jemanden meinen Namen rufen zu hören.«

»Das war keine Einbildung«, erwiderte Angella.

Tally starrte sie an. »Das war –«

»Ich habe es auch gehört«, bestätigte Angella. »Und Hrhon und Karan auch. Karan hat nur so getan, als wäre nichts, und dein Waga ist zurückgeblieben, weil ich ihn gebeten habe, ein Auge auf unseren Freund zu werfen.« Sie nickte grimmig, um ihre Worte zu unterstreichen. Gleichzeitig begann sie ganz dünn zu lächeln, als sie sah, mit welchem Schrecken ihre Worte Tally erhielten.

»Und du hast auch... die Stimme erkannt?« fragte Tally zögernd.

»Ebenso wie du, Liebling«, bestätigte Angella. »Es war Weller. Aber der ist ja tot, nicht wahr?«

Tallys Hände begannen zu zittern. Ihr Blick bohrte sich in die Dunkelheit, die sich wie ein schwarzer Vorhang über den Wald gesenkt. Für einen Moment gaukelten ihre überreizten Nerven ihr Dinge vor, die nicht da waren. Schatten und huschende, pelzige Bewegung. Aber irgend etwas war dort. Es war unsichtbar, aber real. Fast greifbar.

»Du hast ihn doch auch gesehen, heute mittag.:

Angella schwieg einen Moment. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Ich habe... irgend etwas gesehen.«

»Was?«

»Ach verdammt, ich weiß es nicht . Ein... Ding mit Wellers Gesicht. Aber es war kein Mensch. Es war...« Sie brach ab, hob in hilflosem Zorn die Hand und ließ sie auf ihren Oberschenkel klatschen. »Ach zum Teufel, ich weiß nicht, was es war. Dieser ganze verdammte Wald ist verhext. Ich bin froh, wenn wir endlich hinaus sind.« Sie sah Tally scharf an. »Wohin gehen wir überhaupt?«

»Nach Norden«, antwortete Tally ausweichend.

»Wenigstens hoffe ich es.«

»Und was ist im Norden?«

Tally zögerte. Irgend etwas – eine Art innere Stimme vielleicht – riet ihr davon ab, Angella mehr zu erzählen, als sie ohnehin schon wußte. Auf der anderen Seite sehnte sie sich einfach danach, mit einem Menschen zu reden.

»Die Drachen«, sagte sie schließlich. »Die Heimat der Drachen, Angella.«

»Hier – im Schlund?«

Angellas Zweifel war unüberhörbar.

»Auf einer Felseninsel, die so hoch wie der Schelf aus dem Schlund aufragt, hundertfünfzig Meilen von hier«, bestätigte Tally.

»Woher willst du das wissen?«

»Ich weiß es eben«, fauchte Tally. »Verdammt, du hättest dich nicht einmischen sollen, Angella. Ich wollte nicht, daß du mitkommst. Jetzt ist es zu spät. Du –« Sie verstummte, als Angella warnend die Hand hob. Auch sie hatte das Geräusch gehört – nicht sehr laut, aber deutlich. Und es war... falsch. Es paßte nicht in die Geräuschkulisse des Waldes.

Eine Sekunde später hörte sie es erneut. Sie stand auf. Ihre Hand glitt zum Schwert, löste sich nach sekundenlangem Zögern wieder von seinem Griff und schmiegte sich um den Griff des Lasers.

»Geh hinein und hole Hrhon und Karan«, sagte sie.

»Schnell.«

Angella widersprach nicht. Schnell und lautlos wie ein Schatten verschwand sie im Inneren des Baumes. Tally selbst huschte ein Stückweit zur Seite, bis sie in Deckung eines mannsdicken verbrannten Astes stand. Sie lauschte. Das Geräusch wiederholte sich nicht, aber irgend etwas hatte sich verändert.

Dann wußte sie, was es war: Seit sie in diesem Wald erwacht war, war seine Geräuschkulisse gleich geblieben – ein unablässiges, aber fast gleichmäßiges Lärmen und Toben, aus Tausenden von einzeln nicht wahrnehmbaren Lauten zusammengefügt, das den Kreis von Stille belagerte, der sie umgab. Jetzt war etwas da, das diesen Herzschlag des Schlundes störte: ein Quell hektischer Unruhe, nicht sehr weit entfernt, als...

