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Vor ihnen war eine Insel, wenig mehr als ein flacher Streifen felsverkrusteter Erde, die mit Gestrüpp und einer kleinen Gruppe von Zypressen bewachsen war. Die Brücke führte auf diese Insel und wand sich dann jenseits wieder weiter. Bar allen Lebens lag sie allein im Nebel.

»Beeile dich!« hörte sie Stresa zischen.

Sie schaute erneut zurück und sah die Kriecher, alle acht, wie sie sich ihren Weg über das von Wurzeln durchsetzte Stück Land bahnten, das sich hinter ihr erstreckte. Die Sucher liefen hinterher. Einige schrien, und die meisten kämpften darum, nicht zerquetscht zu werden. Die Kriecher waren außer Kontrolle, weil sie ihre Beute so nah sahen, und spürten, daß sie sie in wenigen Augenblicken erwischen konnten. Sie kamen sehr schnell heran, ohne auf die Gefahren um sie herum zu achten. Sie vertrauten allein auf ihre Kraft und ihre Panzer. Die Elfenmagie mochte vielleicht brennen, aber sie konnte nicht zerstören. Jäger dachten nur daran zu jagen, niemals daran, sich zu verbergen, niemals daran, zurückzukehren. Einer glitt aus und fiel, zappelte einen Moment lang in dem stehenden Wasser des Sees herum, bevor er sich wieder herauskämpfen konnte.

Kommt mir nach, zischte sie ihnen lautlos zu. Kommt und seht, was ich für euch geplant habe.

Dann war sie auf der Insel und wandte sich erneut um, während sich das Feuer der Elfensteine in ihrer Hand bereits aufbaute. Sie empfand Kälte, als sie erkannte, daß sie vielleicht schon zu lange gewartet hatte und daß der erste Kriecher nur noch weniger als fünfzig Meter entfernt war. Sie zwang die Magie schnell herauf und ließ das Feuer nicht in die Kriecher, sondern in den See um sie herum schießen, in die Grate mit ihren Atemlöchern, in die Wesen.

Der See explodierte in Geysiren, die Hunderte von Fuß in die Luft schössen, als sich die dunklen Umrisse himmelwärts hoben wie aus dem Wasser springende Wale. Auf der Brücke wurden die Kriecher langsamer. Sie waren verwirrt, was da vor sich ging, und ihre Eisenkiefer knackten, und ihre Klauen schabten auf der Erde. Der See brodelte und schäumte um sie herum, und dann griffen die Wesen an. Sie fuhren aus dem stehenden Grün heraus, aus dem unermeßlich tiefen, schattenhaften Dunkel, und rissen die Kriecher von der Brücke herab. Die Monster schlugen wild um sich, konnten aber im Wasser keinen Voneil erringen und wurden außer Sichtweite gezogen. Die Sucher nahmen schreiend den gleichen Weg. Es geschah so schnell, daß es vorbei war, fast bevor es begonnen hatte. Es dauerte nur Sekunden, während der der See gewaltig aufgewühlt wurde, die Dunkelheit sich erhob und Eisen und Fleisch um sich schlugen. Und dann waren die Kriecher fort.

Bis auf einen, denjenigen, der der Insel am nächsten gewesen war. Dieser kam heran, stampfte über die Überreste der schmalen Brücke und erschütterte die Erde mit der Wut seines Angriffs. Wren verlagerte das Feuer, um ihn zu treffen, aber er kam durch die Flammen hindurch, als wären sie nicht mehr als goldene und scharlachrote Blätter. Kurz darauf befand er sich bereits auf der Insel. Er war so riesig, daß er den ganzen Sumpf jenseits der Stelle ausschloß, an der sich die letzten Wellen wieder zu einer stillen, leeren Oberfläche glätteten. Triss schrie und sprang mit gezogenem Schwert zu Wrens Verteidigung heran. Stresa schrie wild auf, und sogar Faun war aufgetaucht, hatte sich aus dem Rucksack befreit und kreischte vor Angst.

Dann schnellte schneller als ein Gedanke ein dunkler Umriß aus dem Nebel herab, und Spirits Klauen zerrten am Kopf des Kriechers, rissen ihn zurück und stießen ihn beiseite. Der Kriecher sprang auf die Füße und wirbelte zornig herum. Spirit strich an ihm vorbei, beschrieb eine Kurve, schwang herum und griff ihn ein zweites Mal an und schlug ihn noch weiter zurück. Triss ergriff Wren um die Taille, warf sie sich über die Schulter und rannte über die Insel und zurück auf die Brücke. Nein! wollte sie ihn warnen. Die Wesen sind noch immer dort draußen! Aber der Atem war aus ihren Lungen herausgepreßt worden, und sie konnte Triss nur erfolglos mit den Fäusten bearbeiten. Faun schnatterte vor ihnen mit Stresa.

In den tiefen Schatten des Sees entstand neuerliche Bewegung.

