Auf einmal sprang Faun in den Kampf, warf seinen kleinen Körper dem nächststehenden Angreifer entgegen, zog und zerrte und riß mit seinen Klauen und Zähnen an ihm. Der dahinter herannahende Sucher verlangsamte seinen Schritt. Er war nicht sicher, was sich ihnen entgegenstellte, denn er war von dem plötzlichen Auftauchen des Baumschreiers überrascht worden. Wren stolperte erneut rückwärts und kämpfte sich hoch. Faun! versuchte sie zu rufen, aber ihre Kehle schnürte sich bei dem Schrei zusammen. Der Sucher, den Faun angegriffen hatte, schlug wild um sich, riß den kleinen Körper von seinem Gesicht fort und warf ihn zu Boden. »Nein!« heulte Wren und hob den Arm, der die Elfensteine hielt. Faun traf auf dem felsigen Untergrund auf, und der Sucher senkte den Stiefel. Das Geräusch brechender Knochen und ein schriller Schrei erklangen.
Und damit zersprang alles in Wren Elessedil, ein Wirbelwind des Zorns und der Qual und der Verzweiflung löste sich, und aus seinem Kern erhob sich die Magie der Elfensteine. Sie brach in ihrer Faust aus, zerriß den Lederbeutel, drang zwischen ihren Fingern hindurch, wie Wasser durch Sand rinnt. Sie erwischte den Sucher, der über Faun stand, und verschlang ihn. Sie raste auf die anderen zu, die sie zu erreichen versuchten, und prallte in sie hinein. Sie gingen zu Boden, als wären sie aus Papier, als würden sie zerschnitten und wieder zuammengeklebt und an Fäden aufgehängt, um der Kraft und Gewalt eines Sturmwinds zu widerstehen. Einige gelangten vorbei und erreichten sie, Hände ergriffen sie und rissen an ihr. Einige hielten sie fest und wollten sie überwältigen. Aber Wren war über ihre Macht, über ihre Empfindungen, über alles außer über die Elfenmagie hinausgelangt, während sie durch sie hindurchrauschte. Sie war ihrem Zweck übergeben worden, und nichts konnte sie zurückbringen, bis dieser Zweck erfüllt war. Die Magie fuhr erneut herum, um jene zu erwidern, die sie ergriffen hatten, und riß sie fort wie lose Fäden ihrer Kleidung. Sie wandte sich um, um sie zu vernichten, und sie verbrannten in den Flammen der Magie wie Laub. Sie gab keinen Laut von sich, während sie sie bekämpfte, all ihre Worte waren vergessen, und ihr Gesicht war zu einer Todesmaske verzerrt. Die Schlacht zwischen den Elfen und der Föderation verschwand in einem roten Nebel. Sie konnte über den Boden hinaus, auf dem sie kämpfte, nichts mehr sehen. Sucher griffen sie an und starben in dem Feuer der Elfensteinmagie, und der Geruch ihrer Asche war alles, was sie wahrnahm.
Dann war sie plötzlich wieder allein, und die letzten der Sucher liefen auf den Wald zu. Sie flohen voller Entsetzen, und ihre zerrissenen schwarzen Gewänder rauchten. Wren sammelte das Feuer ein und ließ es hinter ihnen herschießen, und damit schwand ihre letzte Kraft. Ihr Arm sank herab, und das Feuer erlosch. Sie fiel auf die Knie. Das Gras um sie herum war schwarz verkohlt und stank. Zwischen den Körpern der Angehörigen der Bürgerwehr waren überall Aschehaufen zu sehen. Sie hörte Rufe von den Hängen unter ihr, wo Triss und der Hauptteil der Bürgerwehr ihre Posten bezogen hatten, um der Föderation entgegenzutreten. Berührt mich nicht, sagte sie als Antwort. Kommt mir nicht nahe. Aber sie war nicht sicher, ob sie die Worte ausgesprochen hatte oder nicht. Die Rufe schwollen an und hallten jetzt von überall rund um das Tal von Rhenn her wider. Etwas geschah. Etwas Unerwartetes.
Sie stand mühsam wieder auf und schaute durch das schwindende, dunstige Licht hinaus.
Weit im Osten, jenseits der Stelle, an der sich der Eingang des Tals zum Grasland hin öffnete, war eine neue Armee erschienen. Sie kam eilig heran, die Kämpfer schwenkten ihre Waffen und stießen Kampfschreie aus. Sie kamen fast alle zu Fuß und waren mit Schwertern und Bogen bewaffnet. Sie schlössen sich aber nicht den Föderationskräften an, wie sie zunächst geglaubt hatte, sondern griffen die Südländer statt dessen mit unvergleichlichem Zorn und unvergleichlicher Entschlossenheit an und drängten in sie hinein wie ein Fels in feuchte Erde. Die Schreie, die sie ausstießen, waren selbst dort noch zu hören, wo sie stand. Geäch- tete! Geächtete! Sie rollten über den Wahnsinn hinweg wie ein frischer Wind über einen Sumpf. Und dann kam über die Hänge, an denen die Elfen gestanden hatten und gestorben waren und rückwärts getrieben worden waren, Woge um Woge schwer gerüsteter Körper heran, die wie aus Stein gemeißelt schienen. Felsentrolle, die acht Fuß lange Speere, Streitkolben, Äxte und große eisenbeschlagene Schilde mit sich trugen, marschierten im Gleichschritt aus der Dämmerung heran und in die Reihen der Föderation hinein.
