Sie mußten nicht fragen, von wem er sprach. »Was meinst du?« Coll packte seinen Umhang und zog Walker heftig herum.
Walkers Augen waren so hart wie Stein, als sie denen des Talbewohners begegneten. »Er hat die Magie eingesetzt, aber die Kontrolle darüber verloren. Er gebraucht sie gegen alles. Jetzt laß mich los!«
Er wand sich frei und wirbelte herum, legte seine Hände gegen die Steintür und drückte dagegen. Licht flackerte von seinen Handflächen auf, schoß von seinen Fingerspitzen in die Fugen der wuchtigen Tür und rann durch den Türspalt. Die Schlösser schnappten auf, und die Eisenriegel zerbrachen. Die Zeit der Heimlichkeit und Vorsicht war vorbei. Die Türen bebten und gaben mit einem Knirschen des Metalls nach.
Sie waren sofort hindurch und bewegten sich durch die Dunkelheit, die noch intensiver war als die Nacht und sich auf ihrer Haut kalt und feucht anfühlte. Sie atmeten Staub und Schalheit, aber es waren nicht Alter und Nichtverwendung, die sie wartend vorfanden, sondern eine furchtbare Fäulnis, die von etwas Gefangenem und Sterbendem zeugte. Sie mußten würgen, und Walker ließ Licht in die dunklen Ecken des Raumes gleiten, den sie betreten hatten. Es war ein großer Vorraum zu einer Reihe von Gängen, die unter einem Steg hindurchführten. Dahinter war durch einen gewölbten Durchgang ein leerer Hof zu sehen.
Irgendwo in der fernen Schwärze konnten sie Schreie hören, Verbranntes riechen und das weiße Flackern von Pars Magie sehen.
Ondit lief bereits voraus. Er trottete den Vorraum entlang und lief durch den Durchgang auf den Hof. Walker und die anderen folgten ihm mit grimmigen Gesichtern. Schatten bewegten sich am Rande der Lichtwirbel, und Geräusche drangen auf sie ein, aber nichts griff sie an. Während sie geduckt den Hof überquerten, schauten sie wachsam nach links und nach rechts. Die Schattenwesen waren da, irgendwo in der Nähe. Sie erreichten das andere Ende des Hofes, folgten noch immer den Geräuschen und Blitzen im Inneren und brachen in einen Gang durch.
Vor ihnen führte eine Treppe in den dunklen Turm hinauf, wand sich aufwärts in die Schwärze, die jetzt von dem hellen Flackern des weißen Feuers der Magie durchbohrt wurde. Par kam herab. Sie standen wie festgefroren, während er sich näherte, denn sie wußten nicht, was sie vorfinden würden, und wußten nicht, was sie tun sollten. Sie wußten, daß sie ihn irgendwie erreichen und ihn wieder zu sich bringen mußten, aber sie wußten auch – sogar Matty Roh, für die die Magie ein Rätsel war –, daß es nicht leicht werden würde und daß das, was mit Par Ohmsford geschah, hart und entsetzlich und großartig war. Auf Walkers lautlosen Befehl hin verteilten sie sich. Morgan zog das Schwert von Leah und Coll, das Schwert von Shannara, ihre Talismane gegen die dunklen Wesen, und als Matty dies bemerkte, zog auch sie ihr Kampfschwert. Walker trat einen Schritt vor sie, denn er dachte, daß dies seine Sache sei, daß es seine Aufgabe sei, einen Weg zu finden, durch die Rüstung hindurchzubrechen, die die Magie des Wunschgesangs um Par gelegt hatte, daß er dafür verantwortlich war, daß Par die Wahrheit über sich selbst entdeckte.
Und plötzlich kam der Talbewohner in Sicht. Er glitt weich die Treppe herunter, ein Phantom, das im Licht der Magie loderte. An seinen Fingerspitzen funkelte die Macht und auch über sein Gesicht und in der Tiefe seiner Augen. Er sah sie und sah sie doch auch nicht. Er kam heran, ohne langsamer zu werden und ohne etwas zu sagen. Über ihm war Chaos, aber sie hatten noch nicht begonnen, ihn nach unten zu verfolgen. Par kam weiter heran, noch immer schwebend, noch immer vergänglich, bewegte sich direkt auf Walker zu und zeigte keinerlei Anzeichen, daß er seinen Schritt verlangsamen würde.
»Par Ohmsford!« rief Walker Boh.
Der Talbewohner ging weiter.
»Par, nimm die Magie zurück!«
Par zögerte, sah Walker zum ersten Mal oder erkannte ihn eben und wurde langsamer.