Aber Tiger Ty hatte die Aufgabe nicht vergessen, die Wren ihm zugeteilt hatte, und Spirit strich ein drittes Mal über den See, ignorierte den Kriecher und kam auf die Brücke zu. Da Spirit ihnen gefolgt war, seit sie den Sumpf betreten hatten, war er jetzt bereit, sie in Sicherheit zu bringen. Seine Klauen streckten sich nach einem sicheren Halt auf dem Steg aus, und der große Rock hielt sich dort lange genug, daß Triss Wren wie einen Sack Federn Tiger Ty zuschieben und ihr hinauf folgen konnte, daß Faun hinterhereilen und sogar Stresa hinaufgehoben werden konnten. Dann erhob sich Spirit erneut und entkam gerade eben den riesigen Kiefern, die sich aus dem Sumpf streckten, über die Brücke fuhren und erfolglos zuschnappten.

Sie stiegen langsam hoch, und Wren richtete sich auf, zog ihre Haltegurte fest und schaute hinab. Der letzte der Kriecher kauerte auf der Insel. Auf allen Seiten wurde er von den Schrecken des Sees gefangengehalten. Schatten sprenkelten ihn wie eine Krankheit. Er konnte nicht entkommen und würde dort in dem Sumpf sterben wie die anderen. Wren starrte ihn unverwandt an und empfand nichts.

Spirit durchbrach den Nebel und flog in das Sonnenlicht über den Wolken. Wren mußte in der plötzlichen Helligkeit blinzeln. Der Sumpf und alles, was in Nebel und Dunkelheit verborgen war, verschwand unter ihnen.

Wie Morrowindl, in die Vergangenheit verbannt...

Wren wandte ihr Gesicht der Sonne zu und schaute nicht mehr zurück.

32

Zwielichtschatten streckten ihre Finger in die Nacht, und der Himmel über der Südwache war dicht vor Wolken, die die Sterne und den Mond ausschlossen und Kühle und Feuchtigkeit vor der Dämmerung versprachen. Die Hitze des Tages nahm schnell ab, und Staub und Sand ließen sich als winzige Teilchen, die wie Elfen tanzten, wieder auf der Erde nieder. Es war unwahrscheinlich, daß auch nur die kleinste Brise aus dem Runne herabwehen würde. Stille senkte sich über das Land, so weich wie Satin und so zerbrechlich wie Glas. Auf der Erde kauerte Nebel in langen Ranken, die sich durch Senken und über Grate hinwegwanden und das vergiftete Grasland um den Schattenwesenkeep in eine weite weiße See verwandelten.

Schäumend und wirbelnd begann die See unruhig zu werden. Es war eine Zeit für Geister, die auf dem Wind segelten wie Schiffe auf dem Meer, für Wesen, die einhergehen konnten, ohne bei ihrem Vorüberziehen Fußabdrücke zu hinterlassen. Es war eine Zeit, in der die Hoffnungen und Erwartungen und Ängste und Zweifel des Tages Gestalt annehmen und hervorkommen und nach einer Stimme suchen konnten, die mit ihnen sprach und sie Erlösung aus neubegründetem Glauben finden ließ. Es war eine Zeit, in der der Verstand den Weg freigeben mußte für das, was nur die Vorstellungskraft allein erfassen konnte. Es war eine Zeit für Träume.

Walker Boh berief die Seinen herauf und beobachtete, wie sie sich schnell und sicher näherten wie ein herabgleitender Falke, und als der ihn erreichte, streckte er sich, um ihm zu begegnen, erhob sich so leicht wie Luft aus seinem Körper, klammerte sich fest und wurde emporgehoben. Lautlos, unsichtbar, eins mit den Geistern der Nacht, schwebte er aus den Wäldern an den Hängen des Runne herab, eilte mit der grausamen Gewißheit des herannahenden Todes durch die dunklen Stämme und belaubten Zweige und durch alle Stille und Schwärze. Er hielt sich so ruhig wie Eis im Winter, während er auf die jenseitigen, verdorrten, kahlen Ebenen hinausschwebte, durch den Nebel auf den wartenden schwarzen Obelisken zu. Er bewegte sich auf die Art der Druiden fort, auf die Art, die Allanon ihn gelehrt hatte, als ein entkörperlichter Geist. Seine Erinnerungen wanden sich um ihn herum und zerrten an ihm, jene Allanons und jene des Mannes, der er gewesen war. Er erinnerte sich sofort an beide und sah sich wieder als einen Geächteten, der nicht hatte glauben wollen und gegen die Umwandlung angekämpft hatte, die die Druidenmagie unweigerlich bewirkt hatte. Und Walker Boh sah sich auch wieder als Druidenschatten, der die Ereignisse in Bewegung gesetzt hatte, die in dieser Umwandlung gipfeln würden, indem sie Brin Ohmsford das Vermächtnis hinterließen, das schließlich in ihm seine Erfüllung finden würde. Es war seltsam, mehr als eine Person zu sein, und doch war es auch richtig. Er war niemals in Frieden mit sich selbst gewesen, und seine Unzufriedenheit lag zum großen Teil in einem Gefühl der Unvollkommenheit begründet. Jetzt war er vollständig, ein Mann, der aus vielen anderen entstanden war. Er lernte noch immer, zu sein, was er geworden war, sich mit dem, was er war, wohl zu fühlen, aber er begann allmählich, sich eins zu fühlen, und er glaubte zumindest, es zu sein.