Sie ging weiter bis zum Wald und hinten um die Hütte herum, da sie sich von der Südseite aus nähern wollte, denn wenn sie von Norden herankam, würden die Tiere sie verraten. Wolken glitten wie Fabelwesen über sie hinweg und veränderten die Helligkeit des Lichts, während sie über den Mond und die Sterne hinwegzogen. Damson schlich in den Schatten unter den Bäumen entlang und näherte sich vorsichtig, obwohl die Stimmen und das Gelächter andere Geräusche sicherlich verschlucken würden. Als sie sich hinter der Hütte befand, verließ sie den Schutz der Bäume und eilte zur Rückwand hinüber. Sie ging dann daran entlang und richtete ihren Blick auf das Südfenster. Inzwischen konnte sie die Stimmen deutlich hören und konnte Verärgerung und Drohungen herausspüren. Harte Männer waren es, und sie durfte sie nicht unterschätzen.
Sie schlich geduckt zum Fenster, richtete sich vorsichtig auf und schaute hinein.
Coll Ohmsford lag an der Rückwand der muffigen, verwitterten Hütte und lauschte dem Streiten der Männer, während sie um Geld würfelten. Er war in eine Decke gewickelt und hatte sich der Wand zugedreht. Seine Hände und Füße waren zusammengebunden und an einen Ring gekettet, den die Männer in die Bretter hineingehämmert hatten. Sie hatten ihm Nahrung und Wasser gegeben und ihn dann vergessen. Was wirklich nicht schlecht war, dachte er erschöpft, wenn man ihren gegenwärtigen unerfreulichen Zustand bedachte. Das Trinken und Spielen hatte sie boshafter als sonst werden lassen, und er wollte nicht erfahren, was geschehen würde, wenn sie sich daran erinnerten, daß er da war. Er war bereits zweimal geschlagen worden, seit sie ihn gefangengenommen hatten – einmal für den Versuch zu fliehen und einmal, weil einer von ihnen über irgend etwas verärgert gewesen war und beschlossen hatte, es an ihm auszulassen. Er hatte Quetschungen und Schnitte und war überall wund, nachdem er den ganzen Tag auf dem Wagen umhergeschüttelt worden war. Jetzt wollte er einfach in Ruhe gelassen werden und schlafen.
Das Problem war allerdings, daß er unter diesen Bedingungen nicht schlafen konnte. Seine Müdigkeit und seine Schmerzen waren nicht so stark, daß sie den Lärm überlagern konnten. Er lag lauschend da und fragte sich, was er tun könnte, und dachte erneut an Flucht. Sie kamen mit dem Wagen und den Maultieren nur langsam voran, aber sie waren nur noch drei oder vier Tage von Dechtera entfernt, und wenn sie erst einmal dort waren, würde er erledigt sein. Er hatte von den Sklavenminen gehört, in denen hauptsächlich Zwerge arbeiteten. Morgan hatte die Minen beschrieben, nachdem er von Steff etwas darüber erfahren hatte. Sie wurden als Abladeplatz für Zwerge benutzt, die sich den Föderationsbesetzern widersetzt hatten, und ganz besonders auch für Mitglieder des Widerstands. Die Zwerge, die in die Minen geschickt wurden, kehrten niemals zurück. Niemand kehrte jemals zurück. Morgan hatte ihm von Gerüchten erzählt, daß Südländer zum Arbeiten in die Minen gesandt worden waren, aber bis jetzt hatte Coll das nicht für möglich gehalten.
Er starrte die gespaltenen und zersplitterten Wandbretter an und dachte, daß es ihm wohl bestimmt war, viele Wahrheiten auf die harte Art zu erfahren.
Er atmete tief ein und atmete langsam und abgespannt wieder aus. Die Zeit wurde knapp, und das Glück hatte ihn schon lange verlassen. Er war in einer besseren Verfassung, als zu erwarten gewesen wäre, denn seine Übungen mit Ulfkingroh in der Südwache hatten ihn durch das Schlimmste hindurchgebracht. Aber das war jetzt nur ein geringer Trost, so angekettet wie er war. Er hatte keine Hoffnung, ohne Schlüssel von seinen Ketten befreit zu werden. Zwar hatte er versucht, die Schlösser zu zerstören, aber sie waren schwer und stark. Er hatte auch schon versucht, seine Wärter davon zu überzeugen, sie ihm abzunehmen, damit er umhergehen könnte, aber sie hatten nur gelacht. Sein Plan, Par aus den Händen von Felsen-Dall und den Schattenwesen zu befreien, war nur noch eine schwache Erinnerung. Er war so weit davon entfernt wie von seiner Heimat im Shady Vale, und von dort war er so weit entfernt, daß er das Gefühl hatte, er würde wohl niemals dorthin zurückkehren können.
