Sie fand Triss und die Bürgerwehr in ihrem Versteck am Eingang des Tales in einer Ansammlung von Pinien und dichtem Gestrüpp. Die jenseitigen Ebenen waren ruhig und dunstig, und das herannahende Licht vermischte sich mit dem Bodennebel, so daß er wie Schnee leuchtete. Feuchtigkeit lag in der Luft, und sie hatte einen stechenden, kupferartigen Geschmack auf der Zunge.
»Sie sind nicht einmal mehr eine Meile unterhalb unseres Verstecks«, informierte Triss sie leise und ruhig und mit klarem Blick, während er sie ansah. Er hatte dieselbe Art wie einst Garth. »Kundschafter beobachten ihr Herannahen, damit wir nicht überrascht werden. Seid Ihr bereit, Mylady?«
Sie nickte und verbarg Faun in dem Rucksack, den sie extra für ihn mitgenommen hatte. Faun würde sie auch nicht verlassen. »Schickt jemanden zu Tiger Ty, und laßt uns aufbrechen.«
Ein Bote wurde gesandt, und die Männer der Bürgerwehr, bewaffnet mit Langbogen und Köchern mit Pfeilen, glitten aus ihrem Versteck und bahnten sich ihren Weg durch dichte Gräser und Gestrüpp auf die Ebenen hinaus. Die Ebenen waren naß vom Tau, aber der Boden darunter noch so hart wie Fels. Sie gingen langsam und vorsichtig voran, kauerten sich nieder, wenn der Anführer ihnen das Zeichen dazu gab, und achteten aufmerksam auf herannahende Monster.
Tatsächlich war es so, daß sie sie eher hörten als sahen. Die schwer gepanzerten Körper erschütterten den Boden, waren jedoch weitaus leiser in ihren Bewegungen, als Wren gedacht hatte. Die vordersten Kundschafter blieben zurück, um zu berichten, daß die Kriecher vor ihnen und östlich von ihnen waren, nicht mehr als fünfhundert Meter entfernt. Es waren insgesamt acht dieser Wesen, und sie gingen zu zweit nebeneinanderher. Auch Sucher mit schwarzen Gewändern waren bei ihnen, und sie trugen das Wolfskopfemblem, so daß kein Irrtum möglich war. Wren war überrascht. Sie hatte zuvor keine Sucher gesehen. Aber ihre Anwesenheit änderte nichts, und so gab sie Triss den Befehl, die Bürgerwehr sollte ausschwärmen. Lautlos glitten die Männer in den Nebel davon und breiteten sich fächerförmig aus wie Geister.
Dann konnten sie nur warten. Die Sekunden vergingen betäubend langsam. Sie lauschten auf die Geräusche der Kriecher und auf die plötzliche Stille des Landes um sie herum, die ihr Kommen ankündigte. Triss murmelte etwas über den Nebel. Er sah sie an, und sie lächelte. Triss schaute fort. Selbst jetzt noch, nach allem, was sie zusammen durchgestanden hatten, hielt er Distanz. Sie war immerhin die Königin.
Der Himmel wurde allmählich heller, und der Nebel verzog sich.
Die ersten beiden Kriecher tauchten auf, materialisierten sich wie geisterhafte Erscheinungen riesig und wuchtig und ließen die schwarzgewandeten Gestalten neben sich klein wirken. Ungefähr zwanzig Sucher zählte Wren schnell.
Sie griff in ihre Tunika und nahm die Elfensteine hervor. Die Steine lagen angenehm in ihrer Handfläche und glitzerten wie kleine blaue Flammen. Nur ich kann sie gebrauchen, dachte sie. Sie schloß ihre Finger und wartete.
Als das zweite Paar Kriecher direkt vor ihr war, erhob sie sich, streckte die Elfensteine vor, rief die Magie darin herauf und ließ das blaue Feuer zuschlagen. Es schoß durch das Halblicht und den Nebel und schlug in das erste Schattenmonster ein. Die Kriecher wichen erschreckt zurück, als einer von ihnen rauchend und brennend zu Boden fiel. Die anderen wirbelten zu ihr herum, und sofort griff die Bürgerwehr an. Ein Regen von Pfeilen ging auf die Kriecher und die Schattenwesen nieder, und die Elfen stießen schrille Schreie aus. Einige Momente der Verwirrung entstanden, während der die Kriecher und ihre Wärter unsicher umhertaumelten, und dann gingen sie polternd zum Gegenangriff über und stürzten auf der Suche nach ihren Gegnern über das Grasland.
