»Wir gehen zu ihm hinunter, Talbewohner«, antwortete der andere. »Wir gehen zu ihm, bevor es zu spät ist.«
»Nicht wir alle«, wandte Morgan hastig ein und blickte zu den Frauen.
Walker sah ihn an. »Sie haben sich entschlossen zu gehen, Hochländer.«
Morgan weigerte sich nachzugeben. Er wollte nicht, daß Damson und Matty in das Schattenwesenversteck hinabgingen. Die Männer besaßen alle Magie irgendeiner Art, um sich zu schützen. Die Frauen hatten nichts. Das schien falsch.
»Ihr könnt uns nicht zurücklassen«, wandte Damson schnell ein, und er sah Matty zustimmend nicken.
»Es ist zu gefährlich«, hörte er sich einwenden. »Wir können Euch dort nicht beschützen. Ihr müßt hierbleiben.«
Sie sahen ihn an, und er hielt ihrem Blick stand. Einen Moment lang sagte niemand etwas, sie standen zu dritt dicht beieinander in der Dunkelheit, und keiner wagte es, mehr zu sagen.
Dann hob Walker auf einmal die Hand, winkte Damson und Matty zu sich heran und bedeutete Morgan und Coll mit derselben Bewegung, sie sollten zurücktreten. Er war größer, als Morgan in Erinnerung gehabt hatte, und auch breiter, als sei er gewachsen und habe an Gewicht zugenommen. Das war natürlich nicht möglich, aber es schien so. Es schien, als sei er mehr als ein Mann. Er füllte den Raum zwischen ihnen gewaltig und ehrfurchtgebietend aus, und die Nacht um sie herum war plötzlich still vor Erwartung.
»Ich kann Euch keine Magie geben, mit deren Hilfe Ihr kämpfen könntet«, sagte er sanft zu den Frauen, »aber ich kann Euch Magie geben, mit deren Hilfe Ihr Euch vor den Angriffen der Schattenwesen schützen könnt. Bleibt jetzt ruhig stehen. Bewegt Euch nicht.«
Er streckte dann die Hand aus und durchschnitt damit die Luft über ihnen. Sie wurde von einer Helligkeit erfüllt, die sich auszubreiten und herabzusenken schien wie Staub, brannte und wieder verging, während sie die Frauen berührte. Walker führte seine Hand an einer Seite aufwärts und an der anderen wieder hinab, überzog sie von Kopf bis Fuß mit dieser Helligkeit, ließ sie kurzzeitig schimmern und kleidete sie dann erneut in Dunkelheit.
»Wenn Ihr entschlossen seid zu gehen«, sagte er, »dann wird Euch das helfen, sicher zu sein.«
Er versammelte sie wieder alle um sich, wie ein Vater kleine Kinder in seiner Umarmung versammelt. Er wirkte plötzlich müde und verloren, aber auch entschlossen. »Wir werden tun, was wir tun müssen und können«, belehrte er sie. »Alles, wofür wir gekämpft haben, jeder Weg, den wir beschritten haben, jedes Leben, das auf diesem Weg aufgegeben wurde, war dafür. So wurde es mir nach der Rückkehr Paranors von Allanon gesagt und noch einmal nach meiner eigenen Umwandlung, nachdem Cogline sein Leben für meines gegeben hatte. Das Ende der Schattenwesen oder unser Ende wird dort stattfinden. Niemand muß gehen, der es nicht will. Aber jeder wird gebraucht.«
»Wir werden gehen«, sagte Damson schnell. »Wir alle.«
Die anderen, sogar Morgan Leah, nickten zustimmend.
»Fünf also.« Walker lächelte leicht. »Wir werden zuerst versuchen, Par zu befreien, um ihm wieder den Gebrauch seiner Magie zu ermöglichen. Wenn wir damit Erfolg gehabt haben, werden wir in die Keller hinabsteigen. Wir sollten jetzt aufbrechen, damit wir in der Dämmerung in die Südwache hineingelangen können.« Er hielt inne, als suche er nach etwas, was er noch sagen wollte. »Paßt auf euch auf. Bleibt dicht bei mir.«
In der Dunkelheit des Hains sahen die fünf einander an und besiegelten schweigend den Pakt. Sie würden zu beenden versuchen, was so viele vor so langer Zeit begonnen hatten, und wenn sie es sich vielleicht auch anders gewünscht hatten, waren sie doch die einzigen, die noch übriggeblieben waren, um es zu tun.
Als stumme Schatten glitten die drei Männer, die zwei Frauen und die Moorkatze aus dem Wald hinaus und den Berghang hinab in das herannahende Licht.