Einer der Männer trat einen Stuhl um, stand auf und verließ den Raum. Coll riskierte einen Blick aus seiner Decke heraus. Das Schwert von Shannara lag auf dem Tisch. Sie spielten darum, wer welchen Anteil daran haben sollte. Die drei am Tisch verspotteten den Hinausgehenden, ließen einander aber auch nicht aus den Augen.
Coll drehte sich wieder der Wand zu und schloß die Augen. Es half nichts, daß diese Männer keine Ahnung von dem wahren Wert des Schwertes hatten. Es half nichts, daß nur er die Magie gebrauchen konnte und daß vielleicht so vieles davon abhing, daß er es einsetzte. Im Augenblick konnte nur noch ein Wunder helfen. Er verschränkte die Hände unter der Decke und stieg zu einem dunklen Ort hinab.
Was soll ich tun?
»Ist er es?«
Mondlicht spiegelte sich auf Matty Rohs glattem Gesicht und gab ihr ein geisterhaftes Aussehen. Damson trank aus dem Wasserschlauch, den sie ihr gegeben hatte, und schaute den Weg zurück, den sie gekommen war, um sicherzugehen, daß ihr niemand gefolgt war. Aber die Nacht war ruhig und das Land leer und wie erstarrt im Sternenlicht.
»Ist er es?« wiederholte Matty aufgeregt.
Damson nickte. »Er muß es sein. Er kauerte an der Rückseite des Raumes unter einer Decke, und ich konnte sein Gesicht nicht sehen, aber das macht nichts. Das Schwert auf dem Tisch war ohne jeden Zweifel das Schwert von Shannara. Er ist es. Sie haben ihn angekettet. Es sind Sklavenhändler, Matty. Ich habe auf dem Rückweg in den Wagen geschaut, und der war voller Fesseln und Ketten.« Sie hielt inne, und ihre Miene verriet Besorgnis. »Ich weiß nicht, wie er an sie geraten ist oder wie er es zulassen konnte, daß sie ihn gefangengenommen haben, aber das hätte eigentlich nicht geschehen dürfen. Die Magie des Wunschgesangs muß diesen Männern doch entgegengetreten sein. Ich verstehe es nicht. Irgend etwas stimmt nicht.«
Matty schwieg und wartete einfach ab.
Damson gab ihr den Wasserschlauch zurück und seufzte. »Ich hätte so gern sein Gesicht gesehen. Er hat einmal aufgeschaut, nur einen Moment lang, aber es war zu dunkel, um es deutlich erkennen zu können.« Sie schüttelte den Kopf. »Sklavenhändler – mit denen kann man nicht verhandeln.«
Matty änderte die Stellung. »Verhandlungen würden solche Männer ohnehin nicht verstehen. Wir sind Frauen. Wenn sie jemals auch nur halbwegs die Chance bekommen, werden sie uns ergreifen, uns zu ihrem Vergnügen gebrauchen und uns dann die Kehlen durchschneiden. Oder sie verkaufen uns zusammen mit dem Talbewohner.« Sie schaute in die Nacht hinaus. »Wie viele habt Ihr gezählt?«
»Fünf. Vier drinnen und einen, der Wache hält. Sie trinken und würfeln und bekämpfen sich untereinander.« Sie hielt hoffnungsvoll inne. »Wenn sie schlafen, könnten wir vielleicht an ihnen vorbeischlüpfen und Par befreien.«
Matty sah sie direkt an. »Das wäre zu riskant im Dunkeln. Wir können sie nicht von uns unterscheiden, wenn es zu einem Kampf kommt. Und wenn der Talbewohner an der Wand festgekettet ist, kostet uns das zuviel Zeit und wird auch zu laut, wenn wir ihn befreien wollen. Außerdem bleiben sie vielleicht die ganze Nacht wach, so wie die Dinge liegen. Das kann man nicht wissen.«
»Laß uns doch eine Weile warten! Einen Tag oder zwei, wenn es sein muß. Früher oder später wird eine Gelegenheit kommen.«
Matty schüttelte den Kopf. »Wir haben nicht soviel Zeit. Wir wissen nicht, wie lange es dauern wird, bis sie ihr Ziel erreichen. Vielleicht sind vor ihnen noch mehr von ihrer Sorte. Nein. Wir müssen jetzt handeln. Noch heute nacht.«
Jetzt war es an Damson, Matty anzustarren. »Noch heute nacht«, wiederholte sie kopfschüttelnd. »Wie?«
»Was glaubt Ihr wohl? Wenn sie eine Möglichkeit gefunden haben, den Talbewohner trotz seiner Magie gefangenzunehmen, sind sie zu gefährlich, als daß man mit ihnen spielen dürfte.« Matty Roh schien etwas abzuzählen. »Wenn wir schnell sind, werden sie tot sein, bevor sie wissen, was geschieht. Könnt Ihr das?«