... ja, als wäre etwas in den Wald eingedrungen, das nicht hineingehörte.

Angella kam zurück, dicht gefolgt von Hrhon und Karan.

»Jhemahnd khohmmt«, zischelte Hrhon, nachdem er kaum eine Sekunde lang mit schräggehaltenem Kopf gelauscht hatte.

»Das ist unmöglich!« widersprach Karan. Seine Stimme klang fast erschrocken. »Sie würden es nicht wagen, uns –« Tally brachte ihn mit einer herrischen Geste zum Verstummen. »Geh und sieh nach, Hrhon«, befahl sie. »Aber sei vorsichtig. Ganz gleich, wer es ist, geh kein Risiko ein, hörst du?«

Hrhon versuchte ein Nicken nachzuahmen, schob sich an ihr vorbei und balancierte auf den Waldrand zu. Tally blickte ihm schweigend nach, bis die Dunkelheit ihn verschluckt hatte. Das Lärmen und Toben in der Nacht hielt weiter an. Es kam nicht näher.

»Deine Freundin aus der Stadt?« erkundigte sich Angella beiläufig.

Tally sah sie ärgerlich an. »Woher soll ich das wissen?« schnappte sie. Angella setzte zu einer scharfen Antwort an, beließ es aber dann bei einem Seufzen und starrte an Tally vorbei in die Richtung, in der Hrhon verschwunden war.

Es dauerte fast zehn Minuten, bis der Waga zurückkam, und in dieser Zeit sprach keiner von ihnen ein Wort. Endlich tauchte Hrhons buckeliger Schatten wieder aus der Nacht auf. Aber er kam nicht ganz heran, sondern blieb auf dem vibrierenden Wurzelnetz stehen und hob winkend den rechten Arm.

»Khohmmt rhasss!!« rief er.

»Geht nicht!« rief Karan erschrocken aus. »Es ist gefährlich! Ihr werdet sterben, wenn ihr allein in den Wald geht!«

»So?« Angella lächelte böse. »Weißt du was, Karan – ich glaube dir sogar.«

»Ich auch«, fügte Tally hinzu. »Und das ist auch der Grund, aus dem Karan uns begleiten wird, nicht wahr, Angella?«

»Genau«, sagte Angella.

5

»Da!« Hrhons hornige Klaue bog einen dornengespickten Zweig beiseite und deutete gleichzeitig mit zwei ausgestreckten Fingern nach vorne. Tally kniff angestrengt die Lider zusammen. Es fiel ihr immer noch schwer, in der fast vollkommenen Dunkelheit unter dem Wipfeldach zu sehen, obwohl ihre Augen Zeit genug gehabt hatten, sich an das schwache Licht zu gewöhnen. Und doch hatte sie selbst jetzt noch Mühe, die drei in fließendes Schwarz gekleideten Gestalten als das er erkennen, was sie waren.

»Das ist doch nicht möglich!« flüsterte Angella, die neben sie getreten war. Sie schüttelte den Kopf, sah erst Tally, dann Hrhon und dann die drei schwarzglänzenden Gestalten an und schüttelte abermals den Kopf. »Das ist vollkommen ausgeschlossen.«

Tally schwieg. Angella sprach nur aus, was sie alle – ausgenommen vielleicht Karan – dachten: es war vollkommen ausgeschlossen, daß Jandhis Häscher ihre Spur in diesem Wald aufgenommen haben sollten.

Selbst, wenn die Reiter auf den drei Drachen, die sie am Mittag gesehen hatte, sie entdeckt haben sollten – es war einfach unmöglich, jemanden in diesem Gewirr aus Blättern und Gestrüpp aufzuspüren.

Und doch war es geschehen.

Zwei der drei Gestalten dort vor ihr waren Hornköpfe; große, selbst hinter dem Schleier der Nacht noch abrundtief häßliche Kreaturen. Die dritte war eine Frau, nicht sehr viel älter als Angella und in das lederne Schwarz der Töchter des Drachen gehüllt.

Und ebenso tot wie die Hornköpfe.

Tally stand vorsichtig auf, bedeutete Angella und Karan mit Gesten, zurückzubleiben, und näherte sich den drei schwarzgekleideten Gestalten. Verwesungsgeruch schlug ihr entgegen, der Gestank von Blut und Tod. Ihr Herz begann vor Erregung fast schmerzhaft zu hämmern.