»Par. Schließ die Magie ein. Wir brauchen nicht...«
Par ließ ein Feuerband auf Walker zuschießen, das ihn zu ersticken drohte. Walkers eigene Magie erhob sich zur Abwehr, trieb das Band zurück und verwandelte es in Rauch. Daraufhin hielt Par inne, und die beiden standen sich in der Finsternis gegenüber.
»Par, ich bin es!« rief Coll von der anderen Seite her.
Sein Bruder wandte sich zu ihm um, aber in seinen Augen war kein Hinweis auf ein Wiedererkennen zu sehen. Die Magie des Wunschgesangs zischte und sang in der Luft um ihn herum, flatterte wie ein Umhang im Wind. Morgan rief ihm ebenfalls etwas zu und bat ihn zuzuhören, aber Par sah den Hochländer nicht einmal an. Er befand sich jetzt tief in der Gewalt der Magie, war so darin gefangen, daß nichts anderes wichtig war und sogar die Stimmen seiner Freunde für ihn nicht wiederzuerkennen waren. Er wandte sich von einem zum anderen, als sie auf ihn einsprachen, aber der Klang ihrer Stimmen diente nur dem Zweck der Magie, ihn noch fester einzubinden.
Wir können ihn nicht zurückbringen, dachte Walker verzweifelt. Er wird auf keinen von uns hören. Er konnte spüren, daß die Verfolgung erneut begann, konnte spüren, wie die Schattenwesen durch die Verbindungsgänge herankamen. Wenn FelsenDall sie erst erreichte...
Und dann trat Damson Rhee plötzlich vor, eilte an Walker vorbei, bevor er Einwände erheben konnte, stieg die Stufen hinauf und näherte sich Par. Par sah sie kommen und wandte sich auf dem Absatz um, um ihr entgegenzutreten. Die Magie an seinen Fingerspitzen flackerte bösartig. Damson näherte sich ihm ohne die Hilfe von Waffen oder Magie, die Arme gesenkt, die Handflächen geöffnet, den Kopf erhoben. Walker dachte einen Augenblick lang daran, zu ihr zu eilen und sie zurückzureißen, aber es war bereits zu spät.
»Par«, flüsterte sie, während sie sich ihm näherte und stehenblieb, als sie nur noch ungefähr einen Meter von ihm entfernt war. Sie stand einige Stufen tiefer und schaute zu ihm auf. Ihr rotes Haar war aus dem Gesicht gestrichen, und ihre Augen glänzten von Tränen: »Ich dachte, ich würde dich niemals wiedersehen.«
Par Ohmsford sah sie an.
»Ich habe Angst, dich erneut zu verlieren, Par. An die Magie. An deine Angst, daß sie dich täuschen wird, wie sie es getan hat, als du glaubtest, du hättest Coll getötet. Verlaß mich nicht, Par.«
Ein Anflug von Erkennen zeigte sich hinter dem Wahnsinn in seinen Augen.
»Komm nah zu mir, Par.«
»Damson?« flüsterte er plötzlich.
»Ja«, antwortete sie lächelnd, während ihr die Tränen jetzt über das Gesicht liefen. »Ich liebe dich, Par Ohmsford.«
Einen langen Augenblick lang rührte er sich nicht, sondern stand in der Dunkelheit auf den Stufen wie aus Stein gemeißelt, während die Magie durch seine Glieder und seinen Körper raste. Dann schluchzte er auf, irgend etwas erwachte in ihm, das zuvor geschlafen hatte, und er preßte die Augen zusammen, um sich zu konzentrieren. Sein Körper schüttelte sich, verkrampfte sich, und die Magie flackerte noch einmal auf und erstarb dann. Er öffnete die Augen wieder. »Damson«, flüsterte er, erkannte sie jetzt, erkannte sie alle und taumelte vorwärts.
Sie fing ihn auf, als er fiel, und sofort war auch Walker da und dann die anderen. Sie ergriffen den Talbewohner und brachten ihn in den darunterliegenden Gang, stützten ihn und betrachteten sein verstörtes Gesicht.
»Ich kann nicht mehr atmen«, flüsterte er ihnen zu. »Ich kann nicht atmen.«
Damson hielt ihn fest an sich gedrückt, flüsterte ihm zu, daß alles in Ordnung sei, daß er jetzt in Sicherheit sei, daß sie ihn fortbringen würden. Aber Walker sah die Wahrheit in Par Ohmsfords Augen. Er führte noch immer einen Kampf mit der Magie des Wunschgesangs, und er würde ihn verlieren. Was auch immer mit ihm geschah, er mußte sich ihm jetzt stellen, um von den Ängsten und Zweifeln befreit zu werden, die ihn seit Wochen quälten.