Aber die Bürgerwehr wich bereits zum Waldrand hin zurück, feuerte Pfeile ab, schrie Flüche und rannte um ihr Leben. Die Kriecher waren groß, aber sehr schnell, und sie begannen den Abstand zu verringern. Wren behinderte sie mit einem Angriff blauen Feuers aus den Steinen, zog sich dabei aber mit Triss ebenfalls zurück. Der Kriecher, der zu Boden gegangen war, stand bereits wieder aufrecht, und alle acht kamen auf sie zu. Das war es, worauf sie gehofft hatte, was sie erwartet hatte, aber jetzt, wo es tatsächlich geschah, war es beängstigend. Als sie durch den Nebel taumelten, sah sie wieder den Wisteron auf Morrowindl vor sich, diesmal aber in achtfacher Ausführung, und sie mußte die Angst bekämpfen, die die Erinnerung hervorrief. Sie konnte das Kratzen der Klauen und das Zusammenschlagen der Kiefer und Scheren hören. Sie sah die Bäume im Westen in Sicht kommen, steckte die Elfensteine in ihre Tasche und stürmte davon.
Sie betraten das Tal vor den Kriechern und machten sich nicht die Mühe, ihren Schritt zu verlangsamen, um nachzusehen, ob sie verfolgt wurden, denn die Geräusche hinter ihnen waren unmißverständlich. Auf halbem Wege durch das Tal hindurch wandte Wren sich um, nahm die Elfensteine erneut hervor und sandte eine Wand blauer Flammen zum Eingang zurück. Sie konnte die Kriecher wütend aufschreien hören, ein Geräusch, das an das Kratzen rostigen Metalls erinnerte und schrill und unmenschlich klang. Die Kriecher drangen mit rauchendem Fleisch und dampfenden Rüstungen durch die Wand hindurch. Sie griff sie erneut an, erhob sich durch ihre Macht auf die Zehenspitzen und wurde so von der Magie aufrecht gehalten, daß sie dachte, sie könnte auf der Luft schweben. Erfüllt von ihrer Macht, begann sie herausfordernd zu schreien.
»Genug!« rief Triss und riß sie zurück. »Lauft, jetzt!«
Verärgerung über seine Einmischung flammte in ihren Augen auf. Sie schloß ihre Finger über den Elfensteinen und fuhr mit einem Keuchen herum und riß sich los. Aber sie tat, wozu er sie drängte, lief mit ihm in das jenseitige Tal hinein, in die Bäume und die kühlen Schatten. Sie atmete, als könne sie niemals wieder genug Luft in ihre Lungen bekommen, und spürte die Magie drängend und fordernd durch ihren Körper hindurchrauschen und spürte ihre Bitte, befreit zu werden, ihre Bitte, gebraucht zu werden. So viel Macht! Sie ballte die Hände zu Fäusten und lief weiter.
Sie eilten durch das Tal hinauf und in den jenseitigen Wald hinein, und die Elfenjäger bahnten Wren und Triss und einer Handvoll Männern der Nachhut den Weg. Die Kriecher kamen heran und rissen alles in ihrem Weg in Stücke, angefangen von Gestrüpp bis hin zu kräftigen Bäumen. Das Geräusch ihrer ZerStörung war erschreckend. Es funktionierte, dachte Wren. Es lief wie geplant. Aber die Kriecher waren zu schnell!
Auf einer Lichtung vor ihnen warteten die Flugreiter mit ihren Tragekörben. Die Bürgerwehr kletterte hinein, alle außer Triss, der darauf bestanden hatte, bei Wren zu bleiben. Die Rocks erhoben sich himmelwärts und verschwanden gen Westen. Wren überquerte die Lichtung zu den Bäumen und nahm erneut die Elfensteine hervor. Als die Kriecher erschienen und sich mit den Schultern wütend ihren Weg durch das Unterholz bahnten, sandte sie das Feuer erneut in das Gewirr gezackten Metalls und stachelbewehrter Glieder und verbrannte diesmal auch die andere Seite der Lichtung und verwischte alle Spuren der Flucht der Bürgerwehr. Unterdessen kamen die Monster immer näher.
Dann trat sie wieder zurück und rannte mit Triss in die Dunkelheit vor ihnen. Stresa erschien plötzlich vor ihnen auf dem Weg und übernahm die Führung. Er sagte nichts, schaute nicht einmal zu ihnen zurück, während seine wuchtige Gestalt sich weitaus schneller bewegte, als es möglich schien, und er sie direkt auf die Düsterkeit zuführte, die den östlichen Rand jenes weiten Sumpfes begrenzte, der Matted Brakes genannt wurde.
Wren schaute einmal zurück, um sicherzugehen, daß die Kriecher ihnen noch immer folgten, und lief dann weiter. Sehr bald befanden sie sich in den Brakes. Kommt mir nach, kommt mir nach, wiederholte sie im Geiste wieder und wieder und hoffte inständig, daß es so sei. Ihr Plan zur Vernichtung der Kriecher war einfach. Es ging darum, sie auf den Ebenen mit soviel Männern anzugreifen, daß sie glaubten, sie seien eine Vorhut der Elfenarmee oder ein erheblicher Teil davon. Damit sollten sie in den Wald jenseits der Matted Brakes gelockt und einen Pfad hinabgeführt werden, den Stresa ausgewählt hatte und den sie nicht kannte. Er würde sie in eine Falle geleiten, der sie nicht würden entkommen können – in eine Falle, in der ihre Kraft und Verschlagenheit nutzlos sein würden.