33
Zwei Tage nach der Vernichtung der Kriecher in den Matted Brakes griffen die Elfen die Föderationsarmee auf den Ebenen unterhalb des Tales von Rhenn an. Sie schlugen unmittelbar vor der Dämmerung zu, als das Licht schwach und der Schlaf in den Augen ihrer Feinde noch dicht war. Der Himmel war vom Regen, der die ganze Nacht angehalten hatte, bewölkt, die Luft roch feucht und kühl, und der Boden war durchnäßt und bewegte sich trügerisch unter den Füßen. Das Land ringsum war von einer tiefliegenden Nebeldecke erfüllt, die sich von den Westlandwäldern bis zum Sonnenaufgang erstreckte. Das Grasland wirkte wie eine gespensterhafte Unterwelt, Schatten bewegten sich im Nebel, der Himmel war schwarz und bedrohlich und drückte auf die Erde nieder, und die Geräusche erklangen gedämpft und undeutlich und ließen Dinge vermuten, die nicht da waren. Alles sah aus wie etwas anderes und wurde auch so empfunden. Der Zeitpunkt war wie geschaffen für die Elfen.
Sie hatten überhaupt nicht angreifen wollen. Sie hatten eine Verteidigung geplant, die am Tal von Rhenn beginnen und je nach Lage auf die Heimatstadt Arborlon zurückweichen sollte. Aber Barsimmon Oridio war am Tag zuvor angekommen. Seine Truppen hatten sich schließlich mit Wren Elessedil und der Vorhut vereinigt, hatten die Elfenarmee zum ersten Mal zu voller Stärke anwachsen lassen, und nachdem die Elfenkönigin und der Befehlshaber mit Desidio, Tiger Ty und einer Handvoll hochrangiger Befehlshaber der Hauptarmee beratschlagt hatten, war es beschlossene Sache, daß es keinen Sinn hatte, auf einen Föderationsangriff zu warten, weil das der Föderation nur zusätzliche Zeit verschaffte, weitere Verstärkung heranzuholen. Die beste Verteidigung schien ihnen jetzt ein unerwarteter Angriff zu sein. Es war Desidios Vorschlag, und Wren war überrascht, daß er diesen Vorschlag machte, und war sogar noch überraschter, daß Bar ihn annahm. Aber der alte Befehlshaber war kein Narr, wenn er auch von Natur aus konservativ und einseitig in seinem Handeln war. Er erkannte die Gefahren ihrer Situation und erkannte ausreichend deutlich, was notwendig war, um die zahlenmäßige Überlegenheit der Föderation auszugleichen. Wenn man ihn richtig durchführte, konnte ein Angriff erfolgreich sein. Er organisierte die Durchführung, überwachte sie persönlich und setzte sie in der Dämmerung des folgenden Tages in Gang.
Die Föderation war noch immer wachsam. Sie hatte jetzt den größten Teil der Ebenen überquert und beabsichtigte, die letzten wenigen Meilen nach Sonnenaufgang zurückzulegen und gegen Mittag in das Tal zu ziehen. Sie konnten innerhalb des Rhenn nicht in Sicherheit lagern, weil sie wußten, daß die Elfen dort ihre Verteidigungslinien errichtet hatten, und sie glaubten sicher sein zu können, daß die Elfen sie dort erwarten würden. Wieder einmal vermuteten sie falsch. Die Elfen krochen aus dem Wald im Westen heran, während es noch dunkel war, stellten ihre Bogenschützen in Dreierlinien an der Flanke des Feindes auf und dahinter ein Dutzend Reihen mit Fußsoldaten, die mit Speeren und Kurzschwertern bewaffnet waren. Eine zweite Einheit von Bogenschützen und Fußsoldaten sowie die gesamte Kavallerie wurden aus dem Tal hinaus gen Osten gesandt, um eine zweite Angriffslinie an der nordöstlichen Seite des Föderationslagers aufzustellen. Das alles geschah in absoluter Stille, denn die Elfen wandten die heimlichen Taktiken an, die sie auf Morrowindl sogar noch perfektioniert hatten: eine langsame, aber stetige Vorbereitung und die Zergliederung der Armee in Trupps und Patrouillen, die einzeln ausgesandt wurden und sich am Angriffspunkt wieder sammelten. Die Elfen hatten zehn Jahre lang unter Vorgaben wie diesen gekämpft. Sie wichen nicht zurück, und sie hatten keine Angst. Sie kämpften um ihr Leben, aber das taten sie schon seit langer Zeit.
Die Bogenschützen an der Westflanke griffen als erste an und ließen Pfeile auf das erwachende Lager herabregnen. Während die Föderationssoldaten aufsprangen, nach ihren Rüstungen und Waffen griffen und der Schlachtruf ertönte, gingen die Elfenjäger mit gesenkten Speeren vorwärts, kamen zwischen den Bogenschützen hervor und drangen ins feindliche Lager ein. Während sie sich ihren Weg durch das Handgemenge bahnten, lösten die Bogenschützen oberhalb der Föderation eine zweite Geschoßfront aus. Inzwischen waren die Südländer davon überzeugt, daß sie umzingelt waren, und versuchten sich auf allen Seiten zu verteidigen. Die Elfenkavallerie, ein relativ kleiner Trupp, kam aus dem Nebel herab, um die noch immer zerrüttete Föderationsabwehr noch mehr zu verwirren und zum Zurückweichen zu zwingen. Auf den Ebenen, auf denen die Föderation lagerte, war überall ein Meer kämpfender, wogender Körper zu sehen.