»Seid Ihr sicher?« fragte die größere Frau leise.
Damson nickte. »Er ist dort, dort drinnen.«
Sie wurden still, als fehlten ihnen die Worte, um die Unterhaltung weiterzuführen. Sie waren dem Trupp gefolgt, seit sie auf die Wagenspuren getroffen waren, während sie südlich des Regenbogensees dem Skree folgten. Drei Tage zuvor hatten sie den See überquert, waren unmittelbar vor dem herannahenden Unwetter aus der Mündung des Mermidon herausgesegelt, nachdem sie Morgan Leah verlassen hatten. Die Winde, die dem Sturm vorwegliefen, hatten sie sanft über den See getrieben, und das Unwetter selbst hatte sie erst erwischt, als sie schon fast das andere Ufer erreicht hatten. Doch dann waren sie abgetrieben und so stark herumgestoßen worden, daß sie östlich des Nebelsumpfes gekentert und gezwungen gewesen waren, an Land zu schwimmen. Sie waren mit dem größten Teil ihrer Vorräte im Schlepptau, vollgesogen und erschöpft, davongekommen und hatten die Nacht in einem Eschenhain verbracht, der nur wenig Schutz vor der Feuchtigkeit gewährt hatte. Sie waren von dort gen Süden gezogen, angetrieben von dem Licht des Skree und auf der Suche nach einem Zeichen von Par Ohmsford. Es war keines zu finden gewesen, bis auf die Wagenspuren und jetzt auch die Männer, die sie hinterlassen hatten.
»Es gefällt mir nicht«, sagte Matty Roh leise.
Damson Rhee nahm die abgebrochene Hälfte des Skree hervor, legte sie in ihre gewölbte Hand und hielt sie der Hütte entgegen. Sie brannte hell und stetig wie kupfernes Feuer. Damson sah Matty an. »Er ist dort.«
Die andere nickte. Ihre Kleidung war zerknittert und von Dornengestrüpp und Felsen zerrissen. Sie hatten sie gewaschen, aber das hatte nur den Schmutz beseitigt, nicht ihr Aussehen verbessert. Mattys jungenhaftes Gesicht war sonnengebräunt und schweißgebadet, und ihre Stirn war gefurcht, während sie nachdenklich den glühenden Metallhalbmond betrachtete.
»Wir werden uns das näher ansehen müssen«, sagte sie. »Wenn es dunkel geworden ist.«
Damson nickte. Ihr rotes Haar war geflochten und wurde mit einem Band aus der Stirn zurückgehalten. Ihre Kleidung war jedoch ein Spiegel von Mattys Kleidung. Sie war müde und hungerte nach einer warmen Mahlzeit und brauchte ein Bad, aber sie wußte, daß sie im Moment ohne alles auskommen mußte.
Sie gingen zurück zu der Stelle, an der sie ihre Ausrüstung zurückgelassen hatten, und ließen sich dort nieder, um etwas Obst und Käse zu essen und etwas Wasser zu trinken. Sie schwiegen beide, während das Mahl eingenommen wurde und die Schatten sich verlängerten. Dunkelheit schloß sich um sie herum, der Mond und die Sterne kamen hervor, und die Luft kühlte so sehr ab, daß sie beinahe erträglich wurde. Sie waren sehr verschieden, diese beiden Frauen. Damson war leidenschaftlich und den Menschen zugewandt und sich dessen, was sie wollte, sehr sicher. Matty war kühl und zurückhaltend und glaubte daran, daß man nichts als erwiesen ansehen konnte. Über ihre gemeinsame Unternehmung hinaus verband sie eiserne Entschlossenheit, die im jahrelangen Überlebenskampf im Dienst der Geächteten geschmiedet worden war. Diese drei Tage gemeinsamer Suche nach Par Ohmsford hatten gegenseitigen Respekt bewirkt. Sie hatten wenig voneinander gewußt, als sie aufgebrochen waren, und in Wahrheit wußten sie auch jetzt nicht viel mehr. Aber was sie wußten, war ausreichend, daß beide überzeugt waren, daß sie sich auf die andere verlassen konnten, wenn es nötig würde.