Wie ein Mann zusammenstehend, fuhren die Geächteten und die Felsentrolle in die Südlandarmee hinein. Mehrere Minuten lang hielten die Föderationssoldaten stand, da sie ihren Angreifern an Zahl noch immer weit überlegen waren. Aber dieser neuerliche Ansturm war zuviel für Männer, die bereits seit Sonnenaufgang gekämpft hatten. Die Südlandsoldaten fielen zunächst nur langsam zurück, dann schneller, und schließlich wandten sie sich um und liefen davon. Das Tal von Rhenn leerte sich von Südlandtruppen, als der Föderationsangriff zerfiel. Elfen beteiligten sich an der Verfolgung, und die vereinten Armeen der Geächteten, der Felsentrolle und der Elfen trieben die Masse der Föderierten zurück in den Nebel und die Dämmerung im Süden und hinterließen erneut Spuren der Vernichtung, tränkten den Boden erneut mit Blut.
Wren wandte sich um, um Faun zu suchen. Sie hörte, wie Triss nach ihr rief, während er den Hang hinter ihr heraufkam, hörte auch die Geräusche der Bürgerwehr, die ihn begleitete. Sie antwortete nicht. Sie stieß die Elfensteine in ihre Tunikatasche, als wären sie mit der Pest belegt, und ließ sie dort, die Hände noch immer vom Feuer der Magie kribbelnd, ihr Geist noch immer erfüllt von einem seltsamen Brummen. Faun lag zertreten inmitten von Aschehaufen. Überall war Blut. Wren kniete sich neben den Baumschreier und hob die zerschmetterte Gestalt in ihre Hände.
Sie hielt das kleine Wesen noch immer geborgen, als Triss und die Bürgerwehr sie schließlich erreichten. Sie schaute nicht auf. Sie konnte es nicht erklären, aber sie hatte das Gefühl, als berge sie das ganze Elfenvolk.
34
Der Angriff auf die Südwache begann weniger als eine Stunde vor Einbruch der Dämmerung. Ohne Zwischenfälle konnten sie sich ihr nähern. Wolken verdeckten weiterhin den Himmel, schlossen das Licht des Mondes und der Sterne aus und hüllten die darunterliegende Erde in eine weiche, schimmernde Decke der Dunkelheit. Unter den Wolken stieg Nebel vom Boden auf und hing in den Bäumen und Büschen und Gräsern wie Holzrauch. Die Nacht war still und tief, ohne jedes Geräusch oder eine Bewegung, und auch auf dem verdorrten und kargen Land rund um den Keep regte sich nichts.
Walker Boh führte sie aus dem Hochland auf die Ebenen hinab, führte sie durch den Nebel und die Schatten, gebrauchte seine Druidenmagie dazu, sie mit Stille zu umgeben. Sie glitten wie Geister durch die Dunkelheit, so unsichtbar wie Gedanken und so leicht wie fließendes Wasser. Die Schattenwesen waren in dieser Nacht nicht unterwegs, oder zumindest nicht da, wo die fünf Menschen und die Moorkatze gingen, und das Land gehörte nur ihnen. Walker dachte an seinen Plan. Er dachte, daß sie niemals genug Zeit haben würden, Par zu finden, ihn von seinen Fesseln zu befreien und in den Keller hinabzusteigen. Sie würden das Schwert von Shannara brauchen, um die seltsame Macht des Wunschgesangs über Par zu brechen, und die Schattenwesen würden sie in dem Moment, in dem das Schwert benutzt wurde, von allen Seiten angreifen. Es war notwendig, Par aus seinem Gefängnis heraus und in den Keller hinabzubringen, bevor das Schwert gebraucht wurde. Er dachte darüber nach, wie das gelingen konnte.
Coll Ohmsford dachte ebenfalls nach. Er dachte, daß er vielleicht im Irrtum war, wenn er glaubte, daß das Schwert von Shannara seinem Bruder helfen könnte. Es war möglich, daß die Wahrheit, die er enthüllen wollte, Par nicht befreien, sondern in den Wahnsinn treiben würde. Denn wenn die Wahrheit darin bestand, daß Par ein Schattenwesen war, dann war dies alles sinnlos. Vielleicht hatte Allanon das Schwert für einen anderen Zweck gedacht, sorgte er sich – für einen Zweck, den er noch nicht erkannt hatte. Vielleicht konnte das Schwert gegen Pars Zustand gar nicht helfen.