»Damson.« Matty Roh sprach plötzlich ihren Namen aus. »Kennt Ihr das Gefühl, wenn man sich plötzlich mitten in einer Geschichte wiederfindet und sich fragt, wie das geschehen ist?« Sie schien fast bestürzt. »Genau so fühle ich mich gerade jetzt. Ich bin hier, aber ich bin mir nicht sicher, warum das so ist.«
Damson rückte nah heran. »Wünscht Ihr, irgendwo anders zu sein?«
»Ich weiß es nicht. Nein, ich glaube nicht.« Sie schürzte die Lippen. »Aber ich bin verwirrt darüber, was ich hier tue. Ich weiß, warum ich gekommen bin, aber ich verstehe nicht, warum ich beschlossen habe, das zu tun.«
»Vielleicht ist der Grund ja gar nicht wichtig. Vielleicht ist es nur wichtig, daß wir hier sind.«
Matty schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
»Vielleicht ist es gar nicht so schwierig, das herauszufinden. Ich bin wegen Par hier. Weil ich ihm versprochen habe, daß ich kommen würde.«
»Weil Ihr ihn liebt.«
»Ja.«
»Ich kenne ihn nicht einmal.«
»Aber Ihr kennt Morgan.«
Matty seufzte. »Ich kenne ihn besser, als er sich selbst kennt. Aber ich liebe ihn nicht.« Sie hielt inne. »Ich glaube es jedenfalls nicht.« Sie schaute fort, denn sie war von diesem Eingeständnis beunruhigt. »Ich bin hierhergekommen, weil ich es satt hatte, nur herumzusitzen. So habe ich es dem Hochländer erklärt. Es war ja auch wahr. Aber ich bin noch aus einem anderen Grund hierhergekommen. Ich weiß nur nicht, was es ist.«
»Ich denke, Morgan Leah könnte der Grund sein.«
»Das ist er nicht!«
»Ich glaube, Ihr braucht ihn.«
»Ich brauche ihn?« fragte Matty ungläubig. »Es ist eher umgekehrt, glaubt Ihr nicht? Er braucht mich!«
»Das auch. Ihr braucht einander. Ich habe Euch beobachtet, Matty – Euch und Morgan. Ich habe gesehen, wie Ihr ihn anschaut, wenn er es nicht sieht. Ich habe gesehen, wie er Euch anschaut. Da ist mehr zwischen Euch, als Ihr wahrhaben wollt.«
Die große Frau schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Ihr sorgt Euch um ihn, nicht wahr?«
»Das ist nicht dasselbe. Das ist etwas anderes.«
Damson betrachtete sie, ohne etwas zu sagen. Mattys Blick war auf irgendeinen Punkt in dem Raum zwischen ihnen fixiert, und ihre kobaltblauen Augen schimmerten unergründlich und ruhig. Sie sah etwas, was niemand sonst sehen konnte.
Als sie wieder aufschaute, war ihr Blick leer und traurig. »Er liebt noch immer Quickening.«
Damson nickte bedächtig. »Das vermute ich auch.«
»Er wird sie immer lieben.«
»Vielleicht, Matty. Aber Quickening ist tot.«
»Das ist unwichtig. Habt Ihr gehört, wie er von ihr spricht? Sie war wunderschön und zauberhaft, und sie liebte ihn auch.« Die blauen Augen blinzelten. »Es ist zu schwer, dagegen antreten zu müssen.«
»Das müßt Ihr auch nicht. Das ist nicht nötig.«
»Es ist nötig.«
»Er wird sie rechtzeitig vergessen. Er wird nichts dagegen tun können.«
»Nein, das wird er nicht. Niemals. Das wird er sich nicht erlauben.«
Damson seufzte und schaute fort. Die Nacht lag in stiller Erwartung tief und ruhig um sie herum. »Er braucht Euch«, flüsterte sie schließlich und wußte nicht, was sie sonst noch sagen sollte. Sie schaute wieder zu Matty hin. »Quickening ist fort, Matty, und Morgan Leah braucht Euch.«
Sie sahen einander in der Dunkelheit an, maßen den Sinn dieser Worte und wogen ihre Kraft. Keine von beiden sprach. Dann erhob sich Matty plötzlich und schaute über das Grasland zurück zu der Hütte. »Wir sollten hinabgehen und einen Blick darauf werfen.«
»Ich werde gehen.« Damson stand mit ihr auf. »Ihr wartet hier.«
Matty ergriff ihren Arm. »Warum nicht ich?«
»Weil ich weiß, wie Par aussieht, und Ihr nicht.«
»Dann sollten wir beide gehen.«
»Und uns beide in Gefahr begeben?« Damson hielt dem Blick der anderen stand. »Ihr wißt es doch besser!«
Matty sah sie einen Moment lang abwehrend an und ließ ihren Arm dann los. »Ihr habt recht. Ich werde hier warten. Aber seid vorsichtig.«
Damson lächelte, wandte sich um und glitt in die Dunkelheit. Sie gelangte leicht hinab, bis sie sich nördlich der Hütte befand. Lampenlicht brannte und warf von innen einen gelblichen Schimmer durch die vorhanglosen Fenster und die geöffnete Vordertür. Sie hielt inne und dachte nach. Der Klang von Männerstimmen kam von drinnen, aber das rote Glühen eines Pfeifenkopfes und der Geruch nach Tabak warnten sie, daß der Wächter noch immer die Verandatreppe besetzt hielt. Sie beobachtete die dunklen Umrisse der Maultiere, die sich an ihrem Halteseil neben der Hüttenwand bewegten, und hörte dann das Geräusch zerspringender Gläser und Fluchen von innen. Die Männer tranken und stritten.